Reaktionäre Trends in der bürgerlichen Ökonomie – Unzufriedene Studenten

Vom zu großen Gen-Mix

Von Philipp Kissel

Es läuft nicht gut in der Wirtschaft. Seit der Weltwirtschaftskrise von 2008 geht es nicht richtig bergauf. Die Industrieproduktion ist in Deutschland erst in diesem Jahr wieder auf den Stand von 2007 gekommen und es sieht nicht danach aus, dass sie weit darüber klettern wird, die Tendenz zeigt bereits wieder nach unten. Es gibt also viele offene Fragen für die bürgerlichen Wirtschaftswissenschaftler, die die Krise weder vorhersehen noch bisher erklären konnten.

Anfang September ermittelte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ ihre jährliche Einflussrangliste der wichtigsten Ökonomen. An der Spitze steht zum ersten Mal Ernst Fehr, ein Ökonom aus der Schweiz. Ernst Fehrs Aufstieg ist recht rasant. Er hat laut FAZ „mit seiner Grundlagenforschung zu Fairness die ökonomische Verhaltensforschung erheblich weitergebracht und übt so enormen Einfluss auf das wirtschaftliche Denken aus.“ Fehr ergründet also nicht die Reproduktion des Kapitals, sondern das menschliche Verhalten. Er hat „entdeckt“, dass der Mensch nicht nur ein egoistischer „Homo oeconomicus“ ist, sondern auch altruistisch handelt und Fairness will. Das geht dann so: „Am übersichtlichsten ist die Angelegenheit, wenn Sie ein öffentliches Gut haben, von dem alle profitieren – wie die Kasse einer Arbeitslosenversicherung. Nun gibt es stets Trittbrettfahrer, die wenig zu dem Gut beitragen, aber kassieren. So etwas empfinden fast alle als ungerecht“ so Ernst Fehr in einem Interview mit der „Zeit“. Die Bestrafung der „Schmarotzer“ durch Sanktionen, Verschlechterung ihrer Rechte etc. empfinden alle als gerecht und man kann es gut durchsetzen. Dies richtet sich gegen alle, auch die die es als fair empfinden

Weitere Beispiele ließen sich bei der Renten-Diskussion finden. Hier werden die Jüngeren unfair behandelt, deshalb müssen die Älteren länger arbeiten. Auch wenn die von ihm sehr häufig angewandte Methode der Hirnforschung durch Magnetresonanztomografen mittlerweile mehr als umstritten ist, greift auch die Politik auf seine Mitarbeiter zurück. Seit 2014 sind von Fehr ausgebildete Verhaltensökonomen Teil des Stabs für politische Planung, Grundsatzfragen und Sonderaufgaben im Bundeskanzleramt. Seine Thesen von der „Fairness“ dürften für Kommunikationsstrategien weiterer Ungerechtigkeiten interessant sein.

Die Tagung des Ökonomenverbands „Verein für Socialpolitik“ vor zwei Wochen in Augsburg zeigte, dass es weitere reaktionäre Entwicklungen in der Ökonomie gibt. Im Mittelpunkt stand die „Demographie“, also die „Bevölkerungswissenschaft“. Besonders stechen die Thesen des israelischen Professors Oded Galor hervor. Er nennt „biogeographische Faktoren“ als Grund für die ungleiche ökonomische Entwicklung. In Afrika gebe es die größte genetische Vielfalt, die für die ökonomische Entwicklung schlecht sei. Zu große Heterogenität der Gene könne den Zusammenhalt der Gesellschaft erschweren und zu Konflikten führen. Nordamerika und Europa hätten ein optimales Niveau an Diversität und seien deshalb am erfolgreichsten. Diese Pegida-Thesen in ökonomischen Begriffen sind ein Ausdruck der ratlosen und apologetischen bürgerlichen Wissenschaft. Weder die „neoliberalen“, noch die „neoklassischen“ oder die „keynesianischen“ Schulen erklären die Lage. Immer mehr Studenten sind damit unzufrieden, sie wollen Antworten auf Arbeitslosigkeit und Armut und gründen verschiedene Netzwerke. Bisher kommen diese Bemühungen nicht weiter als bis zu Keynes. Um sich dieser Kritik nicht ganz zu verwehren, wurde das vom Milliardär George Soros finanzierte neue E-Book-Lehrbuch „Core“ auf der Tagung vorgestellt. Es verbleibt auf einer deskriptiven Ebene und wiederholt „Lehrbuch-Absurditäten“, wie der französische Studentenverband für eine Reform der Lehre (MEPREE) kritisiert.

Die Wirtschaftspolitik benutzt längst eine Mischung aus „neoliberalen“ und „keynesianischen“ Elementen – und muss auch damit scheitern. Investitionen bleiben trotz aller Niedrigzinsen aus. Die vielen Konjunkturprogramme ändern nichts an Überkapazitäten und der Notwendigkeit die Löhne zu senken, um die Profite zu steigern. Die nächste Krise ist unvermeidbar und wird die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise offenlegen. Den bürgerlichen Ökonomen wird wieder einiges einfallen, um sie zu vernebeln.

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"Vom zu großen Gen-Mix", UZ vom 16. September 2016



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