Weniger Rechte für Asylsuchende, „starker Staat“ und „null Toleranz“

Wenig Neues in Berlin

Von Nina Hager

Der Start der neuen Bundesregierung war holprig. Auf der einen Seite müht sich die SPD um Anpassung, Ausgleich, wirkt handzahm und gibt dafür ein Wahlversprechen nach dem anderen auf. Ihre eigenen Parteifreunde kann Angela Merkel – wie den neuen Gesundheitsminister Jens Spahn und Innenminister Horst Seehofer (CSU) – aber nicht zügeln. In ihrer, angeblich selbstkritischen, Rede versuchte Merkel einen weiten Bogen von den Ereignissen des Jahres 2015, als Hunderttausende Flüchtlinge in kürzester Zeit nach Deutschland kamen und versorgt werden mussten, bis hin zu aktuellen innenpolitischen Herausforderungen und der Zukunft Europas zu spannen. Sie räumte ein, „der Westen“ habe die humanitäre Katastrophe in den Flüchtlingslagern zu spät erkannt und gehofft, „dass uns diese Entwicklungen nicht tangieren werden“. Dies habe die große Zahl an Flüchtlingen provoziert, deshalb dürfe es nie wieder passieren, dass die UN-Hilfsprogramme so dramatisch unterfinanziert werden, wie es vor zwei Jahren der Fall gewesen sei.

Dass ihre Regierung, wie die anderer EU- Staaten, dabei ihre Hilfen sparsam gaben, gehörte nicht zur Selbstkritik. Ein Eigenlob sang die Kanzlerin auf die geplanten Entlastungen für Familien, denn dort lernten Kinder zuerst, was Zusammenhalt bedeute. „Kinderarmut in einem reichen Land wie Deutschland ist eine Schande“, sagte sie. Sie hob weiter die Milliardenförderung des Bundes für den sozialen Wohnungsbau und die Investitionsoffensive für die Schulen hervor. „Herkunft darf den Erfolg in der Schule nicht bestimmen“, so Merkel. Das Sofortprogramm für 8 000 zusätzliche Stellen in der Pflege sei ein erster, wichtiger Schritt, reiche aber nicht aus, um die Situation für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen dauerhaft zu verbessern. Merkel appellierte daran, das Ziel des Zusammenhalts der Gesellschaft nicht aus den Augen zu verlieren. Am Ende der Legislaturperiode werde sich ihre Regierung daran messen lassen müssen, ob dieser Zusammenhalt gestärkt worden sei.

Wie wenig die SPD-VertreterInnen ihre eigenen Wahlversprechen interessieren, machte unter anderem Heiko Maas, der neue Außenminister, in seiner Antrittsrede am vorigen Mittwoch im Bundestag deutlich. Unter ihm wird der Ton gegen Russland verschärft. Wenige Tage später ließ er den Worten „Taten“ folgen. Russische Diplomaten wurden ausgewiesen. Im SPD-Wahlprogramm hieß es noch: „Europa, die USA, Russland und China tragen gemeinsam Verantwortung für den Frieden in der Welt. (…) Deshalb können nur der Dialog zwischen den Regierungen, die Verständigung zwischen den Völkern und eine gelebte Solidarität zwischen Nord und Süd zu mehr globaler Sicherheit führen.“ Konkrete Vorschläge zur Abrüstung mit dem Ziel einer nuklarwaffenfreien Welt – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – nannte er in seiner Rede nicht. Auf die Forderung nach dem Abzug der Atomwaffen von deutschem Boden ging Maas nicht ein. Im Wahlprogramm der SPD wurde das noch gefordert. Der neue Bundesfinanzminister Scholz steht wie sein CDU-Vorgänger zur „schwarzen Null“, was er auch am vorigen Donnerstag im Bundestag, als er die Aufgaben seines Ressorts vorstellte, betonte.

Vor allem mit Horst Seehofer spielt die Kanzlerin das Spiel „ich weise das mal zurück, lass dich aber mal machen“, sie warnte im Bundestag in ihrer Regierungserklärung vor einer weiteren Spaltung der Gesellschaft, beschwor den Zusammenhalt, machte deutlich, dass auch der Islam inzwischen ein Teil Deutschlands geworden sei und erhielt dafür auch von den Abgeordneten der Grünen und der Linkspartei wohlfeilen Beifall. Bei der Vorstellung seines Ressorts im Bundestag umging Seehofer am Freitag der vorigen Woche die Kritik. Statt dessen behauptete er, der gesellschaftlichen Polarisierung entgegenwirken zu wollen, „Gruppen zusammenzuführen, Politik für die Menschen in unserem Land zu machen“. Dazu gehört für ihn in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit Gesetzesentwürfe auf den Weg zu bringen. Die Sicherheitslage sei „sehr bedrohlich“. Er forderte einen „starken Staat“ und, dort „wo Grenzen überschritten, Regeln missachtet oder Gesetze gebrochen werden“ „null Toleranz“.

Seehofer kündigte einen Masterplan für die Migration an, will aber angeblich Menschenrechte nicht in Frage stellen. Er setzt auf die geplanten Ankunfts-, Entscheidungs-, Verteilungs- und Rückführungseinrichtungen (ANKER-Zentren, was für ein schönes Wort) und will konsequenter abschieben lassen. Sicherheit beginne aber vor allem an den eigenen Grenzen. Zu Fragen der Integration von Flüchtlingen sagte er nichts. Auf europäischer Ebene sollen die vielen bestehenden Datenbanken so miteinander so miteinander vernetzt werden, „dass unsere Sicherheitsbehörden künftig schneller und zielgerichteter agieren können“.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Wenig Neues in Berlin", UZ vom 29. März 2018



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