Viele Wirte bangten schon vor dem „Lockdown light“ um ihre Existenz

„Auf dem Zahnfleisch“

Ahmet Özkan betreibt die „Gorilla-Bar“ in München, eine kleine „Wohnzimmer-Boaz‘n“, wie er sie selber nennt. Wie viele andere Gastwirte kämpft er seit Monaten ums Überleben. Wie seine Bar den Winter überstehen soll, weiß er noch nicht.

UZ: Wie wirken sich die neuen Corona-Maßnahmen auf dein Geschäft aus?

460502 portrait - „Auf dem Zahnfleisch“ - Coronavirus - Politik
Ahmet Özkan

Ahmet Özkan: Man muss sagen, dass es schon vor den November-Maßnahmen fast täglich neue Auflagen gab, was das Arbeiten erheblich erschwert hat. Die Info zu den November-Maßnahmen war zerstörend, weil wir wirklich seit Monaten auf dem Zahnfleisch gehen. Man stößt körperlich und geistig an seine Grenzen, wenn man versucht, trotzdem etwas Kreatives auf die Beine zu stellen. Das ist mit den neuen Maßnahmen nicht mehr möglich, mit nur noch fünf Personen aus zwei Haushalten. Auch wenn der angekündigte Ausgleich von 75 Prozent des Umsatzes wie versprochen kommt.

UZ: Wie habt ihr die letzten Monate gemeistert?

Ahmet Özkan: Das war anders beim ersten Lockdown. Da konnte man mit „to go“ etwas auffangen und nach den Lockerungen im Sommer gab es sogenannte „Schanigarten“. Mein Lokal, das keinen Außenbereich hat, bekam drei Parkplätze, also rund 30 Quadratmeter. Lokale mit Außenbereich durften ihn erweitern. Für uns lief es sogar besser als in den anderen Sommern, weil unser Geschäft immer im Sommer etwas schlechter lief als im restlichen Jahr. Das hat leider nicht lange gehalten. Zudem hatten wir uns immer bis April/Mai einen Puffer für den Sommer aufgebaut, der dieses Jahr komplett weggefallen ist.

Im Innenbereich sah es komplett anders aus, weil wir dort andere Abstände einhalten und Trennwände einbauen mussten. Dann wurde fast täglich die Sperrstunde verändert, was für eine Bar definitiv nicht geht. Weil wir eine Nachbarschaftsbar sind, die verankert ist, konnten wir damit umgehen. Es gibt aber Cocktailsbars, die fangen erst um 22 Uhr an.

UZ: Habt ihr von eurer Stammkundschaft Solidarität erfahren?

Ahmet Özkan: Definitiv! Wir haben zum Anfang „to go“ gemacht. Das heißt, ich habe mit dem Lastenrad Cocktails ausgefahren, zum Beispiel zu vielen Gartenpartys oder auch zur Caritas ins Büro. Da gab es Geburtstagspartys unter Kollegen. Auch sonst haben wir viel Solidarität erfahren.

UZ: In München sind die Mieten horrend. Wie habt ihr das bis jetzt überstanden?

Ahmet Özkan: Wir wurden leider nicht geschont, was die Pacht betrifft. Die mussten wir durchgehend zahlen. In einem seltsamen Anflug von Ehrgeiz haben wir am Anfang einfach weitergezahlt, obwohl die Brauerei gesagt hat, dass sie uns die Pacht stundet. Aber ich will wissen, wo ich stehe. Hätte ich nicht gezahlt, stünde ich jetzt nach sechs Monaten mit 18.000 Euro in der Kreide, obwohl die Brauerei für die eigenen Pachtobjekte in die Bresche gesprungen ist und den halben April und den Mai übernommen hat.

UZ: Was würde euch jetzt weiterhelfen?

Ahmet Özkan: Klar, es gibt keine „Vollkasko“-Läden, aber das Leben muss weitergehen. Ich denke, dass man das mit Regeln schaffen kann, die für alle gleich gelten, zum Beispiel eine durchgehende Sperrstunde um 22 oder 23 Uhr. Statt mehr Kontrollen sollten die Gewerbetreibenden besser informiert werden und standardisierte Schulungen für das Personal geben, wie auch standardisierte Trennwände und Masken. Natürlich gibt es auch schwarze Schafe, die nichts gemacht haben und teilweise ziemlichen Schindluder treiben, aber die meisten Gastronomen haben schon vieles umgesetzt, was von ihnen verlangt wurde – und teilweise sogar vorauseilend.

Ich finde, die Politik sollte sich nicht so viel einmischen, sondern Wissenschaftler wie Soziologen und Epidemiologen sollten entscheiden. Da war von Anfang an zu viel Wahlkampf im Spiel. Ein krasses Beispiel für mich war Markus Söder, der sich am Flughafen fotografieren ließ, wie er Masken abholt. Das fand ich pietätlos.

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"„Auf dem Zahnfleisch“", UZ vom 13. November 2020



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