Die NATO erklärt den Weltraum zum Operationsgebiet

Bedrohung von oben

Seit Juni ist das Vorhaben bekannt. Damals diskutierten unter anderem die Verteidigungsminister der NATO-Staaten über dieses Thema und beschlossen eine „Weltraumstrategie“. Am 19. November hat nun die NATO den Weltraum – neben Cyberraum, Land, See und Luft – zu ihrem „Operationsgebiet“ erklärt. Am 4. Dezember sollten nach den Außenministern auch die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedsländer diesem Vorhaben offiziell zustimmen.

Vertreter der NATO begründeten den jetzigen Beschluss mit angeblichen Bedrohungen. Vor allem China und Russland hätten in den vergangenen Jahren ihre Möglichkeiten zur Beeinträchtigung oder Zerstörung von Satelliten ausgebaut. Verwiesen wird auch auf Indien.

Über 2 000 aktive Satelliten umkreisen derzeit die Erde. Alle zwei, drei Tage kommt ein neuer hinzu. Ein Viertel bis ein Drittel dürften nach Experteneinschätzungen militärischen Zwecken dienen. Noch dominieren in diesem Zusammenhang die USA. Die NATO meint, dass ein „feindlicher Angriff“ auf strategisch wichtige Satelliten im Weltraum die eigenen Fähigkeiten und „das westliche Bündnis“ gefährlich schwächen könnte. Denn ohne Aufklärungs-, ohne Navigations- und Kommunikationssatelliten wären Militäreinsätze kaum – oder gar nicht – möglich. Die Störung oder der Verlust ziviler Satelliten könnte schwerwiegende Folgen haben. Die NATO will künftig jedoch „nur“ die Satelliten – militärisch wie zivil genutzte – der eigenen Mitglieder schützen. Das Militärbündnis wolle in diesem Zusammenhang jedoch keine eigenen Systeme oder gar Waffen im Weltraum stationieren und auch keine eigenen NATO-Operationen im Weltraum durchführen. Es solle vielmehr vor allem eine koordinierende Rolle übernehmen, „als Forum für den Austausch von Fähigkeiten und Informationen“.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte in diesem Zusammenhang vor der Beschlussfassung: „Unsere Herangehensweise ist vollkommen defensiv.“ Jay Raymond, Chef des Ende August von US-Präsident Trump eingerichteten neuen „US Space Command“, also ein Vertreter der „Führungsmacht“ USA, sieht den Weltraum jedoch ausdrücklich als Gebiet der Kriegführung. Sein Kommando habe „eine offensive und eine defensive Mission“.

Die US-Space Forces sollen im kommenden Jahr einsatzfähig sein. Die USA arbeiten seit vielen Jahren an Weltraumwaffen und auch an Kampfsatelliten, die gegnerische Satelliten blenden oder zerstören können. Frankreich gab im Sommer dieses Jahres die Gründung eines Weltraumkommandos bekannt. Sein Land wolle künftig seine Satelliten „auf aktive Weise“ schützen, so Präsident Emmanuel Macron damals. Verteidigungsministerin Florence Parly gab die Entwicklung von Laser-Waffen bekannt. (siehe UZ vom 2. August).

Deutschland hält sich, obgleich auch die Bundeswehr über Aufklärungs- und Kommunikationssatelliten verfügt, dabei derzeit noch zurück. Doch während im „Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“ von 2006 der Weltraum nur im Zusammenhang mit den Aufgaben der Luftwaffe genannt wurde, taucht er im „Weißbuch“ von 2016 bereits als Interessen- und Operationsgebiet auf.

Kritiker befürchten, dass mit dem aktuellen NATO-Beschluss das Wettrüsten in diesem Bereich weiter angeheizt wird. Denn mit dem Beschluss – auch wenn man die Maßnahmen angeblich nur koordinieren will – wächst das Drohpotenzial. Vor allem Russland und die VR China sind gemeint. Völkerrechtlich verboten wäre laut Weltraumvertrag von 1967 nur die Stationierung von Massenvernichtungswaffen im Weltraum. Kritiker befürchten auch, dass künftig ein „Angriff“ im All auf Satelliten oder andere Flugobjekte eines NATO-Partners den Bündnisfall auslösen könnte.

In der „Zeit“ hieß es vorige Woche in einem Beitrag, der Beschluss der NATO zur Weltraumstrategie verweise „darauf, dass es mit der Rüstungskontrolle und -begrenzung derzeit nicht weit her ist. Das System der internationalen Beziehungen hat schweren Schaden genommen, wenn es überhaupt noch eines ist.“

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Bedrohung von oben", UZ vom 6. Dezember 2019



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