Zur Vorgeschichte des Ermittlungsskandals

Kolumne von Herbert Mies

„Friedhofsruhe erwünscht: Ermittlungen gegen Journalisten wegen Landesverrat“ Das ist ein Skandal. Er ist sicherlich dem verfassungswidrigen Verhalten des Generalbundesanwalt Harald Range zuzuschreiben. Dieser Skandal hat aber auch seine Urahnen, seine Urheber. Sie finden sich unter den Schöpfern des Strafrechtsänderungsgesetzes, auch „Blitzgesetz“ genannt. Bis zum 30. August 1951, als das Strafrecht um „politisches Strafrecht“ ergänzt wurde, galt in der Bundesrepublik nur eine einzige Staatsschutzbestimmung: Schutz vor Hochverrat. Ab dann wurde mit diesem Gesetz „Landesverrat“ als Tatbestand eingeführt.

Veranstaltung zum 40. Jahrestag der DKP 2008 in Recklinghausen

Veranstaltung zum 40. Jahrestag der DKP 2008 in Recklinghausen

( Adi Reiher)

In der Weimarer Republik hatten die Vorschriften über Landesverrat eine verhängnisvolle Bedeutung zur Diffamierung des politischen Gegners, zur Unterdrückung pazifistischer Enthüllungen über Aufrüstungsmaßnahmen. In Hitlers „Heimtückegesetz“ wurde der Landesverratsparagraf zu einer Vorschrift für Hinrichtungen pervertiert. Mit der willkürlichen Handhabung des Paragraphen „Landesverrat“ wurde nicht nur die Tätigkeit von Kommunisten, sondern auch die jeder Art von linker Opposition kriminalisiert. Das war damals so und das war später in Zeiten des Kalten Krieges so.

Das sollte Vergangenheit gewesen sein. Mit der Versetzung Ranges in den Ruhestand, der bloßen Kritik an den Ministern für Justiz und Inneres wegen Untätigkeit, der Forderung nach Rücktritt des Präsidenten des Verfassungsschutzes ist es nun nicht getan. Eine der Konsequenzen des derzeitigen Skandals wäre: Die meisten Staatsschutzbestimmungen – des Jahres 1951 –, vor allem die zum Landesverrat, gehören annulliert. Diese so genannte Staatsschutzbestimmung wurde fast wörtlich aus der Strafrechtsnovelle von 1934 zum „Landesverratsdelikt“ übernommen. Die Bestrafung dieses Delikts war darauf angelegt, die Verfolgung von Oppositionellen weit vorzuverlegen.

Max Reimann schrieb in seinen Erinnerungen, die Adenauerpolitik wäre in die Brüche gegangen, wären die Auseinandersetzungen um die Grundentscheidungen der Politik zu Anfang der fünfziger Jahre auf dem Boden der von seinen Vätern geschaffenen Verfassung mit demokratischen Mitteln ausgetragenen worden. Es wäre nicht zu einem reaktionären „Blitzgesetz“ mit seinem Landesverrat-Delikt und nur schwerlich zum Übergang zur politischen Justiz gekommen.

Der Paragraph „Landesverrat“ hatte noch einen anderen Vorlauf. Er begann mit einer Rede des amerikanische Präsidenten Truman am 21.August 1951: „Der Amerikanismus wird im Lande und außerhalb des Landes vom Kommunismus angegriffen … Wir zerbrechen die kommunistische Verschwörung in den Vereinigten Staaten. Wir bauen unsere Verteidigung auf, machen unser Land stark und helfen unseren Verbündeten, damit sie sich selbst helfen können.“

Die „Stärkung der USA“ geschah in der Folgezeit durch den antikommunistischen Hexenjäger McCarthy. Die „Hilfe für die Verbündeten“ hatte Adenauer schon vorher eigenständig begonnen. Eine Volksbefragung zu der Frage „Sind Sie gegen die Remilitarisierung Deutschlands und für den Abschluss eines Friedensvertrages“, die bereits sechs Millionen Bürgerinnen und Bürger per Unterschrift gefordert hatten, wurde verboten. Das Verbot der Freien Deutsche Jugend in Westdeutschland am 26. Juni 1951 wegen ihres Kampfes gegen die Spaltung Deutschlands wurde von der Adenauerregierung betrieben, aber auch von einigen SPD-Führern unterstützt.

Wenig später unterzeichnete Bundeskanzler Adenauer in Paris den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Durch diesen Vertrag sollte die Handhabe geschaffen werden, eine Westdeutsche Armee aufzustellen.

Das waren sowohl Vorläufer als auch Begründungen für die Einführung des Landesverrats in die politische Strafjustiz.

Mit den Stimmen der SPD, aber gegen die der KPD verabschiedete der Bundestag das 1. Strafrechtsänderungsgesetz. das das Strafrechtsgesetzbuch in dem Bereich Hochverrat um „Landesverrat“ ergänzte, trotz massenhafter Volkskritik und nachhaltiger Kritik des 38. Juristentages.

Auf Grund des Gesetzes wurden zwischen 1952 und 1954 über 8 000 Strafverfahren wegen politischer Delikte eingeleitet. Der neu aufgenommene Tatbestand der Staatsgefährdung wurde zur juristischen Grundlage für die politische Verfolgung all jener die sich der Wiederbewaffnung, Westintegration und der Hinnahme der Spaltung Deutschlands widersetzten. Das traf auch mich, der ich damals ein Sekretär des Zentralbüros der verbotenen Freien Deutschen Jugend in Westdeutschland war.

Mir und vielen anderen drohten in dieser Zeit Verhaftung, Treibjagd mit Haftbefehlen und Verurteilung wegen Staatsgefährdung als Rädelsführer. Meine stille Hoffnung, dass sich die SPD zu einer Initiative aufschwingt, um das Gesetz zu Fall zu bringen, ging nicht in Erfüllung. Meine Hoffnung gründete sich unter anderem auf eine harte Selbstkritik und Kritikim Jahre 1954 durch den damaligen Rechtsexperten der SPD an der gesetzgeberischen Arbeit des Bundestages und an der Fehlleistung des Bundesjustizministeriums in Sachen Strafrechtsänderungsgesetz. Zu Konsequenzen kam es nicht.

Es würde an ein Wunder grenzen, wenn die SPD von heute auf ihre Altvorderen hören würde. Wozu sie in fünfzig Jahren nicht Willens und fähig war, könnte ja heute von der Partei „Die Linke“ aufgegriffen werden.

(Foto: Adi Reiher, 2008 / Veranstaltung zum 40. Jahrestag der DKP in Recklinghausen)

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher laden wir Sie ein, die UZ als Wochenzeitung oder in der digitalen Vollversion 6 Wochen kostenlos und unverbindlich zu testen. Sie können danach entscheiden, ob Sie die UZ abonnieren möchten.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Zur Vorgeschichte des Ermittlungsskandals", UZ vom 14. August 2015



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Auto.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit