Vor ihrem Parteitag im Juni ist der Kampf in der Linkspartei entbrannt – vollständiger Wechsel ins bürgerliche Lager oder zurück zur linken Oppositionskraft?

Auf zum letzten Gefecht?

Ellen Brombacher

Die Eskalation des Krieges in der Ukraine führt auch zu einer Zuspitzung der Auseinandersetzungen innerhalb der Partei „Die Linke“. Es geht um die Frage, ob Friedenspositionen, Ablehnung der NATO und Zweifel am westlichen Narrativ weiter in deutschen Parlamenten vertreten werden können. Die Offensive von Parteirechten in enger Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Medien ist massiv und wird garniert mit persönlichen Angriffen und Unterstellungen. Der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele schätzte zu dieser Entwicklung ein, „dass das Ergebnis dieses Zerlegens weniger Spaltungstendenzen als die Integration der Linkspartei in die Strategie des deutschen Imperialismus sein wird“. In dieser Ausgabe der UZ dokumentieren wir Auszüge aus dem Referat von Ellen Brombacher auf der 21. Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform (KPF) in der Partei „Die Linke“. Zusätzlich veröffentlichen wir die Stellungnahme der KPF zu einem Interview mit Benjamin-Immanuel Hoff, der in den Medien laut über eine Kandidatur als Parteivorsitzender nachdenkt. In der kommenden Ausgabe wird der Bundestagsabgeordnete Dieter Dehm seine Sicht auf die Auseinandersetzungen in der Partei darstellen.

Dr. Ronald Friedmann, bis vor kurzem langjähriger hauptamtlicher Mitarbeiter im Karl-Liebknecht-Haus, hat am 25. April geschrieben: „Maßgebliche Teile der Partei hatten nie die Absicht, Politik zu betreiben. Es ging ihnen immer nur um die Regierungsbeteiligung.“ Ein schon fast absurder Beleg für diese Herangehensweise ist, dass noch nach der Bundestagswahl am 27. September 2021 Susanne Hennig-Wellsow meinte, die Linke müsse unter allen Umständen bereit sein, zusammen mit SPD und Grünen eine Bundesregierung zu bilden, sollten die beiden Parteien dazu bereit sein.

Das hat sie gesagt – mit 4,9 Prozent erhaltener Wählerstimmen. Wer so mit einer Wahlniederlage umgeht – und die Wahlergebnisse zum Beispiel in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern waren ja auch schon desaströs –, der fürchtet die Analyse wie der Teufel das Weihwasser. Und so gibt es diese Analyse bis heute nicht.
Schlimmer noch: Eine Diskussion über Ursachen desaströser Wahlergebnisse wird regelrecht verhindert. Die Debatte über Ursachen der Wahlergebnisse wäre nämlich eine über die politische Linie der Partei. Und die Hauptlinie der Partei soll trotz zunehmend erwiesener Unbrauchbarkeit bleiben, wozu sie sich sukzessive entwickelt hat: eine fast ausschließliche Orientierung auf eine Regierungsbeteiligung im Bund. Und das in einer Situation, in der eine linke Opposition dringender gebraucht wird denn je.

Oppositionspolitik ist nicht gewollt

Dringend erforderlich wie vielleicht nie zuvor ist eine von den objektiven Interessen der mehr oder minder Ausgebeuteten geleitete Oppositionspolitik. Und zu diesen objektiven Interessen gehört die Erhaltung des Friedens ebenso wie der Kampf um die sozialen Rechte der Werktätigen; gehört der Kampf gegen die profitgesteuerte Umweltzerstörung ebenso wie der Antifaschismus, dem Antirassismus sowie der Kampf gegen Antisemitismus und gegen Islamphobie immanent sind.

Das Programm der Partei entspricht diesen Anforderungen an die politische Verantwortung der Partei „Die Linke“. Doch unser politischer Alltag entfernt sich immer mehr und immer schneller von dieser Verantwortung, die wir tragen.

Friedenspolitische Grundsätze wichtiger denn je

Es wäre allerdings eine völlige Realitätsverdrängung, anzunehmen, die Bemühungen, die friedenspolitischen Grundsätze der „Linken“ zu entsorgen, hätten nach dem 24. Februar 2022 begonnen. Diese Bemühungen gibt es massiv seit dem Magdeburger Parteitag 1996. Erinnert sei an den Münsteraner Parteitag. Erinnert sei an die Programmauseinandersetzungen zu Beginn dieses Jahrhunderts und im Kontext mit dem 2011 beschlossenen Parteiprogramm.

