Pandemiebekämpfung und Katastrophenschutz in der DDR

Besser organisiert

Die Corona-Pandemie ist lange noch nicht vorbei. Von Anfang an gab es heftige Debatten im Hinblick auf das Katastrophenmanagement von Bundesregierung und Ländern. Warum gab es keinen Maßnahmepläne? Warum gab es keine Reserven – zum Beispiel bei Schutzmasken und anderem Grundmaterial? Einheitliches Handeln? Bis heute „ein Problem“. Dabei hätte man doch vor über 30 Jahren vorhandene Erfahrungen in der Pandemiebekämpfung aufgreifen können. Aber das war und ist politisch nicht gewollt, denn dann hätte man so einiges von der DDR übernehmen müssen.

Heinrich Niemann, Sozialmediziner und langjähriger Stadtrat der PDS in Marzahn-Hellersdorf, erinnerte sich in einem Beitrag in der „Berliner Zeitung“: „Die Reaktion auf eine Epidemie/Pandemie war (in der DDR – UZ) vom Gesetz her geregelt. Der Gesundheitsminister leitete eine ständige Kommission zur Verhütung und Bekämpfung von Epidemien. Bereiche wie Bildung, Handel, Wirtschaft, Polizei gehörten dazu. Die staatliche Plankommission hatte die Aufgabe, schnellstmöglich zusätzliche Ressourcen zu mobilisieren. In den 15 Bezirken und den Kreisen gab es Kommissionen und Seuchenbekämpfungspläne. Die Einrichtungen des Gesundheitswesens – Universitätskliniken, Kreiskrankenhäuser, Polikliniken, Hygieneinspektionen, Arztpraxen, Kinder- und Pflegeeinrichtungen, aber auch die Betriebe, Schulen, Behörden – wurden von Beginn einbezogen.“ Heute stehen vor allem die Eigentumsverhältnisse einer effektiven Pandemiebekämpfung im Wege: „Eine der wichtigsten politischen Forderungen ist, das Gesundheitswesen (…) zu verstaatlichen.“ (Siehe auch UZ vom 17. Juni 2020)

Auch für Katastrophenfälle wie jetzt in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Teilen Bayerns gibt es keine einheitlichen allgemeinen Regelungen. Und so forderte Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetages, angesichts zerstörerischer Überschwemmungen und des Todes von mehr als 170 Menschen, „nach der akuten Nothilfe eine glasklare Analyse“ des Katastrophenschutzes. Deutschlands Katastrophenschutz sei ein Flickenteppich, kritisierten die Grünen.

Im Hinblick auf den Schutz vor solchen Naturkatastrophen hätte man von der DDR nach 1990 Bewährtes übernehmen und angesichts des fortschreitenden Klimawandels und neuer technischer Möglichkeiten durch neue Erfahrungen und Erkenntnisse ergänzen können. Aber da fehlte und fehlt nicht nur der politische Wille. Wie der „MDR“ in einer Sendung 2014 feststellte, „behaupten“ beispielsweise „Insider“, dass das Hochwasser-Management der DDR „effektiver und vielfach besser organisiert“ war als heute. „Vor allem durch den zentralistischen Aufbau (…) Anders als vermutet, experimentierten damals unzählige Wissenschaftler vor allem an ökologischen Konzepten des Hochwasserschutzes.“ Im Grenzgebiet zur BRD (für den „MDR“ eine „innerdeutsche Grenze“) „blieben viele Flüsse wie die Elbe von großen Deichbaumaßnahmen fast komplett verschont. Die Mangelwirtschaft der DDR verhinderte vielfach den befestigten Bau von Staustufen und Begradigungen. So entstand ein – wenn auch ungewollter – ökologischer Hochwasser-Schutz, wie er von der Bundesregierung seit 2002 gefordert, doch nur in Bruchteilen umgesetzt wird. Ein Hauptproblem dabei sind die neuen Eigentumsverhältnisse in den neuen Bundesländern.“ So konnten dagegen beispielsweise zu DDR-Zeiten auf zentrale Anordnung „Auenbereiche als wichtige natürliche Hochwasser-Rückhaltebecken von land- oder forstwirtschaftlicher Nutzung ausgeschlossen werden“.

Doch nicht nur vom Hochwasser-Management der DDR hätte man manches übernehmen können. Wenn jetzt über den Einsatz von Sirenen zur Warnung vor Katastrophen wie extremen Wetterereignissen debattiert wird, muss daran erinnert werden, dass beispielsweise nach 1990 im Osten Deutschlands zehntausende Sirenen abgebaut wurden. Ein Grund dafür: Städte und Gemeinden sollten nun für deren Unterhalt selbst aufkommen. Mit dem Anschluss der DDR wurden auch die Katastrophenkommissionen, die seit 1954 nicht nur zentral, sondern auch auf der Ebene der Bezirke und Kreise des Landes existierten und in denen Vertreter aller für den Katastrophenfall wichtigen Institutionen und der Verwaltungen mitarbeiteten, abgeschafft.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Besser organisiert", UZ vom 30. Juli 2021



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