Israels Präsident in der Ukraine – Rada-Abgeordnete wollen nichts von OUN-Beteiligung am Holocaust wissen

Wider das Erinnern

Von Willi Gerns

Der Ukraine-Besuch des israelischen Präsidenten Reuven Rivlin, der im Zusammenhang mit dem 75. Jahrestag der Ermordung von 34 000 jüdischen Menschen in der Schlucht von Babi Jar durch SS und deutsche Wehrmacht sowie ukrainische Nazi-Kollaborateure stattfand, ist mit einem diplomatischen Skandal zu Ende gegangen.

Das Anliegen, das die Kiewer Machthaber mit den Gedenkveranstaltungen zu diesem Jahrestag – einschließlich einer Rede des israelischen Staatsoberhaupts vor dem ukrainischen Parlament (Rada) – verbanden, bestand offensichtlich darin, die Beteiligung ukrainischer Nationalisten an dem Verbrechen zu überdecken und die Ukraine als ein zivilisiertes Land darzustellen, in dem Rassismus und Antisemitismus keinen Platz haben. Dieses Vorhaben ist durch den Auftritt des israelischen Präsidenten in der Obersten Rada und den darauf folgenden Reaktionen ukrainischer Politiker zunichte gemacht worden.

Präsident Rivlin wurde zunächst mit stehenden Ovationen empfangen. Die Begeisterung der Abgeordneten verstummte allerdings sehr schnell. Rivlin beschuldigte die „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ (OUN) der Komplizenschaft beim Holocaust und der direkten Teilnahme an der Ermordung von Juden: „Viele Unterstützer des Verbrechens waren Ukrainer. Unter ihnen haben sich besonders die Kämpfer der OUN hervorgetan, die Juden verhöhnten, sich an ihnen vergingen, sie umbrachten und in vielen Fällen den Deutschen auslieferten“.

Ukrainische Politiker reagierten empört auf die Rede. Zu den ersten, die sich äußerten, gehörten Vertreter der OUN. Sie existiert nach wie vor in der Ukraine. Mehr als das. Dieser Organisation, an der das Blut tausender ermordeter Juden, Sinti und Roma, Polen und Russen klebt, hat der ukrainische Präsident Poroschenko im vergangenen Jahr noch den Status „Kämpfer für die Unabhängigkeit“ verliehen. Öffentliche Kritik an der OUN steht in der Ukraine unter Strafe.

Einer dieser Mordgesellen oder ihrer Nacheiferer ist der heutige Chef der OUN, Bogdan Tscherwak. Er erklärte nach der Rede Präsident Rivlins: „Das, was der Präsident des Staates Israel im ukrainischen Parlament gemacht hat, kann man nur eindeutig als ein in die Seele der Ukrainer Spucken bezeichnen. Die OUN des Holocausts zu bezichtigen, und dies noch dazu während einer Parlamentssitzung aus Anlass des 75. Jahrestages der Tragödie von Babi Jar – das bedeutet die ukrainische Nation zu erniedrigen.“ Der Führer der „Radikalen Partei“, Oleg Ljaschko, forderte den israelischen Präsidenten auf, sich vor dem ukrainischen Staat und Volk zu entschuldigen und anzuerkennen, dass der „Holodomor“ ein Genozid am ukrainischen Volk sei wie der Holocaust. Mit „Holodomor“ bezeichnen die ukrainischen Nationalisten die große Hungersnot als Folge von Missernten und Fehlern im Zuge der Kollektivierung der Landwirtschaft. Ihr sind in den Jahren 1932 und 1933 in der Ukraine und anderen Teilen der Sowjetunion Millionen Menschen zum Opfer gefallen. Heute wird der „Holodomor“ von den ukrainischen Nationalisten für Hetze gegen Russland missbraucht.

Der Chef des Instituts für das nationale Gedächtnis der Ukraine in Kiew, Wladimir Wjatrowitsch, erklärte: „Leider wiederholte der Präsident Israels den sowjetischen Mythos der Beteiligung der OUN am Holocaust.“ Und der Mitarbeiter dieses Instituts, Pawel Podobit, schlug vor, Präsident Poroschenko solle Israel dadurch „eine würdige Antwort“ geben, dass er während eines Besuchs in diesem Land die Juden der Teilnahme und Organisation des „Holodomor“ beschuldigt.

Präsident Rivlin hat seinen Ukraine-Besuch, der eigentlich bis zum 30. September dauern sollte, vorzeitig am 28. September beendet. Grund dafür waren allerdings nicht die provokatorischen Aussagen ukrainischer Politiker, sondern das Ableben des israelischen Ex-Präsidenten Schimon Peres.

Bezeichnenderweise haben die meisten deutschen Medien – vor allem Rundfunk und Fernsehen – nichts oder kaum über die Ausführungen des israelischen Präsidenten vor dem ukrainischen Parlament und erst recht nicht über die Reaktionen ukrainischer Politiker berichtet. Auch deutsche Politiker äußerten sich kaum.

Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass sie seit dem Staatsstreich in der Ukraine bemüht waren und sind, das daraus hervorgegangene Regime in Kiew und dessen braune Flecken schön zu reden und zu schreiben. In dieses Bild passen die Aussagen Präsident Rivins über die Rolle der OUN beim Holocaust ebenso wenig wie die der heutigen ukrainischen Verteidiger dieser Mörderbande.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher laden wir Sie ein, die UZ als Wochenzeitung oder in der digitalen Vollversion 6 Wochen kostenlos und unverbindlich zu testen. Sie können danach entscheiden, ob Sie die UZ abonnieren möchten.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Wider das Erinnern", UZ vom 7. Oktober 2016



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Schlüssel.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit