Die Wahlprogramme der Bundestagsparteien im Vergleich

Abschieben, oder?

Von Nina Hager

Der Bundesinnenminister handelt. Statt durch das Land zu touren und Wahlkampfreden zu halten, steht er – in Abstimmung mit den Regierungsmitgliedern sowie Vorständen der Unionsparteien wie dem Koalitionspartner SPD – für grundsätzliche Entscheidungen. Auch im Hinblick auf die Flüchtlings- und Asylpolitik.

In der vorigen Woche wurde nach Vorlage eines neuen Lageberichts des Auswärtigen Amtes über Afghanistan durch die Bundesregierung entschieden, dass die Abschiebungen in das Land wieder aufgenommen werden. In der „Tagesschau“ folgte auf die entsprechende Mitteilung des Bundesinnenministers Thomas de Maizière (CDU) ein Bericht über einen Anschlag in Kabul. Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) töteten bei der Erstürmung einer vollbesetzten Moschee mindestens 20 Menschen. Weit mehr als 40 wurden verletzt. Anschläge, die vor allem die Zivilbevölkerung treffen, gibt es in der Hauptstadt und anderen Teilen des Landes jeden oder fast jeden Tag. So „sicher“ ist die Lage im Land.

Aber was kümmert das? Und de Maizière macht damit durchaus Wahlkampf für die Unionsparteien. In deren „Regierungsprogramm 2017–2021“ für die Bundestagswahlen wird zwar behauptet, man wolle „Menschen in Not“ helfen, zugleich aber soll Migration gesteuert und vor allem reduziert, sollen „abgelehnte Bewerber konsequent“ zurückgeführt, also abgeschoben werden. Man feiert sich unter anderem, weil man bereits die „Zahl derer, die kein Bleiberecht haben, wirksam reduziert“ habe. „Wir haben Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien Montenegro und Serbien zu sicheren Herkunftsländern erklärt und so die Asylbewerberzahlen wesentlich senken können.“ Das betrifft oft Roma, die in ihren Herkunftsländern meist unter erbärmlichen Verhältnissen leben und nicht selten verfolgt werden. „Gleiches muss für Algerien, Marokko und Tunesien gelten.“ Dabei wird es garantiert nicht bleiben – Afghanistan wird ja schon jetzt als relativ „sicher“ angesehen. Auch die SPD will abgelehnte „Flüchtlinge konsequenter in ihre Herkunftsländer zurückführen“.

Die CSU wird in ihrem „Bayernplan“ noch deutlicher. Sie fordert nicht nur eine „Obergrenze“ für Flüchtlinge, scharfe Grenzkontrollen, eine lückenlose Erfassung der Daten aller Flüchtlinge, sondern erklärt ebenso: „Wer kein Bleiberecht hat, muss das Land verlassen.“ Und – wohl mit Blick auf jene Bundesländer, die eine solche Praxis eher kritisch sehen: „Rückführungen müssen bundesweit koordiniert und mit aller Konsequenz vollzogen werden.“ An anderer Stelle wird betont: „Wer nach Wegfall des Fluchtgrundes nicht freiwillig zurückkehrt, den müssen wir konsequent zurückführen.“ Und nur denen, die ein dauerhaftes Bleiberecht haben, soll erlaubt werden ihre Familien nachzuholen. Zudem wird gefordert: „Wir müssen dafür sorgen, dass sich Asylbewerber nicht unrechtmäßig Leistungen erschleichen.“ Gewarnt wird dabei auch vor einer angeblichen „Einwanderung“ in die „deutschen Sozialsysteme“. Auffällig in beiden Programmen – sowohl im gemeinsamen Regierungsprogramm wie im „Bayernplan“ – ist zudem, wie die Frage des Asyls mit der der Kriminalität verknüpft wird. Das findet man auch bei der AfD.

Vor allem im „Bayernplan“ der CSU gibt es viele Übereinstimmungen mit den Wahlforderungen der AfD, die die Grenzen natürlich sofort dicht machen will und zudem eine „Minuseinwanderung“ wie eine „jährliche Mindestabschiebequote“ fordert und gar keinen Familiennachzug will.

Einig sind sich die Unionsparteien mit der AfD, der FDP, aber auch der SPD, dass man die Fluchtursachen vor Ort „bekämpfen“, aber „Europa“ natürlich seine Grenzen besser „schützen“ müsse. So schreibt auch die SPD in ihrem „Regierungsprogramm“ zwar viel über bessere Integration, aber fordert zugleich: „Wir müssen die Fluchtursachen in den Heimatländern bekämpfen, die Außengrenzen Europas sichern.“ Wie man aber beispielsweise die Ausbeutung der Ressourcen Afrikas durch die großen, auch deutschen, Monopole, das Landgrabbing oder die die dortigen Kleinbauern ruinierenden Lebensmittelimporte aus Europa usw. beendet, aber auch die zunehmende Militarisierung von Konflikten und die eigene Beteiligung an diesen, steht da nicht.

Einig ist man sich auch darin, ganz im Interesse des Kapitals, dass dagegen die Zuwanderung von Fachkräften, egal aus welcher Region, unbedingt gefördert werden muss.

Hervorzuheben ist, dass in Fragen der Flüchtlings- und Asylpolitik die Grünen eine andere Position vertreten – wie natürlich auch die Partei „Die Linke“, die konsequent, solidarisch und internationalistisch eine solidarische „Einwanderungsgesellschaft“ mit gleichen politischen wie sozialen Rechten für alle fordert und die Abschottung EU-Europas ablehnt. Auch die Grünen lehnen die Verschärfung der Asylpolitik durch die Bundesregierung ab, mit der u. a. Abschiebungen erleichtert wurden: „… durch Aufnahmeprogramme von Flüchtlingen in Europa (dürfen) das Grundrecht auf Asyl und die Gewährleistungen der Genfer Flüchtlingskonvention nicht ausgehöhlt werden. Die Aufnahme darf nicht auf Flüchtlinge aus bestimmten Weltgegenden beschränkt werden.“ Und weiter heißt es u. a.: „Die De-facto-Auslagerung der europäischen Außengrenzen durch Migrationspartnerschaften mit Staaten, in denen Menschen- und Flüchtlingsrechte nicht gewahrt sind, lehnen wir ebenso ab wie die Umwidmung entwicklungspolitischer Gelder für menschenrechtlich problematische Grenzschutzprojekte. Menschenrechtswidrige Rücknahmeabkommen werden wir zurücknehmen …“

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Abschieben, oder?", UZ vom 1. September 2017



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