Die Budapester Börse bricht alle Rekorde. Brüssel und Kiew erholen sich nur schwer von Orbáns Blockade

Ungarische Tänze

Illiberales Ungarn? Ständig Ärger mit der EU? Die Budapester Börse hat über den Kurs von Ministerpräsident Viktor Orbán ein Jubelurteil gesprochen, berichtet die FAZ am Montag: „Das kleine mitteleuropäische Land beschert Aktionären kräftige Gewinne. Der Leitindex BUX übertrifft im abgelaufenen Jahr nicht nur viele Märkte in der Region, sondern auch westliche Börsenbarometer.” Und das, obwohl Kiew die ungarische Bank und BUX-Schwergewicht OTP auf die Liste der Unterstützer des russischen Krieges gesetzt hat. Und das, obwohl das ungarische Pharmaunternehmen Gedeon Richter in Russland 2022 einen Umsatz von knapp 330 Millionen Euro machte, was 16 Prozent des Konzernumsatzes ausmachte. Und das, obwohl der ungarische Mineralölkonzern MOL unverdrossen in Russland Erdöl fördert und von dort bezieht. Man könnte sagen: Die Nichtteilnahme am EU-Wirtschaftskrieg gegen Russland bekommt den Magyaren.

Die Hoffnungen der BUX-Spekulanten auf satte Gewinne 2024 sind offenbar berechtigt. Am 13. Dezember öffnete die EU-Kommission ihren Geldhahn und ließ 10 Milliarden Euro nach Budapest fließen. Nun heißt es, dass das so weitergeht. FAZ: „Es sieht so aus, als würden 13 Milliarden Euro der 22 Milliarden Euro aus dem Kohäsionsfonds freigegeben, was das Wachstum im kommenden Jahr unterstützen würde. Die Freigabe von EU-Mitteln dürfte sich aufgrund des potentiell höheren Wachstums positiv auf die ungarischen Vermögenswerte auswirken, glaubt Henning Eßkuchen, Analyst der Erste Group.” Es war jedenfalls nicht nur ein Toilettengang Viktor Orbáns, der zum „einstimmigen” Beschluss der verbliebenen 26 Amtskollegen in seiner Abwesenheit führte, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen. Den Medien wurde gesteckt, der deutsche Bundeskanzler habe Orbán am 14. Dezember aufgefordert, rauszugehen, um das Versprechen gegenüber Kiew einzuhalten. Die Kloabwesenheit wird jedenfalls mit einigen Milliarden Euro honoriert. Da kann einer schon ein dringendes Bedürfnis haben.

Und solange nicht alle 22 Milliarden auf Orbáns Konto überwiesen werden, hat der kein Problem, die für Kiew im EU-Budget bis 2027 eingeplanten 50 Milliarden weiterhin zu blockieren. Seit Monaten kritisiert er das Vorgehen EU und zeigt mit dem Finger auf die Ukraine, die Finanzhilfen in Milliardenhöhe erhalte, obwohl sie keine gute Note für Rechtsstaatlichkeit erhält. Am Freitag verkündete er in Brüssel, Ungarn habe „noch 75 Möglichkeiten, diesen Prozess zu stoppen”.

Die Milliarden für Kiew soll nun ein Extragipfel am 1. Februar 2024 notfalls ohne Orbán auf den Weg bringen. Das wäre aber ein erheblich mühsamerer Weg als mit ihm. EU-Ratschef Charles Michel drückte es am Montag auf einer Pressekonferenz in Brüssel so aus: „Uns ist am Donnerstag und Freitag klargeworden, dass wir mit Ungarn etwas mehr Zeit brauchen, um eine einstimmige Entscheidung zu treffen.” Die FAZ ließ ihren Wirtschaftskorrespondenten in Brüssel am selben Tag Klartext schreiben: „Die EU sollte sich besser darauf vorbereiten, die Ukraine-Hilfen außerhalb des EU-Budgets ohne Ungarn zu finanzieren. So wie sie auch ansonsten allmählich ernsthaft prüfen sollte, ob sie nicht ohne Ungarn besser dran wäre.”

Bis es soweit ist, wirbelt Orbán die EU durcheinander. Am Montag kündigte die fest auf Kriegskurs gegen Russland eingestellte bulgarische Regierung an, sie werde auf die erst im Oktober 2023 eingeführten Transitgebühren für russisches Erdgas verzichten, um den angestrebten Schengen-Beitritt zum 1. Januar 2024 nicht zu gefährden. Orbán hatte mit einem Veto gedroht, sollte Sofia die Gebühr nicht aufheben.

Im Übrigen kann die EU dem Ungarn relativ egal sein. Er empfing am Montag den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Budapest. Die starke Regionalmacht Türkei hilft Ungarn wirtschaftlich und über die Turkstream-Pipeline auch bei der Energieversorgung. Das soll ausgebaut werden, erklärten beide. Orbán freute sich zudem, dass sein Gast eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung von Migranten spielt. Zu Schweden, dessen NATO-Beitritt beide verhindern, ließen sie kein Wort fallen, dafür gab es Geschenke. Orbán schenkte Erdogan „von Pferdenation zu Pferdenation“ einen Hengst aus einem ungarischen Gestüt, im Gegenzug erhielt er ein türkisches Elektroauto. Die ungarischen Tänze mit der EU werden im kommenden Jahr weiter aufgeführt.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher laden wir Sie ein, die UZ als Wochenzeitung oder in der digitalen Vollversion 6 Wochen kostenlos und unverbindlich zu testen. Sie können danach entscheiden, ob Sie die UZ abonnieren möchten.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Ungarische Tänze", UZ vom 22. Dezember 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Auto.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit