Kubanische Nationalversammlung trat zu erster Sitzung zusammen

Vor großen Aufgaben

Der kubanischen Bevölkerung stehen weitere schwierige Jahre bevor. In seiner ersten Rede nach der Wiederwahl stimmte Präsident Miguel Díaz-Canel am Mittwoch vergangener Woche die 470 Abgeordneten der Nationalversammlung der Volksmacht (ANPP) auf „große Herausforderungen“ in der fünfjährigen neuen Legislaturperiode ein. Neben dem Staatsoberhaupt bestätigten die Parlamentarier in der konstituierenden Sitzung des höchsten gesetzgebenden Organs des Landes unter anderem den ehemaligen Vorsitzenden des Gewerkschaftsdachverbandes CTC, Salvador Valdés Mesa, als Vizepräsidenten und Premierminister Manuel Marrero Cruz als Regierungschef der Republik Kuba. Während es an der Spitze von Staat und Regierung keine Veränderung gab, wurden zehn Mitglieder des 21-köpfigen Staatsrats, der die legislative Macht zwischen den Sitzungen der Nationalversammlung ausübt, erstmals in diese Position gewählt. Wie dort stellen weiblichen Abgeordnete mit elf Mitglieder auch im Staatsrat die Mehrheit.

Traditionsgemäß fand die erste Sitzung des am 26. März gewählten neuen Parlaments am Jahrestag des Sieges gegen die von den USA unterstützte Söldnerinvasion in der Schweinebucht statt. „Diesem Sieg ist es zu verdanken, dass wir heute zum zehnten Mal die Versammlung des Volkes konstituieren können. Am 19. April 1961 errang Kuba im Sand von Playa Girón das Recht, diesen Tag zu feiern, indem es dem Imperialismus seine erste große Niederlage auf dem amerikanischen Kontinent zufügte“, sagte Díaz-Canel zu Beginn seiner Rede, die er mit dem von Fidel Castro bekannten Ausruf „¡Patria o muerte! – ¡Venceremos!“ beendete. Mit dem Hinweis, dass „uns die Besiegten das auch 62 Jahre später noch nicht verzeihen“ können, leitete der Präsident und zugleich Erste Sekretär der Kommunistischen Partei Kubas zur Analyse der aktuellen Probleme des Landes über. „So wie wir uns an Girón erinnern, werden wir uns immer an die Grausamkeit der Blockade erinnern, die unter den Bedingungen der Pandemie verstärkt wurde; an die Aufnahme Kubas in die berüchtigte US-Liste der Länder, die angeblich den Terrorismus unterstützen, um dadurch alle Finanzaktionen zu erschweren; an den Sauerstoff, den sie uns in der Pandemie verweigerten, während sie Straßenaufstände anstachelten. Auf die eine oder die andere Weise haben sie uns jede Möglichkeit für Handel oder Finanzierung genommen“, erklärte Díaz-Canel.

Er räumte ein, dass die wirtschaftliche und soziale Lage des Landes während seiner ersten Amtszeit „sehr viel schwieriger geworden ist und die Träume, Pläne und Projekte langsamer vorangehen“. Gründe dafür seien neben der Blockade die Auswirkungen der globalen Krise „und die Krise, die wir mit unseren Unzulänglichkeiten selbst verursachen“. Verschärfte Sanktionen und die Pandemie hatten zum Einbruch des Tourismus und einem dramatischen Rückgang der Deviseneinnahmen geführt. Hinzu kam die inmitten dieser Situation Anfang 2021 erfolgte Währungsreform, die zu steigenden Preisen und zur Zunahme der Spekulation führte und die Inflation damit weiter anheizte. Versorgungsmängel und Stromausfälle zermürben viele Menschen. „Eine der größten Sorgen der letzten Monate und Jahre“ sei zudem „die Überalterung der Bevölkerung und die starke Abwanderung der jüngeren Teile unserer Gesellschaft“, so der Staatschef in seiner Analyse. Trotz aller Probleme gibt es aber auch erste Anzeichen einer Verbesserung. Während staatliche Betriebe weiter den Schwerpunkt der Wirtschaft bilden, tragen kubanische Bürger mit der mittlerweile zulässigen Gründung kleiner und mittlerer privater Unternehmen mit bis zu 100 Angestellten zur Verbesserung des Angebots an Waren und Dienstleistungen bei. Dazu soll auch die Öffnung des Groß- und Einzelhandels für ausländische Investitionen dienen. Als einen der bedeutendsten Erfolge der vergangenen fünf Jahre verwies Díaz-Canel darauf, „dass wir unter den schlimmsten Umständen und dem kriminellsten Druck zu einem der wenigen Länder geworden sind, die sich mit ihren eigenen Anstrengungen und Talenten vor der Pandemie gerettet haben“.

Nach dem unbestreitbaren Erfolg bei der Bekämpfung der Pandemie steht Kuba jetzt angesichts weltweit steigender Lebensmittel- und Energiepreise, der Folgen des Klimawandels, der Ukraine-Krise, westlicher Sanktionen und der zunehmenden Weltkriegsgefahr vor nicht minder großen Herausforderungen. Als Priorität für die „unmittelbare Zukunft“, so kündigte Díaz-Canel an, werde die Hauptausrichtung der Regierung „auf die Nahrungsmittelproduktion, die Nutzung brachliegender Produktionskapazitäten, die Steigerung der Deviseneinnahmen, die von den sozialistischen Staatsunternehmen geforderten Umgestaltungen, die Effizienz des Investitionsprozesses und die Beteiligung ausländischer Investitionen“ zielen. Alle Maßnahmen müssten darauf gerichtet sein, das Angebot an Gütern und Dienstleistungen zu erhöhen und die Inflation unter Kontrolle zu bringen. „Die Energie und der natürliche Ehrgeiz der jungen Menschen sind für diese Arbeit von grundlegender Bedeutung“, so der Staatschef – ein Hinweis darauf, dass 93 der 470 Abgeordneten (19,8 Prozent) jünger als 35 Jahre sind. An die Jugend gewandt sagte er, der Sozialismus sei „kein fertiges Werk“, sondern werde „jeden Tag neu geschaffen“. Die Revolution sei auch nicht das Endziel, sondern „das Mittel, der Weg, um das höchstmögliche Maß an sozialer Gerechtigkeit für alle zu erreichen. Dies ist in anderen Systemen nicht möglich, in denen Wohlstand mit Überfluss verbunden ist, in denen einige Menschen sehr wenig oder praktisch nichts haben, weil andere sich den größten Teil des Reichtums aneignen, der von denen geschaffen wurde, die weniger haben.“

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"Vor großen Aufgaben", UZ vom 28. April 2023



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