Begriffe wie „Angriffskrieg“ oder „Regime“ fallen nicht vom Himmel

Wie wir manipuliert werden

Am vergangenen Mittwoch sprach Albrecht Müller („NachDenkSeiten“) in Friesenheim über die Botschaft seines Buches „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst”. UZ dokumentiert einen Auszug seines Vortrages, in dem es um verschiedene geläufige Techniken der Manipulation geht.

Einige Zeit lang war ich Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt. Montags bis freitags trafen wir uns am frühen Morgen unter Vorsitz des Chefs des Bundeskanzleramtes in einem kleinen Sitzungssaal des Kanzlerflügels zur morgendlichen Lagebesprechung. Mit dabei außer den sechs Abteilungsleitern war der Regierungssprecher, damals die meiste Zeit Klaus Bölling, und der Redenschreiber des Bundeskanzlers. In dieser Runde wurde auch darüber beraten, was der Regierungssprecher bei der Bundespressekonferenz wie auch in Hintergrundgesprächen sagen sollte. Die morgendliche Lagerunde war und ist bis heute ein Ort der Sprachregelung. Man kann das Ergebnis solcher Beratungen bei der Bundespressekonferenz mit den Regierungssprechern beobachten. (…)

Sprachregelung ist überall spürbar. In der innen- und gesellschaftspolitischen Debatte beherrschen seit Jahren wiederkehrende Botschaften die Verlautbarungen: Es geht uns gut. Die Löhne sind zu hoch. Die Lohnnebenkosten sind auch zu hoch. Der Arbeitsmarkt ist zu unflexibel. Das hat uns Arbeitslosigkeit gebracht. Wir brauchen Reformen. Der Generationenvertrag trägt nicht mehr. Jetzt ist Digitalisierung angesagt. Und so weiter und so weiter.

Auch in der außenpolitischen und sicherheitspolitischen Debatte herrschen Sprachregelungen vor. Wir nennen Regierungen, die uns nicht passen, „Regime“ oder „Diktaturen“. Wir sprechen vom Mullahregime und vom Schlächter Assad. Wir sprechen hingegen nicht vom Schlächter Mohammed bin Salman al-Saud, wenn wir den Kronprinzen von Saudi-Arabien meinen. Obwohl Saudi-Arabien und andere Staaten des Nahen Ostens mit ihren Völkern und mit Nachbarn wie etwa dem Jemen mindestens so schlimm umgehen wie der Präsident in Syrien das angeblich tut, nennen wir diese dann besser nicht Diktatoren und nicht Schlächter. – So, nämlich Schlächter, könnten wir eigentlich auch Hillary Clinton wegen ihrer Rolle bei der Zerstörung staatlicher Strukturen in Libyen nennen, oder Obama, der mit dem Drohneneinsatz, über Ramstein gesteuert, schon ganze Großfamilien hat hinschlachten lassen. Da fehlt es offenbar an der entsprechenden Sprachregelung.

Auch die Corona-Debatte leidet unter Sprachregelungen. Die Begriffe „Corona-Leugner“, „Impfmuffel“ oder „Impfleugner“ und „Impfverweigerer“ sind aufgeladen mit negativen Vorurteilen. Die Begriffe treffen auch Menschen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können, oder auch jene, die sich nach intensiven Untersuchungen und Prüfungen dazu entschlossen haben, sich nicht impfen zu lassen. Die Sprachregelung stört und zerstört die Möglichkeit, die Debatte um dieses wichtige und große Problem differenziert und solidarisch zu führen.

Jetzt noch ein aktuelles Beispiel über die Nutzung der Sprache: Deutschland soll kriegstüchtig werden, meint Verteidigungsminister Pistorius. – Diese Verbindung des für viele Menschen positiv klingenden Begriffs „tüchtig“ mit dem Wort Krieg – das ist schon hohe Schule der Propaganda, der miserablen Propaganda. In dem Wort „tüchtig“ ist die Bereitschaft zum Krieg schon enthalten.

Wir kommen zur zweiten beschriebenen Methode der Manipulation: Manipulation mit ständig gebrauchten und mit einer Bewertung versehenen Begriffen. Dazu gibt es treffende aktuelle Beispiele: Angriffskrieg. Oder Putins Krieg. Bitte beachten Sie: Angriffskrieg ist kein normales deutsches Wort. Normalerweise sagen wir Krieg. Oder Erster Weltkrieg oder Zweiter Weltkrieg. Oder Vietnamkrieg. Die jetzt allenthalben gebrauchte Wortkombination Angriffskrieg soll signalisieren, dass es einen eindeutig Schuldigen gibt: Russland.

Damit sind wir gleich bei der nächsten Methode: Geschichten verkürzt erzählen. Das ist eine oft genutzte Methode der Manipulation: Erstes Beispiel: Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022. Darüber wird geredet und geurteilt ohne Beachtung der Vorgeschichte, ohne Berücksichtigung der 11.000 und mehr Toten beim Beschuss der Ostukraine mit ihrer russischstämmigen Bevölkerung durch die Artillerie der Ukraine. Zweites Beispiel für eine verkürzt erzählte Geschichte: Über den Terror der Palästinenser aus dem Gazastreifen wird berichtet und kommentiert, ohne die Umstände des jahrelangen Eingesperrtseins der Palästinenser zu beachten.

(…)

Die gleiche Botschaft aus verschiedenen Ecken aussenden: Als in Deutschland ab 1999 die Agenda 2010 und der Ausbau eines breiten Niedriglohnsektors durchgesetzt werden sollten, da konnten sich jene, die an niedrigen Löhnen interessiert waren, darüber freuen, dass diese Drecksarbeit von einem sozialdemokratischen Bundeskanzler begonnen und umgesetzt wurde: von Gerhard Schröder. Wichtig für die Glaubwürdigkeit der Forderungen und damit für die Durchsetzung der Agenda 2010 war es, dass nicht nur die daran interessierten Wirtschaftsbosse, sondern auch Personen, die als fortschrittlich galten, sich ebenfalls für diese Art von Reformen einsetzten – so zum Beispiel der ehemalige Spitzenpolitiker aus Baden-Württemberg Erhard Eppler.

Noch ein Beispiel aus der Außen- und Sicherheitspolitik: Als es ebenfalls 1999 darum ging, die Bundeswehr zu ihrem ersten Auslandseinsatz außerhalb des NATO-Bereiches in Jugoslawien zu schicken, was ein wirklicher Bruch der bisherigen politischen Linie war, bedurfte es zur Abwehr der Kritiker der gleichen Kriegsbotschaft aus verschiedenen Ecken: CDU und CSU waren sowieso dafür. Da fügte es sich, dass ein Sozialdemokrat Verteidigungsminister war, der diesen Krieg mitmachte, nämlich Rudolf Scharping, und dass auch der Außenminister, die damalige Spitzenfigur der Grünen, Joschka Fischer, seine Zustimmung gab und sich dann als Busenfreund der damaligen US-Außenministerin Madeleine Albright ganz besonders engagierte.

Also: Wenn so verschiedene Personen wie Angela Merkel von der CDU, Rudolf Scharping von der SPD und Joschka Fischer von den Grünen dafür werben, die Bundeswehr auf den Balkan zu schicken, dann haben Zweifler kaum eine Chance.

Der ungekürzte Vortrag ist auf den „NachDenkSeiten“ zu finden: kurzelinks.de/Manipulation
Albrecht Müller
„Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst“
Westend Verlag, 144 Seiten, 14 Euro

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"Wie wir manipuliert werden", UZ vom 24. November 2023



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