„The Busters“ und „The Pokes“ beim UZ-Pressefest

Arznei gegen die Kulturindustrie

Von Kim Kimmich

Ein Video – kurz, pixelig – ging vor kurzem über die Social-Media-Kanäle. Darin schneidet ein Jeansjackenträger mit hochgefönter Mittelscheitelfrisur dem Interviewer das Wort ab und sagt: „Diese Grundidee vom Kommunismus, ne?, die ist ja voll geil!“ Wer das sagt, ist „Deutschlands größter Musikkapitalist“ (Die Welt), Dieter Bohlen (*1954). In Sachen grafischer Qualität (sowohl das Video, als auch der Chic des „Pop-Titanen“ selbst) verweist der kurze Ausschnitt darauf, dass das Interview älteren Datums ist. Noch länger her sind Bohlens kurzzeitige Mitgliedschaften in SDAJ und DKP. Hinter seiner Art von Kommunistsein stand eher das Befinden, dass pubertäre Rebellion gegen den schlägernden Bonzen-Papa gerechtfertigt sei. Sein Klassenbewusstsein behielt er bei, das Intermezzo bei den Roten diente eher dem Tritt in den eigenen Arsch, die Karriereleiter hinauf. Er wollte ja „kein Müllmann“ werden.

Jetzt sind die blonden 50 Prozent von „Modern Talking“ das personifizierte Übel der deutschen Kulturindustrie. Bohlen als Fernseh-Ledersofa ist festes Jury-Inventar des Casting-Trashs „Deutschland sucht den Superstar“ und „Das Supertalent“ (beide RTL). Die Heranzüchtung selbstbewusstseinsloser Kaputter auf und vor der Bühne nennt die Frankfurter Rundschau „Klassenkampf, nur mit anderen Mitteln“.

Einen Angriff auf das menschliche Kulturverständnis ist solcher Schmonzes sicher. Einen Gegenschlag bietet auch dieses Mal wieder das Pressefest der UZ, vom 7. bis 9. September in Dortmund.

Mit dabei viele MusikerInnen, die nicht nur von der Grundidee her voll geil sind, sondern versuchen, die „absolute Idee in ihrer sich selbst gemäßen Erscheinung“ (Hegel) praktisch umzusetzen, ohne dabei wie das Zahnbleaching-Opfer Bohlen auf der Bühne stehend das Geld zu zählen und beim dreihundertsten Tausender satt Backstage zu gehen.

„The Pokes“ aus Berlin zum Beispiel bieten mit ihrem Folkpunk nicht nur Keltisches, sondern auch darüber hinaus viel, was man mit Violine und Akkordeon als Obendrauf zum handelsüblichen Gitarre-Bass-Drums so machen kann. Sollten sie etwa „Mayday“ (vom gleichnamigen aktuellen Album, 2015 bei Tollshock Records) nicht spielen, vermelde ich eben diesen Notruf, weil dann doch die darin angedrohte Gefahr besteht: „The Wannabes Are Coming!“ – Und Möchtegerns und KommunistInnen, das klumpt.

Nicht nur Anklänge, sondern Ska in all seiner Lebendigkeit liefern „The Busters“, die Baden-Württemberger Ur-Kapelle (Baujahr 1987). Wer staunen will, wie viele gleichzeitig auf eine Stage passen und dabei auch noch abwackeln, sollte bei ihrem Gig auch die Ska-Version vom „Pink Floyd“-Classico „Wish You Were here“ einfordern. „Liebe macht blind“ wünscht man sich dann auch, und dass Farin Urlaub (Die Ärzte) ebenfalls mitbekommen hat, dass das Pressefest für umme ist, er sein Gastrecht wahrnimmt und seinen Part singt. Kommen darf von mir aus auch Dieter Bohlen, wenn er vorher eine Arznei gegen seinen Sprechdurchfall nimmt.

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"Arznei gegen die Kulturindustrie", UZ vom 3. August 2018



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