USA, Taiwan und die „Ein-China-Politik“

Wer ist der Aggressor?

Mit dem Taiwan-Besuch der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, setzen die USA ihr Bestreben fort, den bisherigen Status Quo zu kippen. Dieser Status Quo basiert auf der sogenannten „Ein-China-Politik“, die besagt, dass es nur ein China gibt und die Regierung der Volksrepublik China die „alleinige rechtmäßige Regierung von ganz China“ ist. Diese Formulierung war die anerkannte Grundlage der Beziehungen zwischen der Volksrepublik und den USA seit 1979. In diesem Jahr brachen die USA ihre diplomatischen Beziehungen zur „Republik China“ offiziell ab und erkannten die Volksrepublik China an.

Das derzeitig von der US-Regierung vermittelte Bild suggeriert, sie versuche zu verhindern, dass die große und mächtige VR China sich den kleinen, unabhängigen und demokratischen Inselstaat Taiwan einverleibt. Diese Sicht widerspricht allerdings nicht nur den Tatsachen, sondern auch den bisherigen Grundlagen der US-Außenpolitik und – aufgepasst – dem Völkerrecht. Denn die Alliierten hatten die Rückgabe Taiwans an China 1943 in Kairo in einer gemeinsamen Erklärung festgeschrieben. Nach der Kapitulation endete dann folgerichtig die japanische Besatzung Taiwans.

Dass die Insel zur „Republik China“ wurde, geht darauf zurück, dass sich die chinesischen Kommunisten unter Mao Zedong im Bürgerkrieg gegen die Kuomintang (KMT) unter Chiang Kai-shek durchsetzten. Chiang floh daraufhin mit seinen KMT-Gefolgsleuten nach Taiwan, erhob im Exil aber weiterhin den Anspruch, das legitime Staatsoberhaupt ganz Chinas zu sein. So blieb die „Republik China“ als offizielle Eigenbezeichnung der Insel Taiwan und einiger kleinerer zugehöriger Inseln bis heute.

Politisch relevant ist die Frage der Abspaltung Taiwans von China überhaupt erst geworden, weil der einstige Anspruch Chiang Kai-sheks, Festlandchina zurückerobern zu wollen und wieder über ganz China zu herrschen, wegen Realitätsferne verworfen werden musste. Seitdem nimmt die Debatte – befeuert durch diverse US-Regierungen – an Fahrt auf. Tsai Ing-wen, seit 2016 Präsidentin der „Republik China“, ist so eine Befürworterin einer formalen „Unabhängigkeit“ – also einer Abspaltung von China. Sie ist mit 57 Prozent der abgegeben Stimmen gewählt worden. Ihr Gegenkandidat von der KMT, die nicht für die Abspaltung steht, kam auf 39 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 75 Prozent.

Das reicht nicht als Unterstützung für eine Verschärfung des Konflikts mit der Volksrepublik. Wenn die US-Regierung provoziert und versucht, in Taiwan eine Art „Jetzt oder nie!“-Stimmung auszulösen, dann auch deshalb, weil sie einschätzt, dass ihr die Zeit davonläuft. Warnungen vor den vielfältigen Kooperationen im Bereich der Bildung und Ausbildung, einer tieferen wirtschaftlichen Verflechtung und vor kulturellem Austausch haben nicht den erhofften Erfolg gehabt. Langfristig „droht“ eine friedliche Wiedervereinigung nach dem Vorbild Hongkongs.

Peking hat immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Abspaltung zum Beispiel durch eine einseitige formale Erklärung der Unabhängigkeit nicht akzeptabel ist. Auch war klar, dass die VR China auf den Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi reagieren muss. Das ist mit den militärischen Manövern vor der eigenen Küste geschehen. Daraus jedoch die Rolle des Aggressors abzuleiten, der das Völkerrecht mit Füßen tritt, ist absurd. Im Gegenteil: Die US-Regierungen sind es, die Chinas Souveränität und territoriale Integrität in Frage stellen.

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Das Militär der „Republik China“ wird von Präsidentin Tsai Ing-wen auf eine der vielen Militärübungen eingestimmt (Juli 2020). Vor allem durch die USA wurde Taiwan massiv aufgerüstet. (Foto: Official Photo by Wang Yu Ching / Office of the President / Flickr / CC BY 2.0)

Und sie rüsten zum Krieg: Taiwans Militär kann auf 165.000 Soldaten und 1,675 Millionen Reservisten zurückgreifen – bei einer Bevölkerung von 23 Millionen Menschen. Taiwan wurde und wird vor allem von den USA mit Waffen beliefert. Allein unter US-Präsident Biden haben die USA Taiwan weitere Lieferungen von Artillerie (M109A6 Paladin) für 750 Millionen US-Dollar und Patriot-Raketen für 95 Millionen US-Dollar bereits zugesagt. Die Aufrüstung Taiwans ist ein gutes Geschäft, das Tradition hat. Die US-Regierung hat sich mit dem „Taiwan Relations Act“ von 1979 verpflichtet, ständig Waffen zu liefern – allerdings nur Defensivwaffen. Weder Patriot-Raketen noch die Haubitzen können ausschließlich als solche gewertet werden.

Und noch ein Aspekt ist in diesem Zusammenhang interessant. Die „New York Times“ berichtete am 7. Mai, dass die Biden-Regierung neuerdings versucht, darüber zu bestimmen, welche Waffen Taiwan braucht und welche nicht. Das Ziel ist offenbar, die Insel nach Vorbild der Ukraine gezielt für den Krieg mit der Volksrepublik zu rüsten. In der Konsequenz führe dies dazu, dass Wünsche des taiwanesischen Militärs nach bestimmten Waffen aktuell auch abgewiesen würden, so die „New York Times“. So sei eine Bestellung des Helikopters „MH-60R Seahawk“ mit dem Hinweis abgewiesen worden, dass dieser nicht für den Kampf gegen die Volksrepublik geeignet sei. US-Rüstungsfirmen sei von offizieller Seite sogar mitgeteilt worden, sie sollten Anfragen zur Genehmigung von bestimmten taiwanesischen Waffenbestellungen gar nicht erst einreichen.

Die Botschaft der VR Chinas in der BRD hat eine Erklärung zum Besuch Nancy Pelosis in Taipeh veröffentlicht.

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Über den Autor

Lars Mörking (Jahrgang 1977) ist Politikwissenschaftler. Er arbeitete nach seinem Studium in Peking und war dort Mitarbeiter der Zeitschrift „China heute“.

Mörking arbeitet seit 2011 bei der UZ, zunächst als Redakteur für „Wirtschaft & Soziales“, anschließend als Verantwortlicher für „Internationale Politik“ und zuletzt – bis Anfang 2020 – als Chefredakteur.

 

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"Wer ist der Aggressor?", UZ vom 12. August 2022



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