Berlin setzt Provokation gegen Peking fort

Alles andere als ein normaler Besuch

Rein formal bewegt sich die Taiwan-Reise von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger noch im Rahmen der Ein-China-Politik, zu der sich die Bundesregierung offiziell bekennt. Demnach erkennt Deutschland an, dass China als einheitliches Land fortbesteht – und dass es seine legitime Ausformung in der Volksrepublik besitzt. Entsprechend unterhält die Bundesrepublik keinerlei diplomatische Beziehungen zu Taiwan und pflegt – dies hat zuletzt eine Sprecherin des Auswärtigen Amts im August vergangenen Jahres ausdrücklich bestätigt – „keine Kontakte auf Ebene der souveränitätsrelevanten Ämter“. Als solche gelten die Ämter des Bundespräsidenten, der Präsidenten von Bundestag und Bundesrat, des Bundeskanzlers, der Außenministerin, des Verteidigungsministers und des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Gleichzeitig werden in Berlin traditionell Kontakte zu Inhabern „souveränitätsrelevanter“ Ämter der taiwanischen Behörden vermieden. Nicht betroffen sind Arbeitskontakte zwischen sogenannten Fachministerien; deren – so der Gedanke – allein an Sachfragen orientierten Außenbeziehungen misst Berlin keinerlei implizite Bedeutung in puncto Souveränität bei. Entsprechend betont das Bundesforschungsministerium, bei Stark-Watzingers Taiwan-Reise handele es sich um einen „Fachbesuch“.

Dass zumindest Teile der Berliner Regierungskoalition deutlich weiter reichende Absichten hegen und es erklärtermaßen darauf anlegen, die Konventionen der Ein-China-Politik gezielt zu brechen, zeigen Aktivitäten zahlreicher Bundestagsabgeordneter und vor allem auch Äußerungen aus Stark-Watzingers Partei, der FDP. So sind seit Herbst 2022 gleich mehrere Bundestagsdelegationen nach Taipeh gereist und dort unter anderem mit Präsidentin Tsai Ing-wen sowie Außenminister Joseph Wu zusammengetroffen – beides in der Terminologie des Auswärtigen Amts „souveränitätsrelevante“ Ämter. Der FDP-Abgeordnete Peter Heidt, der im Oktober eine Delegation des Bundestags-Menschenrechtsausschusses nach Taipeh führte, wurde im Dezember mit der Äußerung zitiert, er könne sich „schon vorstellen“, den taiwanischen Außenminister Wu nach Berlin einzuladen. Heidt räumte – wohl mit Blick auf den damit verbundenen offenen Bruch der Ein-China-Politik – ein, man müsse die Sache geschickt einfädeln und einen unverfänglichen Vorwand schaffen: Denkbar sei etwa „zunächst eine Einladung zu einer Veranstaltung und nicht unbedingt ein offizieller Besuch als Außenminister“. Der FDP-Abgeordnete nannte ein mögliches Beispiel: „Das könnte … eine Einladung einer Stiftung zu einem Panel über Südostasien sein.“

Die Berliner Vorstöße erfolgen in einer Zeit, in der die deutschen Leitmedien systematisch begonnen haben, die Ein-China-Politik offen in Frage zu stellen. So findet sich seit geraumer Zeit folgende Formulierung beinahe wortgleich in Beiträgen der öffentlich-rechtlichen wie auch der auflagenstarken privaten Medien: „Taiwan war nie Teil der 1949 gegründeten Volksrepublik.“ Die Formulierung ist oberflächlich grob irreführend und sachlich sogar falsch. Taiwan gehört seit Ende des 17. Jahrhunderts zu China, wurde 1895 von Japan als Kolonie in Beschlag genommen und 1945 nach der japanischen Weltkriegsniederlage wieder an China zurückgegeben. Im chinesischen Bürgerkrieg setzten sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Kommunisten durch; sie erklärten China 1949 zur Volksrepublik. Die unterlegene Kuomintang-Regierung setzte sich allerdings auf Taiwan fest und konnte Chinas neue Regierung hindern, die reale Kontrolle über das gesamte Land zu übernehmen. Dass es Peking seit 1949 nicht gelungen ist, sich die praktische Herrschaftsgewalt über Taiwan zu sichern, trifft banalerweise zu – nicht aber die in den Leitmedien übereinstimmend vertretene Behauptung, Taiwan habe völkerrechtlich nie zur Volksrepublik gehört. Kürzlich war in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gar zu lesen, Taiwan sei lediglich „vier Jahre Teil von China“ gewesen – von 1945 bis 1949.

Politik und Medien in Deutschland wie auch im Westen insgesamt fallen mit ihrer Politik der Spaltung zwischen dem chinesischen Festland und der Insel der führenden Oppositionskraft auf Taiwan in den Rücken, die aktuell durch Verhandlungen mit Peking für Entspannung zu sorgen und einen Ausgleich herbeizuführen sucht. Im Februar hat sich Andrew Hsia, einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Kuomintang, zehn Tage auf dem Festland aufgehalten und dort auch Gespräche mit einflussreichen Vertretern der Kommunistischen Partei geführt. Dabei hat er – dies entspricht der Position seiner Partei, die im Kern am Ein-China-Prinzip festhält – jegliche Forderung nach einer Unabhängigkeit Taiwans klar zurückgewiesen. In der kommenden Woche will der ehemalige taiwanische Präsident Ma Ying-jeou gleichfalls auf das Festland reisen, um für einen Ausgleich über die Taiwan-Straße hinweg zu werben. Ma hatte als Präsident gedeihliche Beziehungen zu Peking herzustellen vermocht. Bei der aktuell regierenden Demokratischen Fortschrittspartei (Democratic Progressive Party), die auf lange Sicht Taiwans Abspaltung anstrebt, stößt seine Reise auf Unmut. Allerdings hat die DPP die Kommunalwahl im November 2022 klar gegen die Kuomintang verloren, die sich nun Hoffnung auf einen Wahlsieg bei der Präsidentenwahl im Januar nächsten Jahres macht. Gewinnt sie, dann könnten Berlin und der Westen genötigt sein, ihr immer aggressiveres Rütteln an der Ein-China-Politik ein Stück weit zurückzufahren.

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"Alles andere als ein normaler Besuch", UZ vom 24. März 2023



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