VS-Präsident Thomas Haldenwang verlässt den Inlandsgeheimdienst, um in den Bundestag einzuziehen

Vom Oberspitzel zum Hinterbänkler

Der Chef von 4.200 Inlandsspitzeln nimmt seinen Hut. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, auf den Fluren seines Kölner Bundesamtes von Mitarbeitern gern hinter vorgehaltener Hand als der „Unberührbare“ tituliert, wechselt in seine Heimatstadt Wuppertal. Nicht des Ruhestandes wegen: das 64-jährige CDU-Nachwuchstalent „geht in die Politik“, wie das ZDF meldete. „In der Politik“ – war er da nicht schon die letzten Jahre? Von Horst Seehofers (CSU) Gnaden im Jahr 2018 ins Präsidentenamt gehievt, seit Herbst 2021 als treuer Adlatus seiner SPD-Innenministerin Nancy Faeser (SPD) Dauergast jeder Pressekonferenz, wenn es um die vielfältigen Bedrohungen von innen und außen ging.

Bei Amtsantritt im November 2018 bescheinigte ihm die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ), er sei ein „Verwalter“, ohne Geltungsdrang oder Charisma. Da hatte er schon neun Jahre Innendienst bei den Schlapphüten hinter sich, ein funktionierendes Rädchen im Getriebe. Oder wie er es im Jahr 2020 formulierte: „Der herausforderndste, aber auch zufriedenstellendste Beruf, den ich mir vorstellen kann“.

Aber auch verbeamtete Langweiler können zur Höchstform auflaufen, wenn sie ein Gespür für neue Ideen im System des Unterdrückungsapparats entwickelt haben. „In der Nachkriegsgeschichte war die Demokratie in unserem Land selten so in Gefahr wie heute“, dem sei zu begegnen mit „Meldestellen“, „Früherkennungseinheiten“, der Ausforschung verdächtiger Kontobewegungen. „Extremistisch ist immer dann, wenn der Staat, die Gesellschaft, die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage gestellt wird.“ Die Katastrophe zieht dort herauf, wo „verbale und mentale Grenzverschiebungen“ sich in den Hirnen einnisten und somit die „verfassungsrechtlich relevante Delegitimierung des Staates und seiner Institutionen“ aufkeimt. Ein Horrorszenario, wenn „Linksextremisten den Angriffskrieg als Anlass für Straftaten gegen Rüstungsunternehmen, gegen die Bundeswehr und Parteien politischer Entscheidungsträger“ nehmen und die Diktion des Teufels im Osten, nämlich „russische Desinformation und Narrative prorussischer Propaganda aufgreifen, weiterverarbeiten und in ihrer Wirkung verstärken“.

Haldenwang hat schnell gelernt, was er zur Kriegsertüchtigung beizutragen vermag. Dass seine Bedrohungskaskaden an das Wort Carl von Ossietzkys erinnern – „Der deutsche Spießer denkt nun einmal in Katastrophen; er sieht fortwährend Schicksalsstunden und Weltwenden“ („Die Weltbühne“ vom 8. März 1927) –, machen die Angriffe auf den Rest an demokratischen Rechten, der nach 75 Jahren Grundgesetz noch übrig ist, nicht ungefährlicher.

Seit vergangenem Mittwoch ruht Haldenwangs Amt als Verfassungsschutzchef. Zwei Tage später wurde er von der CDU als Kandidat für den Bundestagswahlkreis Wuppertal I gekürt. Ein Direktmandat aber wird er angesichts des SPD-dominierten Bezirks (2021: SPD 37,3 Prozent, CDU 22 Prozent) und in Ermangelung mitreißender Wahlkämpferfähigkeiten in den Wind schlagen müssen. Die NRW-CDU hält für ihn sicher ein Landeslisten-Ticket frei.

Derweil hat sich als aussichtsreiche Kandidatin für den vakanten Präsidentenjob die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) ins Spiel gebracht. Sie kennt den Inlandsgeheimdienst seit 2006 von innen. Badenberg hat ihren Text gelernt und kann die Maulkorbpolitik der kommenden Jahre treffsicher umreißen: „Heute ist aber nicht mehr nur das Abgreifen von Informationen, sondern auch das Einbringen von Desinformationen und Propaganda gefährlich. Die Sabotage des Meinungsbildungsprozesses muss unter Strafe gestellt werden.“ („Berliner Zeitung“) Nicht nur Meinungen sollen auf den Index, sondern schon ihr Zustandekommen. Für Badenberg lauern die Delegitimierer auch unter den Kunstschaffenden. Unlängst schlug sie vor, Paragraf 23 der Berliner Landeshaushaltsordnung um den Passus zu ergänzen, dass Förderungen zukünftig zu sperren sind, „wenn jemand verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt“. Diese Idee hatte nicht einmal Haldenwang.

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"Vom Oberspitzel zum Hinterbänkler", UZ vom 22. November 2024



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