Empörung über einseitige Parteinahme von Biden auch im Kongress

US-Bewegung für Waffenstillstand im Aufschwung

Kurt Stand, USA

„Es gibt Millionen Menschen überall in unserem Land, die sich Netanjahus Extremismus widersetzen und die die Nase voll haben, ihrer Regierung dabei zuzusehen, wie sie eine Kollektivbestrafung und den Gebrauch von Bomben mit weißem Phosphor unterstützt, der das Fleisch bis hinunter auf die Knochen verbrennt. Sie haben die Nase voll davon, ihrer Regierung zuzusehen, die die Verweigerung von jeder Nahrung, Wasser, Elektrizität und medizinischer Hilfe für Millionen Menschen unterstützt, die nicht wissen, wohin sie fliehen sollen. So wie ich sind sie überzeugt, dass Kriegsverbrechen nicht mit noch mehr Kriegsverbrechen beantwortet werden können.“

Das war die Antwort von Rashida Tlaib, Abgeordnete des US-Kongresses, auf eine offizielle Rüge, weil sie sich für die Freiheit des palästinensischen Volkes eingesetzt hatte. Sie selbst war schon vor ihrer Wahl eine aktive Vertreterin der arbeitenden Menschen von Detroit und ist die erste Palästinenserin, die in den Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wurde.

Der weitverbreitete Widerstand gegen den US-Militarismus und die Solidarität mit den Palästinensern scheint aus dem Nichts zu kommen. Nach dem massenhaften Protest gegen die Invasion des Irak im Jahr 2003 erlahmte die US-Friedensbewegung. In den folgenden Jahren schien die US-Kriegsmaschine ungestört zu laufen. Aber unterhalb der Oberfläche begriffen viele, dass es unmöglich sein würde, den Rassismus und Antisemitismus der Neofaschisten, die Donald Trump unterstützen, zu überwinden, solange es keine klare Opposition zur Islamfeindlichkeit und zu den Kriegen in Übersee gibt. Andere Menschen unterstützten den Gedanken, diejenigen, die im Holocaust umkamen, dadurch zu ehren, dass wir die Rechte derjenigen Palästinenser verteidigen, die durch die Nakba vertrieben wurden, und Israels wiederholte Verletzung der Menschenrechte verurteilen.

Obwohl sie die US-Politik nicht ändern konnte, hat die Kampagne für „Boycott, Divestment, Sanctions“ (BDS) geholfen, die öffentliche Meinung zu ändern. Die Kampagne spiegelte die Bereitschaft der Palästinenser und über sie hinausgehender muslimischer Kreise wider, sich den Repressionen zu widersetzen, denen sie sich nach der Attacke auf das World Trade Center im Jahr 2001 gegenübersahen. Diese neue Welle von Aktivitäten ist gekennzeichnet von einer Solidarität der Schwarzen und der Palästinenser, die im gemeinsamen Kampf gegen Rassismus wurzelt. In den jüdischen Kreisen haben solche Organisationen wie die „Jewish Voice for Peace“ und „IfNotNow“ zunehmend an Einfluss gewonnen.

Als dann die Biden-Regierung ihre Unterstützung für die israelischen Angriffe auf Gaza erklärte, zeigte sich die Stärke dieser Antikriegsstimmung auf der Straße – wie die folgende unvollständige Liste zeigt:

Am 27. Oktober beteiligten sich Tausende an Sit-ins in der Central Station, dem größten New Yorker Bahnhof, und dem Hauptbahnhof in Philadelphia, unterbrachen den Verkehr und skandierten „Waffenstillstand jetzt“, „Lasst Gaza leben“ und „Nie wieder gilt für alle“. Am selben Tag verließen an über 100 Universitäten Studierende ihre Vorlesungen und Seminare, um gegen die Unterstützung von Israels Bombardement durch die US-Regierung zu protestieren. Auch sie forderten „Befreit Palästina“ und einen sofortigen Waffenstillstand. Teenager der weiterführenden Schulen schlossen sich ihnen an.

Am 4. November erlebte Washington mit 300.000 Menschen den größten pro-palästinensischen Protest der US-Geschichte. Die Forderungen lauteten: „Befreit Palästina“, „Stopp der Hilfe der USA für Israel“, „Waffenstillstand jetzt“.
Am 6. November führten die Gruppen „Jewish Voice for Peace“ und „­IfNotNow“ ein Sit-in an der Freiheitsstatue in New York City durch. Am selben Tag blockierten Aktivisten Häfen in Tacoma, Washington und Oakland, um Schiffstransporte mit Waffen für Israel zu blockieren.

Am 8. November verließen mehr als 100 Kongressbedienstete ihre Arbeitsplätze im Kapitol, um eine Mahnwache zur Unterstützung der Forderung nach einem Waffenstillstand abzuhalten.

Am 11. November marschierten Hunderte in Wilmington (Delaware) zum Wohnsitz von Joseph Biden, um Frieden zu fordern, einen Tag später demonstrierten 10.000 Menschen in Austin (Texas) sowie Hunderte vor den Toren einer Waffenfabrik in Scranton (Pennsylvania), um ein Ende der Waffenlieferungen nach Israel zu fordern.

Am 13. November schließlich brachten Tausende den Hauptbahnhof in Chicago zum Stillstand, um gegen den Krieg zu protestieren.

Auch die Arbeiterbewegung hat begonnen, ihre Stimme zu erheben. Als bisher größte Arbeiterorganisation hat sich am 8. November die „American Postal Workers Union“ dem Ruf nach einem Waffenstillstand angeschlossen. Bereits vorher hatten die „United Electrical Workers“, unterstützt von mehreren lokalen Gewerkschaften, den Ruf nach Waffenstillstand bekräftigt.

Im Brennpunkt stehen zurzeit auch Gesetzesinitiativen der Mitglieder des Repräsentantenhauses Cori Bush und Rashida Tlaib, die die Biden-Regierung auffordern, einen Waffenstillstand zu unterstützen und humanitäre Hilfe in den Gaza zu schicken. Vielleicht am besten brachte es Bush – die aus der Bewegung „Black Lives Matter“ kommt – auf den Punkt: „Ich empfinde Liebe sowohl für das israelische als auch für das palästinensische Volk, die an dieser Gewalt leiden – und an der Unfähigkeit ihrer Regierungen, die Wurzeln aus systematischer Unterdrückung, militärischer Okkupation und dem kriminellen Apartheidsystem auszureißen.“

Bush und Tlaib sind Mitglieder der „Demokratischen Sozialisten Amerikas“ und werden durch die „Working Families Party“ unterstützt. Beide Organisationen haben zu einem Ende des Krieges und der Okkupation als notwendigen Schritt aufgerufen, um die Verheerungen, die der neoliberale Kapitalismus anrichtet, zu beenden. Die Bewegungen gegen Krieg und Okkupation kämpfen einen Kampf gegen alle Widrigkeiten, aber zum ersten Mal seit Jahrzehnten gewinnen sie an Stärke und Schwung. Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen in diesen bitteren Zeiten.

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"US-Bewegung für Waffenstillstand im Aufschwung", UZ vom 24. November 2023



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