Wenn jemand sehr viel Zeit hat, aber wirklich viel Zeit, dann kann er all die seitens der Reformer und Regierungssozialisten in Jahrzehnten verfassten Papiere – oder zumindest einen Teil dieser Dokumente – durchgehen, die die Friedensproblematik betreffen. Und er kann dann suchen, ob er in all diesen Papieren Begriffe wie „US-Imperialismus“, „deutscher Imperialismus“ oder „aggressives NATO-Bündnis“ findet. Man kann wahrscheinlich darauf wetten – höhere Summen –, dass sich diese Begriffe nicht finden. Die zum Teil gleichen Autorinnen und Autoren inflationieren jetzt den Begriff „großrussischer Imperialismus“. In der Partei geht selbst die Zeit der Äquidistanz zu Ende.

Das Programm verteidigen

1913 LINKE 1 - Auf zum letzten Gefecht? - Linkspartei - Hintergrund
Benjamin-Immanuel Hoff, Chef der Thüringer Staatskanzlei und Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten, mag die NATO – und die vermutlich die USA. (Foto: public domain)

Wir wissen, worum es geht. Die aktuelle weltpolitische Situation hat für all diejenigen in der Partei das Fenster weit geöffnet, die sich von folgender Formulierung aus dem Parteiprogramm als nicht mehr zeitgemäß verabschieden wollen:

„Wir fordern die Auflösung der NATO und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands, das Abrüstung als ein zentrales Ziel hat. Unabhängig von einer Entscheidung über den Verbleib Deutschlands in der NATO wird „Die Linke“ in jeder politischen Konstellation dafür eintreten, dass Deutschland aus den militärischen Strukturen des Militärbündnisses austritt und die Bundeswehr dem Oberkommando der NATO entzogen wird. Wir fordern das sofortige Ende aller Kampfeinsätze der Bundeswehr.“

Das ist geltende Programmlage, und die soll revidiert werden. Und die Lage ist für die Revidierer sehr günstig. Zugleich ist ihnen klar: Das Fenster wird nicht ewig geöffnet bleiben und sie wissen – und darum geht es: Mit einer Anti-NATO-Position bleibt die Tür für eine Regierungsbeteiligung im Bund geschlossen.

Die NATO-Verharmlosung beziehungsweise Pro-NATO-Positionierung stellt einen Frontalangriff auf unser Parteiprogramm dar, einen Frontalangriff auf unsere Partei. Dieser programmatische Putsch läuft unter der Losung, mit der sich Susanne Hennig-Wellsow verabschiedet hat. Sie formulierte: „Eine programmatische, strategische und kulturelle Erneuerung der ‚Linken‘ ist nötig, wir wissen es seit Jahren. Ich habe das mir Mögliche versucht, dazu beizutragen.“

Rechte Intrigen

Der Rücktritt von Susanne Hennig-Wellsow jedenfalls ist als eine Initialzündung in einem von manchen angestrebten Spaltungsprozess zu vermuten. Auf der heutigen Konferenz werden vergleichsweise wenige diesen Rücktritt als solchen überaus bedauern. Einige werden denken, das sei eine Niederlage für die Regierungssozialisten. Das ist es auch insofern, als Hennig-Wellsow der Aufgabe, den unbedingten Regierungskurs überzeugend zu verfolgen, nicht immer gewachsen war. Aber ansonsten hat der Rücktritt etwas Putsch-
ähnliches. Schon der Zeitpunkt war doppelt irre.

Zum einen: Wer nicht mehr kann oder nicht mehr will oder beides, der hält doch im Normalfall noch ein paar Wochen bis zum Parteitag aus.
Zum anderen: Wenn, wie das am 20. April der Fall war, eine Sondersitzung des Parteivorstands geplant ist, hält man es – wenn schon nicht ein paar Wochen – so doch noch ein paar Stunden aus, bis man seinen Genossinnen und Genossen im Vorstand seinen sofortigen Rücktritt erklärt.

Wer so vorgeht wie Susanne Hennig-Wellsow, der kalkuliert vor allem mit dem Spektakulären und somit mit der entsprechenden Medienaufmerksamkeit. Und um diesen medialen Prozess noch zu forcieren, kommt die nächste politisch-menschliche Unsauberkeit – eine schwächere Bezeichnung ist mir nicht eingefallen: Hennig-Wellsow denunziert die Genossin, mit der sie 14 Monate zusammengearbeitet hat. „Spiegel online“ steht Pate und die Steilvorlagen kommen, wie immer bei Intrigen, aus der Partei selbst.
Janine Wissler verdient dafür, dass sie dennoch in der Verantwortung bleibt, zumindest in Vorbereitung des Parteitags, unseren solidarischen Respekt.

Geht jetzt nicht!

Der kommende Parteitag kann die Partei vor eine Zerreißprobe stellen. Wir wollen das nicht. Andere – wie bereits gesagt – wollen das schon. Um auf dem kommenden Parteitag Tabula rasa zu machen, wird eine Doppelstrategie gefahren.

