Mathis Robert, Berlin, zum Klassencharakter der KP Chinas

Zur Frage der politischen Macht

Mathis Robert

Der Antrag und einige Beiträge bezeichnen zu Recht die Frage der politischen Macht in China als entscheidend. Bisher wurde dieser Punkt jedoch nur oberflächlich behandelt.

Der Antrag des PV erklärt, dass die Rückständigkeit der sozialistischen Staaten sie dazu gezwungen habe, Kompromisse mit dem Klassenfeind einzugehen, aber er versichert, dass diese unter Kontrolle gehalten werden können: „Sind die Machtverhältnisse klar, können Kapitalisten sowohl aus dem Inland wie dem Ausland genutzt werden, um eine nachholende Entwicklung der Ökonomie zu ermöglichen. Dies muss unter enger Führung der kommunistischen Partei erfolgen, ansonsten führen die in der Warenproduktion angelegten Widersprüche zu einer Rückentwicklung in die kapitalistische Produktionsweise.”

Es hängt also davon ab, ob die Machtverhältnisse in China klar sind. Herbert Münchow meint ja: „Die Genossen lassen kein Rütteln an der Machtfrage zu.“ Doch wer sind „die Genossen” dort? Die KPCh hat mittlerweile über 90 Millionen Mitglieder. Seit über 20 Jahren verkörpert sie diverse Klassen, darunter Privatunternehmer, während der Anteil der Arbeiter und Bauern weiter abnimmt.

In seiner jüngsten Verteidigung der Entwicklungen in China schrieb Beat Schneider: „Auch wenn die Partei heute offiziell beteuert, dass ‚Arbeiter, Bauern, Soldaten und Intellektuelle das Fundament und das Rückgrat der KPCh bleiben‘, so muss ergänzt werden, dass die KPCh längst eine breite Volkspartei ist. Sie ist heute eine Kombination von verschiedenen Klassen. In ihr nimmt die neue und ‚weltgrößte Mittelschicht‘ einen bedeutenden Platz ein. Hier wird bewusst der soziologische und nicht klassenpolitische Begriff übernommen. Er umfasst die vielen Facharbeiter, Staatsangestellten, Lehrer, Ingenieure, Akademiker, Kleinunternehmer und so weiter. Die chinesische Mittelschicht ist das Produkt des Wirtschaftswunders.“ („junge Welt“ vom 29. November 2022)

Die KPCh hat sich zu einer nationalen Massenpartei entwickelt. Ausdruck dessen sind kleinbürgerliche Auffassungen, die von Parteifunktionären oft wiederholt werden: Betonung von „Harmonie” und Herunterspielen von Klassenwidersprüchen, Idealisierung der „Tradition” (Konfuzianismus als besonders geeignet für den Sozialismus), die These einer nationalspezifischen Art von Sozialismus und so weiter. Solche Auffassungen sind nicht neu – erinnert sei an die nationaldemokratischen Regime im 20. Jahrhundert, die übrigens auch eine Menge Armut und Analphabetismus beseitigt haben.

Der Klassencharakter der KPCh (und damit auch der Volksrepublik) ist heute unklar: Die Bourgeoisie hat kein Machtmonopol, aber die Arbeiter haben auch keine Hegemonie in der nationalen Bewegung. Der Antrag weist zu Recht darauf hin, dass ohne diese Hegemonie die Aufgaben des Sozialismus nicht erfüllt werden können (Zeile 68).

Das bedeutet nicht, dass die KPCh keine fortschrittliche Kraft darstellt, aber wir müssen verstehen, dass sie keine leninistische Partei ist. Das heißt: Die Staatsmacht der KPCh unterscheidet sich heute wesentlich von der Staatsmacht der Bolschewiki während der NÖP-Jahre. An der Spitze steht nicht die Avantgarde der Arbeiterklasse im Bündnis mit den Bauern, sondern eine Massenpartei, die sich hauptsächlich auf eine „Mittelschicht“ stützt. Und so wäre es ein Fehler, die Marktreformen als Bestandteil eines gelenkten und durchdachten Plans in Richtung Kommunismus zu verstehen, wie es der Antrag nahelegt. Wir müssen theoretische Klarheit bewahren: Die rasante Entwicklung der Produktivkräfte und die Beseitigung der Armut in China sind zweifellos große Errungenschaften, aber sie beweisen letztlich nicht, dass „die KPCh am Sozialismus festhält“ (Zeile 291). Eine solche Stellungnahme bedarf einer viel tieferen Prüfung.

Wie andere bereits gesagt haben: Wir als Kommunisten in Deutschland können China gegen die imperialistische Aggression verteidigen (und sogar seine objektiv fortschrittliche Rolle in der Welt anerkennen), ohne dabei unser Verständnis von Sozialismus und Leninismus über Bord zu werfen.

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"Zur Frage der politischen Macht", UZ vom 20. Januar 2023



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