Andrea Corbyn

Georg Fülberth über eine Chance für die Trümmerfrau

Georg Fülberth ist emeritierter Professor für Politik und regelmäßiger Kolumnist der UZ

Georg Fülberth ist emeritierter Professor für Politik und regelmäßiger Kolumnist der UZ

Vielleicht ist Martin Schulz doch ein guter Parteivorsitzender. Mit seiner Blitzentscheidung vom Abend des 24. September, dass die SPD nicht für eine neue Große Koalition zur Verfügung steht, ließ er Angela Merkel nur noch eine einzige Option: Jamaika. Wird etwas daraus (was noch nicht völlig sicher ist), ist Schwarz-Gelb-Grün im Bundestag eingezwängt zwischen einem Rechts- und einem Linksblock.

Das ist allerdings etwas erklärungsbedürftig. Rechts ist die AfD, klar. Aber gibt es tatsächlich einen Block auf der anderen Seite? „Die Linke“ müsste dabei dazugehören. Deren Fraktions- und Parteispitzen präsentierten sich bei ihrem ersten gemeinsamen Auftritt im Oktober in einer Verfassung, die von ihnen nichts erwarten lässt. Schade um die nicht wenigen ehrlichen Parteimitglieder und um einige tüchtige Fachpolitiker(innen) im Bundestag.

Solche Zerfahrenheit in der Linkspartei wird Andrea Nahles nicht missfallen. Sie hat durchblicken lassen, dass sie zur Kooperation mit dieser bereit ist. Oppositionsführerin ist sie ohnehin, und je größer ihr Tross ist, desto besser. Im Bundestag wird sie auf die Tonne hauen. An radikalen Forderungen, die von der SPD ja vier Jahre lang nicht eingelöst werden müssen, wird es nicht fehlen. Es ist kaum vorstellbar, dass Nahles von Bartsch, Kipping, Wagenknecht und Riexinger wird übertroffen werden können. So könnte sie zur Galionsfigur einer Linkswende ihrer Partei werden, ähnlich wie Jeremy Corbyn in Großbritannien.

Bei diesem Vergleich werden manche Leser(innen) einen Schluckauf bekommen. Corbyn war immer ein Rebell in der Labour Party. Erst deren Niederlage unter dem Premierminister Gordon Brown und ein innerparteilicher Aufstand brachten ihm den Vorsitz. Andrea Nahles dagegen war stets Establishment. Als Juso-Vorsitzende und danach hat sie zwar links geblinkt, aber immer rechtzeitig eingelenkt. Gegen Schröder hat sie gemosert, aber längst verteidigt sie die Agenda 2010. Sie war Ministerin in der Großen Koalition.

Nun hat die SPD die Quittung für ihre bisherige Politik erhalten. Eine innerparteiliche Opposition, die sich in den letzten Jahren hätte herausgebilden können und die Führung übernehmen könnte, steht nicht bereit. Das ist der Unterschied zu Großbritannien. Also muss es jemand aus der bisherigen Leitungsebene machen. Nahles? Glaubwürdigkeits-Malus mag sich verbrauchen: sie hat vier Jahre Zeit. Angela Merkel hat es ihr vorgemacht. Sie gehörte zum System Kohl, trennte sich von ihm, als es ohnehin nicht mehr zu retten war, und wurde Oppositionsführerin. Nach Niederlagen haben Trümmerfrauen (welchen Geschlechts auch immer) Chancen.

Etwas ferner verlaufen andere Parallelen. Hierher gehören Jean-Luc Mélenchon und Bernie Sanders. Ersterer war in Frankreich Teil des Establishments in der Sozialistischen Partei, die er dann ebenso nach links verließ wie Oskar Lafontaine die SPD.

Corbyn hatte erst eine Chance, als seine Partei am Boden lag. Er erhielt starken Zustrom von neuen, jungen Mitgliedern, Sanders auch. Schulz hatte ebenfalls einen solchen guten Moment. Nach seiner Nominierung gab es eine Beitrittswelle. Wer damals zur SPD kam, wollte damit nicht ihre Politik von gestern unterstützen, sondern einen Neuanfang. Das hat Schulz vergeigt, als er öffentlich vor den Unternehmern einknickte und gleichzeitig Optionen jenseits der Großen Koalition ausschloss.

Wahrscheinlich kommt er für einen Neuaufbruch jetzt nicht mehr in Frage. Dass ein Potential hierfür vorhanden war, haben ein paar Tage im Februar gezeigt. Vielleicht hat es sich inzwischen schon wieder verlaufen. Denkbar ist auch, dass der damalige Aufbruch für die SPD-Führung nur ein Wahlkampf-Event war und Andrea Nahles heilfroh wäre, wenn Jamaika scheitern und die Große Koalition wiederkommen würde. Sie wäre dann Vorsitzende einer Regierungsfraktion oder erneut Ministerin.

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"Andrea Corbyn", UZ vom 3. November 2017



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