Bezirk kündigt Jugendzentren in Berlin-Friedrichshain nach propalästinensischen Äußerungen der Mitarbeiter. Die Auseinandersetzung schwelt schon länger

Verbotene Solidarität

Die Auseinandersetzung um die außerordentliche Kündigung der Leistungsverträge für den Betrieb von zwei Jugendfreizeiteinrichtungen im Berliner Bezirk Friedrichshain geht in die nächste Runde. Begründet wurde die Kündigung mit Solidaritätserklärungen mit der palästinensischen Bevölkerung, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf ihren privaten Instagram-Accounts gepostet haben sollen. Die kurzfristige Kündigung von Frieda e. V. und dessen Projekt „Phantalisa“, einem „Raum für Mädchen* und junge Frauen*“, begründete die Bezirksverwaltung zusätzlich mit der Teilnahme einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Palästina-Soli-Demonstrationen und nicht näher genannten propalästinensischen und angeblich „antisemitischen“ Äußerungen der Mitarbeiterin Shokoofeh M. auf ihrem Instagram-Profil. Vorgeworfen wird M. außerdem, dass sie als Rednerin auf dem vor Kurzem verbotenen Palästina-Kongress vorgesehen war.

Dieses repressive Vorgehen hat bereits vielfachen Protest hervorgerufen. Rund dreihundert Menschen protestierten am 29.April vor dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg und skandierten „Frieda bleibt!“ sowie „Free Palestine!“.

Am Dienstag (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ) steht der Vorgang nun ein weiteres Mal auf der Tagesordnung des Jugendhilfeausschusses. Dieses Mal tagt der Ausschuss öffentlich. Das haben Grüne und Linke durchgesetzt. Am 26. April hatte bereits eine nicht öffentliche Sondersitzung des Gremiums stattgefunden, dessen Ergebnisse entsprechend auch nicht veröffentlicht worden waren. Immerhin postete ein Bezirksverordneter auf seinem Facebook-Profil, was die konkreten inhaltlichen Vorwürfe seitens des zuständigen Jugendstadtrats Max Kindler (CDU) sind. Demnach geht es ihm um die Verwendung der bereits vielfach von staatlicher Seite kriminalisierten Formulierungen „From the river to the sea“ (Vom Fluss bis zum Meer) sowie „drohender Völkermord“ und „Apartheid“ in Bezug auf Israel.

Wie kürzlich bekannt wurde, schwelt der Konflikt allerdings bereits seit Längerem.

Im vergangenen September hatte Frieda e. V. einen nicht öffentlichen Notruf versendet. Der Grund dafür waren seit vier Jahren wiederkehrende rassistische Übergriffe eines Nachbarn in der Nähe von „Phantalisa“. Neben obszönen Gesten, körperlichen Übergriffen und dem Zeigen des Hitlergrußes sollen auch Morddrohungen ausgesprochen worden sein. Eine erste Anzeige im Mai 2022 durch eine Mitarbeiterin der Jugendförderung des Bezirks wurde eingestellt. „Phantalisa“ stellte drei weitere Anzeigen gegen den gewalttätigen Rassisten. Neben den Besucherinnen und Besuchern des Zentrums, die vor allem aus der Romani-Community kommen, war auch das Team von den Anfeindungen betroffen. Im Zusammenhang mit der Anzeige gerieten persönliche Daten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von „Phantalisa“an den Nachbarn. Später stellte sich heraus, dass die Polizei sich bereits Zugang zu dessen Wohnung verschafft und dabei Waffen beschlagnahmt hatte. Die bedrohte Einrichtung wurde jedoch nicht über diesen Umstand informiert. Daraufhin beschloss der Trägerverein Frieda e. V., den Projektraum vorübergehend zu schließen.

Es folgten mehrere Treffen der betroffenen Einrichtungen mit der Jugendförderung des Bezirks, der Bezirksbürgermeisterin Clara Hermann (Grüne) und Stadtrat Max Kindler (CDU), auf denen die Arbeit der Polizei stark kritisiert wurde, da sie kaum gegen die anhaltende Bedrohung tätig geworden war. Frieda e. V. hatte gefordert, dass der Bezirk unverzüglich ein Näherungs- und Kontaktverbot für den rassistischen Nachbarn durchsetzt. Nach weniger als einem Monat wurde der Projektleitung mitgeteilt, dass dies nicht möglich sei. Erst mit der Unterstützung der Opferberatungsstelle „Reach Out“ konnte das Kontaktverbot schließlich umgesetzt werden.

Ende November wurde der Leitung von Frieda e. V. bei einem Treffen mit Kindler, Jugendförderung und Jugendamt mitgeteilt, dass man die Vertrauensbasis für die Zusammenarbeit verloren habe. Eine Woche später habe Stadtrat Kindler angerufen und angekündigt, die Leistungsverträge zu beenden. Eine schriftliche Kündigung erfolgte nicht. Im Januar 2024 stellte sich der Jugendhilfeausschuss gegen das Betreiben von Kindler und beschloss, den Leistungsvertrag erstmal weiterzuführen. Dazu sollten mindestens drei Gespräche mit einer „externen allparteilichen Moderation“ geführt werden, um Bedingungen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zu festzulegen. Das erste dieser Gespräche hätte am 19. April stattfinden sollen. An diesem Tag ging stattdessen die aktuelle Kündigung ein. Einen Zusammenhang zwischen den Vorgängen streitet Kindler laut Medienberichten ab.

Es bleibt zu hoffen, dass sich der Jugendhilfeausschuss auch in diesem Fall für das weitere Betreiben entscheidet und die Kündigung zurückgenommen wird. Die Leidtragenden wären die Kinder und Jugendlichen, die Teams der Einrichtungen und nicht zuletzt die Meinungsfreiheit.

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"Verbotene Solidarität", UZ vom 10. Mai 2024



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