Brüsseler Geberkonferenz hat kein Interesse am Aufbau Syriens

Wiederaufbau: Fehlanzeige

Von Manfred Ziegler

Seit Jahren wird Syrien im Krieg zerstört. NATO- und Golfstaaten haben Milliarden Dollar investiert, um den Regime-Change in Syrien herbeizuführen. Das letzte Beispiel waren ca. 100 Millionen Dollar in Form von Cruise-Missiles der USA, Großbritanniens und Frankreichs, die ein Forschungszentrum in Damaskus in Schutt und Asche legten. Verkauft wurde das als Angriff auf ein Zentrum eines Chemiewaffenprogramms. Doch die OPCW fand weder vor noch nach dem Angriff Spuren von Chemiewaffen.

Ein besonders krasses Beispiel war die vollständige Zerstörung der syrischen Stadt ar-Raqqa durch US-Luftwaffe und Artillerie. Raqqa liegt auf dem Gebiet, das heute von den USA und ihren kurdischen Verbündeten kontrolliert wird. Wiederaufbau: Fehlanzeige.

Als Anfang April ein Team der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR Raqqa zum ersten Mal nach der Vertreibung des IS erreichen konnte, waren die Mitglieder schockiert. „Das Ausmaß der Zerstörung überschritt alles, was sie je zuvor gesehen hatten“, schreibt das UNHCR auf seiner Website. Die Infrastruktur ist zerstört, es gibt keine Elektrizität, kein Trinkwasser. Blindgänger führen immer wieder zu Tod und Verstümmelung. Seit Oktober letzten Jahres wurden 130 Menschen getötet, über 600 verletzt.

In Raqqa gibt es keine Sicherheit und es gilt kein Gesetz. Organisierte Verbrecherbanden plagen die Menschen, die zurückgekehrt sind. Der einzige Schutz vor sexuellen Übergriffen für junge Mädchen ist, dass sie von ihren Familien früh verheiratet werden. Womöglich liegen unter dem Schutt noch Tausende Leichen, die nicht geborgen werden.

Im April fand in Brüssel eine „Geberkonferenz“ statt, auf der eine Reihe von Staaten Gelder versprachen. Angeblich, um das Leid der Zivilbevölkerung in Syrien zu lindern. Versprochen wurden 4,4 Milliarden Dollar, von 9 Milliarden, die benötigt werden. Der größte Betrag kommt von Deutschland, auch die EU und Großbritannien stellen nennenswerte Beträge zur Verfügung.

Der größte Teil dieser Gelder dient nicht Flüchtlingen in Syrien, sondern der Stabilisierung der Länder, die mehr oder weniger mit dem Westen zusammenarbeiten: Türkei, Jordanien, Libanon. Ihnen hätten 60 Prozent der 9 Milliarden Dollar zufließen sollen, die die UN eigentlich für nötig hielt. Flüchtlinge innerhalb Syriens hätten nur 40 Prozent erhalten sollen. Wir können davon ausgehen, dass vom wirklich bereitgestellten Geld noch weniger als 40 Prozent nach Syrien gelangt.

Statt den Wiederaufbau zu unterstützen, setzt die westliche „Internationale Gemeinschaft“ Zerstörung und Not in Syrien ein, um ihr Ziel des Regime-Change zu erreichen. Reuters zitiert einen hochrangigen Offiziellen der US-Regierung zum Thema Wiederaufbau mit den Worten: „Wir haben überhaupt keinen Anlass, uns selbst eines der wichtigsten Hebel zu berauben, mit dem wir Einfluss auf den politischen Prozess in Syrien nehmen können.“

Das gleiche gilt für die EU. Federica Mogherini, die Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, machte deutlich: kein Geld für den Wiederaufbau, solange es nicht eine endgültige Friedenslösung gibt. Und das heißt im Klartext: kein Geld, solange Assad Präsident ist. Und trotz angeblicher humanitärer Hilfe gelten die Sanktionen gegen Syrien weiter – und verschärfen die humanitäre Krise.

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"Wiederaufbau: Fehlanzeige", UZ vom 4. Mai 2018



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