Unternehmen suchen dringend Fachkräfte, mehr zahlen wollen sie nicht

Zuwanderung statt Lohnerhöhung

Das Fehlen von Fachkräften kostet die Unternehmen in Deutschland allein in diesem Jahr rund 105 Milliarden US-Dollar, war am vergangenen Freitag in der „Wirtschaftswoche“ zu lesen. Erwähnt wurde hier allerdings nicht, dass vor allem die Branchen betroffen sind, die sich durch miserable Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne auszeichnen. Auch im Hotel- und Gaststättengewerbe fehlt es – nicht zuletzt aufgrund von Löhnen knapp über dem Mindestlohn – an variablem Kapital. Angesichts dieses selbstverschuldeten „Fachkräftemangels“ forderte der Branchenverband Dehoga eine baldige Umsetzung der von der Ampel-Koalition angekündigten Einwanderungsreform. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hatte in der vergangenen Woche einen entsprechenden Kabinettsbeschluss für Anfang März angekündigt. Ein bereits abgesegnetes Eckpunktepapier sieht vor: Wer gut Deutsch spricht und Berufspraxis hat, soll hierfür Punkte bekommen und in Deutschland einen Job suchen können.

Dies entspricht auch den Vorstellungen des Hotel- und Gaststättenverbandes, deren Sprecherin sich gegenüber dem „Deutschlandfunk“ für eine gezielte Erwerbsmigration aus Drittstaaten nach Deutschland aussprach. Gesucht würden Fach- und Arbeitskräfte in allen Bereichen. Vor allem für die meist kleinen und mittelständischen Betriebe in ländlichen Regionen gestalte sich der Wettbewerb um Mitarbeiter schwierig. Schätzungen zufolge gebe es derzeit bundesweit rund 50.000 offene Stellen, teilte die Verbandssprecherin mit. Man erwarte, dass die Zahlen im Frühjahr noch einmal deutlich steigen werden.

Auch aus dem Handwerk wird angesichts 250.000 offener Stellen der Ruf nach gezielter Zuwanderung laut. „Wir suchen händeringend Fachkräfte. Das bremst die Konjunktur und deswegen brauchen wir verstärkt Zuwanderung“, fordert der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Magdeburg, Burghard Gruppe. Arbeitskräfte würden nicht nur in einigen Bereichen des Handwerks fehlen. „Sie fehlen wirklich überall – in jedem Gewerk, quer durch alle Branchen“, so der verzweifelte Ruf aus der IHK. Konkrete Zahlen nennt der aktuelle Fachkräfte-Migrationsmonitor der „arbeitgeber“nahen Bertelsmann Stiftung. Bei den meisten Unternehmen fehlten Mitarbeiter mit Berufsausbildung (61 Prozent), ein Viertel suche händeringend Fachkräfte mit Hochschulabschluss und in 18 Prozent der Betriebe werde auch Personal ohne Berufsausbildung gesucht.

Das Prinzip ist nicht neu: Statt Arbeitsbedingungen zu verbessern, werden Menschen angeworben, die aufgrund ihrer ökonomischen Situation gezwungen sind, jede Arbeit anzunehmen. Die Gesundheitsminister der Länder hatten sich bereits im April des vergangenen Jahres darauf geeinigt, Berufsqualifikationen von aus der Ukraine geflüchteten Pflegekräften in Deutschland zügig anzuerkennen. Was damals auf den ersten Blick als ein gut gemeinter Versuch zur Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt erschien, entpuppte sich schnell als Maßnahme, das Arbeitskräftereservoir im hiesigen Niedriglohnsektor weiter aufzustocken. Die Unternehmen der Alten- und Krankenpflege konnten sich jedenfalls über besonders billige Fachkräfte mit hohem Qualifikationsniveau freuen.

Kritik an dieser Anwerbepraxis kam von Seiten des DGB. Der Einsatz Geflüchteter in prekären Beschäftigungsverhältnissen dürfe nicht dazu dienen, die Versäumnisse in der Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre zu kompensieren. Stattdessen müssten sich die Bedingungen für alle Beschäftigten verbessern, unabhängig davon, ob sie bereits in Deutschland leben, zu Arbeitszwecken einwandern oder auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung ins Land kommen.

Die Kapitalseite hat hierauf naturgemäß einen ganz anderen Blick. „Arbeitgeber“-Präsident Rainer Dulger kommentierte das geplante Fachkräfteeinwanderungsgesetz: „Fachkräftesicherung ist Wohlstandssicherung.“

Wie mit denjenigen verfahren wird, die für das Kapital nicht unmittelbar ökonomisch verwertbar sind und so zu deren „Wohlstandssicherung“ beitragen, lässt sich in einem Bericht von Pro Asyl nachlesen: „Seit der Jahrtausendwende sind an den Außengrenzen der EU bereits zehntausende Menschen ums Leben gekommen, die auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung und Elend waren. Die Politik der EU nimmt ihren Tod billigend in Kauf.“

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"Zuwanderung statt Lohnerhöhung", UZ vom 27. Januar 2023



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