Ruhrgebietsstädte in der Vergeblichkeitsfalle

10 Jahre Spardiktat

Der Regionalverband Ruhr (RVR) hat am 12. Januar den Kommunalfinanzbericht 2022 vorgestellt. Die Präsentation des von Prof. Martin Junkernheinrich und Gerhard Micosatt erstellten Berichtes wurde mit den Schlagzeilen „Zukunft mit erheblichen Risiken – Städte mit ungelösten alten Problemen vor neuen Belastungen“ überschrieben.

Auch nach zehn Jahren Spardiktat des „Stärkungspakt Stadtfinanzen“, denen die Ruhrgebietsstädte seit 2011/2012 unterworfen wurden, stecken die Ruhrgebietsstädte weiter in der Vergeblichkeitsfalle der Verschuldung. Dies trotz drastischer Streichungen bei kommunalen Leistungen wie Schließung von Bädern, Büchereien und Jugendeinrichtungen sowie gestiegenen kommunalen Gebühren und einem massiven Stellenabbau.

Aktuell sind die Ruhrgebietsstädte mit 12,6 Milliarden Euro Liquiditätskrediten verschuldet. Gleichzeitig sind die Investitionskredite im Jahr 2021 um 314 Millionen Euro auf 8,7 Milliarden Euro angewachsen. Dies ist seit 2016 ein Zuwachs um 752 Millionen Euro. Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch, Vorsitzender des RVR-Kommunalrates der Revier-Oberbürgermeister, äußerte bei der Vorstellung des Kommunalfinanzberichtes: „Bei den Altschulden sitzen wir auf einem Pulverfass. Und da die Zinsen weiter steigen werden, wird die Zündschnur immer kürzer.“ Eiskirch geht für die 222 in NRW betroffenen Schuldenstädte von einer Zinslast von jährlich 400 Millionen Euro aus. „Jeder Zinsschritt um ein Prozent kostet die Städte 200 Millionen Euro“, so Eiskirch. Aktuell profitieren die Städte noch von einer Null-Zins-Politik der letzten Jahre. Doch diese Zinsbindungen laufen jetzt aus. Die Kommunen müssen künftig mit einem Zinsniveau bei Kommunalkrediten von etwa 2 Prozent rechnen. „Die Zinserhöhungen verteuern die Entschuldung und erschweren insbesondere die Lösung der nordrhein-westfälischen Spitzenlastproblematik“, heißt es in dem Kommunalfinanzbericht.

Die Hauptursache für die kommunale Verschuldung der Ruhrgebietsstädte liegt bei den überdurchschnittlichen Sozialausgaben. „Die Nettoausgaben für soziale Transferleistungen fallen im Ruhrgebiet im Vergleich zum Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer um 281 Euro je Einwohner höher aus. Die Differenz zum Durchschnitt der westdeutschen Länder bedeutet eine Mehrbelastung, deren absolutes Volumen 1,43 Milliarden Euro betrug“, heißt es im Kommunalfinanzbericht. So stiegen die sozialen Transferleistungen 2021 gegenüber dem Vorjahr erneut überproportional im Ruhrgebiet um 40,1 Euro je Einwohner, während im übrigen NRW der Zuwachs nur 1,3 Euro je Einwohner betrug.

Die hohen Sozialausgaben reduzieren den finanziellen Spielraum der Kommunen im Ruhrgebiet für Investitionen, zum Beispiel in dringend benötigten Schulgebäuden und Kitas. So betragen die Investitionen der Städte pro Einwohner nur 250 Euro, während in den westdeutschen Flächenländern 399 Euro je Einwohner investiert werden. Die Folge ist ein immer größerer Investitionsstau in allen Bereichen der kommunalen Infrastruktur. Damit erhöht sich zugleich der Druck auf die Streichung kommunaler Pflichtaufgaben sowie die Privatisierung städtischer Aufgaben wie im Bereich der Jugendhilfe.

Vielfach wird die Bevölkerung dadurch getäuscht, dass die Städte auch im Ruhrgebiet einen ausgeglichenen Haushalt ausweisen. Der Kämmerer der Stadt Bochum verkündete stolz, dass die Stadt ihr Haushaltsjahr 2021 mit einem Plus von 67,2 Millionen Euro abgeschlossen hat. Allein die Corona- Sonderkosten betrugen in der Stadt bis Ende 2021 jedoch 105,4 Millionen Euro. Diese Mehrkosten werden trickreich aus dem Haushalt herausgerechnet und ab 2025 über 50 Jahre abgezahlt. Von einem ausgeglichenen Haushalt kann daher keine Rede sein. Der gesamte Schuldenstand beträgt in Bochum 1,73 Milliarden Euro. Der Deutsche Städtetag rechnet für die Kommunen mit einem Defizit von 5,8 und 5,3 Milliarden Euro für die Jahre 2022 und 2023. Die Inflation im Bausektor sowie die Folgekosten des Wirtschaftskrieges und der Kriegsbeteiligung gegen Russland werden die Haushalte der Kommunen zusätzlich belasten.

In den NRW-Koalitionsverträgen 2017 der CDU/FDP sowie 2021 der CDU/Grüne-Landesregierung wurden Schritte zur Entschuldung der Kommunen angekündigt. Konkrete Schritte wurden bisher jedoch nicht unternommen. Die Verschuldung der Kommunen ist politisch gewollt und ein Teil des reaktionären Staatsumbaus. Notwendig sind eine komplette Streichung und Übernahme der Liquiditätskredite durch die Banken sowie den Bund und das Land. Nur so kann die Handlungsfreiheit der Städte als Voraussetzung einer kommunalen Demokratie wiederhergestellt werden.

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"10 Jahre Spardiktat", UZ vom 3. Februar 2023



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