José Maria Sison und Rainer Werning im Gespräch über Imperialismus, Sozialismus und Befreiung

Widerstand auf Abwegen

Seit mehr als 50 Jahren dauert auf den Philippinen ein maoistisch-kommunistisch geführter Guerillakrieg an. Die Genossinnen und Genossen kämpfen gegen einen korrupten, reaktionären Staat wie auch den ihn stützenden US-Imperialismus. Sie werden verfolgt und gejagt – und sind doch nicht zu besiegen. Sieben Präsidenten, von Ferdinand E. Marcos bis Rodrigo Duterte, haben mit Unterstützung der US-Truppen Einkesselungs- und Unterdrückungskampagnen durchgeführt mit dem Ziel, die maoistische Neue Volksarmee (NPA) zu vernichten. Vergeblich. Die Despoten kamen und gingen, der Aufstand für soziale und politische Befreiung ist geblieben.

Wie kein anderer steht José Maria Sison mit seinen 81 Jahren für die Kontinuität und Ausdauer dieses Aufstands. Für die Herrschenden in seiner südostasiatischen Heimat ist er das Enfant terrible schlechthin. Zweifelsohne ist er der meistgesuchte und meistdiffamierte Linke der Philippinen. Sison war Gründungsvorsitzender der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) und Vorsitzender der CPP-Militärkommission, die im März 1969 die New People’s Army gründete. Er war 1977 gefangen genommen worden und verschiedenen Formen der Folter ausgesetzt. Mit dem Sturz von Marcos 1986 ist er freigekommen. Noch heute dient Sison dem 1973 gegründeten Linksbündnis der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP), das sich um eine Friedenslösung in dem Inselreich bemüht, als politischer Chefberater. Als „Terrorist“ diffamiert, lebt der Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und politische Vordenker seit über 30 Jahren in den Niederlanden im Exil.

Im Interviewband „Ein Leben im Widerstand. Gespräche über Imperialismus, Sozialismus und Befreiung“ gibt José Maria Sison zusammen mit dem Politikwissenschaftler, Publizisten und Philippinen-Experten Rainer Werning einen Überblick über einen Jahrzehnte währenden politischen Kampf. Mit Blick auf den philippinischen Widerstand selbst ist das Buch hochinformativ und spannend. Im Zentrum der Ausführungen stehen die globalen Umbrüche nach 1990, deren Folgen für die Philippinen wie die internationale Politik. Das Buch enthält im Anhang von Sison verfasste Gedichte sowie umfassende Bild- und Textdokumente.

Sisons durchgängige These lautet: Die Restauration des Kapitalismus in den ehemals sozialistischen Ländern von 1989 bis 1991 hat die Zahl der imperialistischen Mächte als wirtschaftliche Konkurrenten und politische Rivalen erhöht. „China und Russland gehören nunmehr auch zu den größten imperialistischen Mächten. Dadurch verschärfen sich die zwischenimperialistischen Widersprüche. Die Welt ist von imperialistischen Krisen, Plünderung, Staatsterrorismus und Angriffskriegen bedroht.“ Sison vertritt die optimistische Auffassung, dass den schlimmsten Folgen des Monopolkapitalismus, etwa die Bedrohung durch Atomkrieg oder die globale Erwärmung aufgrund der konzernbedingten Umweltzerstörung, nur entgegengewirkt werden kann durch die Erhebung revolutionärer Massenbewegungen unter Führung proletarischer Parteien in den entwickelten und unterentwickelten Ländern. „Das Proletariat und die Völker der Welt haben keine andere Wahl, als ihre eigenen Rechte und Interessen durchzusetzen, anstatt sich einfach von den imperialistischen Mächten gemeinsam unterdrücken und ausbeuten zu lassen.“

Die Diktion, wonach die Volksrepublik China – wie auch Russland – als „neuimperialistisch“ gilt, zieht sich durch das gesamte Buch und wird an keiner Stelle hinterfragt. „China hat sich vollständig in ein kapitalistisches Land verwandelt und zu einer imperialistischen Macht entwickelt“, so Sison. Die Philippinen seien „direkt mit dem chinesischen Expansionismus konfrontiert“. Bezeichnenderweise versieht der Interviewband das China-Bashing von US-Präsident Donald Trump im Verbund mit Grünen, FDP und AfD in Deutschland mit einer roten Schleife.

Glaubt man Sison, dann versucht die chinesische Führung, die Philippinen zu einer „Schuldenkolonie“ zu machen: „Dem Land werden Hochzins-Darlehen für überteuerte Infrastrukturprojekte aufgebürdet, die von chinesischen anstelle von philippinischen Bauunternehmen und Arbeitern durchgeführt werden.“ Kritische Nachfragen an dieser Stelle bleiben aus, konkrete Zahlen fehlen. Frank Sieren hat in seinem Bestseller „Zukunft? China!“ eindrucksvoll am Beispiel des Engagements in Afrika nachgezeichnet, wie falsch es ist, China „Neokolonialismus“ zu unterstellen. „15 Jahre chinesisches Engagement haben in Afrika inzwischen wesentlich mehr positive Spuren hinterlassen als ein halbes Jahrhundert meist redliche, manchmal gedankenlose, zuweilen aber auch zynische Entwicklungshilfe aus dem Westen.“ Laut Sieren ist China seit 2017 der wichtigste Anlaufpunkt für Englisch sprechende afrikanische Studenten, noch vor den USA. Über 100.000 studieren demnach inzwischen in China. „Peking lockt die Studenten mit attraktiven Stipendien. Allerdings wird das Visum nach dem Studium nicht verlängert. Die Nachwuchskräfte sollen in ihre Länder zurückkehren und helfen, Afrika aufzubauen.“ Parag Khanna hat dies in „Unsere asiatische Zukunft“ in ähnlicher Weise für zentralasiatische Staaten nachgezeichnet.

Mit Verve erinnert Sison dagegen an einen Höhepunkt internationaler Kooperation der vergangenen drei Jahrzehnte – die Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Mao Zedong unter Federführung der MLPD und anderer maoistischer Parteien 1993 in Deutschland. Das Seminar im Ruhrgebiet und ein daraus resultierendes Buch lieferten, so der Gesprächspartner, „einen bedeutenden Beitrag zur Wahrung, Verteidigung und Weiterentwicklung der Theorie und Praxis des Marxismus-Leninismus-Maoismus und des Sozialismus“. Indes, die revolutionären Kräfte der Philippinen wären politisch heute vermutlich in einer besseren Position, würden sie China nicht als Feind und „neue imperialistische Macht“ etikettieren. Seit dem Mao-Abend in Gelsenkirchen hat die Volksrepublik unter Führung der KP mehrere Hundert Millionen Menschen im Land aus der Armut befreit. Und mit der „Neuen Seidenstraße“ steht für die kommende Dekade ein ehrgeiziges globales Entwicklungsprojekt auf der Agenda, unter dem Banner des Sozialismus.

José Maria Sison, Rainer Werning
Ein Leben im Widerstand
Gespräche über Imperialismus,
Sozialismus und Befreiung.
Mediengruppe Neuer Weg
272 Seiten, 20,- Euro

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"Widerstand auf Abwegen", UZ vom 4. Dezember 2020



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