Brandenburger Landesregierung will beitragsfreie KiTa – Mittelschicht profitiert

Wahlgeschenke aus Potsdam

Von Bernd Müller

Es ist Wahlkampf in Brandenburg, und die Sozialdemokraten versprechen die ersten Geschenke. Die SPD-Landtagsfraktion hat in der vergangenen Woche verkündet, ab 2018 würde das letzte Jahr im Kindergarten kostenlos. Das sei der „Einstieg in die vollständige Beitragsfreiheit“, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Mike Bischoff. Ein zentrales Thema im Wahlkampf sind die kostenlosen Kindertagesstätten von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, und die Brandenburger SPD stellt sich jetzt hinter diese Idee.

Mit dem Beschluss übernimmt die SPD-Fraktion eine Position, die seit Jahren von den „Linken“ eingefordert wird. Schon 2015 hatte Finanzminister Christian Görke (Partei „Die Linke“) im rbb-Sommerinterview versprochen, sich für ein beitragsfreies Vorschuljahr einzusetzen. Etwa 22000 Kinder wären nach Auskunft des Brandenburger Bildungsministeriums betroffen. Dem Land würde das etwa 20 Millionen Euro im Jahr kosten – ein großzügiges Geschenk, von dem vor allem die Mittel- und Oberschicht profitieren würde.

Bisher gilt das Solidarprinzip: Die Kommunen sind gesetzlich verpflichtet, die Kita-Gebühren nach sozialen Gesichtspunkten zu staffeln. Anders ausgedrückt: Wer viel verdient, muss auch mehr bezahlen. In Cottbus muss beispielsweise eine Familie im Bezug von Hartz IV für das erste Kind zehn Euro im Monat berappen. Eine Familie mit einem Haushaltseinkommen von mehr als 102 000 Euro müsste dagegen für das erste Kind zwischen 326 Euro und 388 Euro bezahlen, je nachdem, wie viele Stunden das Kind betreut werden muss. Durch das beitragsfreie Vorschuljahr würde die erste Familie um 120 Euro im Jahr entlastet, die zweite hätte dagegen bis zu 4 700 Euro mehr in der Tasche.

Diese Besserstellung der mittleren und oberen Einkommen ist nur schwer zu rechtfertigen. Einen Grund führt das Bundesfamilienministerium in einem Bericht an: „Eine sozialverträgliche Gestaltung von Beiträgen bis hin zur Beitragsfreiheit kann die Nutzung außerfamiliärer Betreuungsangebote insbesondere auch durch bildungsferne oder sozial benachteiligte Familien sowie Familien mit Migrationshintergrund fördern“. Also, wenn die Betreuungsquote gering ist und Kinder aus benachteiligten Familien an der frühkindlichen Bildung teilhaben sollen. Ein Grund allerdings, der auf Brandenburg nicht zutrifft.

Vor zwei Jahren sah die rot-rosa Landesregierung ein beitragsfreies Vorschuljahr deshalb auch noch kritisch. Auf eine Kleine Anfrage der CDU-Fraktion antwortete sie: „Die Befreiung von Beiträgen für Kinder im letzten Kindergartenjahr wäre weder unter fachlichen Aspekten noch unter dem Gesichtspunkt des Familienleistungsausgleichs ein Schritt in die fachpolitisch richtige Richtung. Da die Betreuungsquote in dieser Altersgruppe bereits fast 100 Prozent beträgt, kann hierdurch keine Steigerung der Inanspruchnahme erreicht werden“. Was sich bis heute daran geändert hat, bleibt ihr Geheimnis.

Die „LIGA der freien Wohlfahrtspflege – Spitzenverbände im Land Brandenburg“, der Dachverband der großen Betreiber der Kindertagesstätten hat sich bisher auch gegen die Beitragsfreiheit ausgesprochen. Bildungsqualität müsse vor Elternbeitragsbefreiung stehen, was so viel heiße, dass erst einmal die „qualitätsbeeinflussenden Rahmenbedingungen auskömmlich finanziert“ sein müssten, schrieb die LIGA vergangenen September anlässlich einer Anhörung im Landtag. Bis dahin sei die Kostenbeteiligung der Eltern notwendig.

Erst im Juni hat die LIGA vor einem Mangel an Fachkräften in Brandenburger Einrichtungen gewarnt. Mancherorts sei dieser Mangel schon dramatisch spürbar, „gleichwohl es statistisch gesehen keinen Fachkräftemangel geben dürfte“, heißt es in der Auswertung einer Umfrage in Brandenburger Kindertagesstätten. So seien motivierte, persönlich und fachlich geeignete Mitarbeiter immer schwerer zu finden. Einrichtungen stünden „immer wieder aufs Neue vor der Entscheidung die Einrichtung zu schließen oder die Öffnungszeiten (temporär) zu kürzen oder gar freie Platzkapazitäten unbelegt zu lassen, weil das notwendige pädagogische Personal nicht vorgehalten werden kann“.

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"Wahlgeschenke aus Potsdam", UZ vom 21. Juli 2017



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