Mit den unbedingt a) angestrebten programmatischen Veränderungen in puncto friedenspolitische Grundsätze sollen b) all jene aus der Partei getrieben werden, die diesen Veränderungen im Weg stehen.
Und machen wir uns nichts vor: Der Prozess hat begonnen. Die Austritte häufen sich, und bei jedem aufrechten Parteimitglied, das es nicht mehr aushält, reiben sich bestimmte Leute die Hände. Das ist es, was sie wollen. Und wenn das dann noch öffentlich geschieht, umso wirksamer für die Parteiliquidation in schnellem Tempo. Jede prominente Genossin, jeder prominente Genosse, der öffentlich austritt, stimuliert andere, Gleiches zu tun.

Können wir heute nun einfach sagen: Alles klar – wir polemisieren gegen Austritte und das war’s erst einmal? Nein. Es ist bedeutend komplizierter. Wir sind in einer zutiefst widersprüchlichen Situation, in einem Dilemma.

Wir sagen seit der Vorbereitung des Münsteraner Parteitags – also seit 22 Jahren: Wenn die friedenspolitischen Grundsätze der Partei entsorgt werden, ist das für uns das Ende der Fahnenstange. Und möglicherweise wird auf dem Juni-Parteitag ein entscheidender Schritt auf dem Weg der Entsorgung dieser Grundsätze getan. Das ist die eine Seite des Widerspruchs.

Die andere Seite: Wir sollen gehen. Die wollen es – die Höhns, die Gallerts, die Lederers, die Hennig-Wellsows, die Hoffs, die Ramelows, die Breitenbachs, die Lays und genügend andere.

Kollektive Entscheidungsfindung

Dieses Widerspruchsverhältnis bedeutet: Aus der gegenwärtigen Lage gibt es für uns keine nur richtige oder nur falsche Entscheidung. Wir müssen wissen: Wir befinden uns in einer sehr schwierigen Situation. Was wir auch tun werden – es wird Gründe genug geben, unser Verhalten zu hinterfragen. Umso gründlicher und mutiger müssen wir abwägen, was wir tun – nach dem Parteitag!

Vielleicht können wir bleiben. Vielleicht auch nicht. Wir werden das im zweiten Halbjahr in Ruhe und mit aller gebotenen Nachdenklichkeit entscheiden. Alle Konsequenzen – so oder so – mit bedenkend.

Ausgehend von diesem Herangehen bitten wir von unserer heutigen Konferenz aus alle Genossinnen und Genossen der KPF und darüber hinaus diejenigen, die unsere Positionen teilen oder weitgehend mittragen: Geht jetzt nicht. Eine individuelle Antwort auf tiefgreifende, nicht nur innerparteiliche Probleme ist keine Lösung. Lasst uns alles tun, dass diejenigen, die die Existenz der Partei sehenden Auges auf Spiel setzen – unbewusst unterstützt von jenen, die politische Prozesse nicht bis zu Ende denken können –, damit im Juni nicht durchkommen.


Ein Tabubruch sondergleichen

In einem Interview mit der Zeitung „Neues Deutschland“ vom 28. April 2022 äußerte der Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Chef der Staatskanzlei in Thüringen, Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, der auch nicht ausschließt, auf dem kommenden Erfurter Parteitag für den Parteivorsitz der „Linken“ zu kandidieren: „Wir fordern seit Anfang der 90er Jahre, die NATO durch ein kollektives europäisches Sicherheitsbündnis unter Einschluss Russlands abzulösen. Diese Forderung war drei Jahre nach der Auflösung des Warschauer Pakts hochaktuell und ist auch viele Jahre später nicht falsch. Aber welche konkreten politischen Schritte daraus folgen, haben wir nie ausbuchstabiert. Und die Entwicklungen, die es seitdem gegeben hat – die osteuropäischen Länder wurden ja nicht in die NATO gezwungen, sondern auch linke Parteien in Osteuropa wollen lieber in der NATO leben als unter der permanenten Gefahr eines großrussischen Imperialismus –, haben wir nie wahrgenommen, sondern so getan, als gäbe es sie gar nicht.“

Vor allem mit der Bemerkung „die osteuropäischen Länder wurden ja nicht in die NATO gezwungen, sondern auch linke Parteien in Osteuropa wollen lieber in der NATO leben als unter der permanenten Gefahr eines großrussischen Imperialismus“ verharmlost Benjamin Hoff die NATO nicht nur. Er negiert nicht nur die Verletzung russischer Sicherheitsinteressen durch die wortbrüchige NATO-Osterweiterung. Er billigt der aggressiven NATO zu, ein Verteidigungsbündnis zu sein.

Das ist in vielerlei Hinsicht absolut geschichtsvergessen. Das ist ein Tabubruch sondergleichen, für viele Genossinnen und Genossen eine Provokation. Solche und ähnlich gelagerte Positionen lehnen wir ab. Sie dürfen auf dem Erfurter Parteitag nicht die bestimmenden werden.
Es ist existenziell wichtig, dass „Die Linke“ Friedenspartei ist und bleibt.

Beschluss der Bundeskonferenz der KPF am 30. April 2022

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"Auf zum letzten Gefecht?", UZ vom 13. Mai 2022



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