Butter bei die Fische

UZ im Gespräch mit Willi Gerns

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( UZ-Archiv)

Willi Gerns ist schon seit 1949 in der kommunistischen Bewegung tätig, erst als Funktionär von FDJ und KPD, seit 1968 bis 1990 als Präsidiumsmitglied und Sekretär des Parteivorstandes der DKP. In den 50er-Jahren saß er für seine Überzeugung 30 Monate im Knast. In zahlreichen Veröffentlichungen, viele davon gemeinsam mit Robert Steigerwald, gab er den Diskussionen über linke Strategien Orientierung. Vor wenigen Tagen, am 13. Dezember, beging Willi Gerns seinen 87. Geburtstag.

UZ: Wie lief die Arbeit in der KPD nach dem Verbot 1956?

Willi Gerns: Also zunächst einmal waren viele Funktionäre der KPD, vor allem auf den höheren Ebenen der Partei, Genossen, die in der Illegalität der Nazizeit schon in der Partei gearbeitet hatten. Und die hatten ein Verständnis von Illegalität mitgebracht, wie das in der Nazizeit war und sein musste unter diesen Bedingungen.

Als die KPD verboten wurde, saß ich im Knast. Für meine Tätigkeit in der FDJ war ich zu zwei Jahren verurteilt. Als ich rauskam, da lief schon die illegale Arbeit.

In Hannover habe ich dann diese illegale Arbeit erlebt – zunächst in der Wohngebietsgruppe in Hannover-Buchholz-Bothfeld. Die Kreisleitung in Hannover, so würde man heute sagen, der Kreiskopf oder so nannten wir das damals, wurde spätestens nach einem Vierteljahr verhaftet. Das ging ruckzuck – eine Leitung nach der anderen. Ein Grund war, dass zu dieser Illegalität aus der Zeit der illegalen Parteiarbeit während der Nazizeit gehörte, dass die Genossen, die die Leitung übernahmen, von woanders her eingesetzt wurden. Also Genossen, die man vor Ort nicht kannte.

Das wurde zumindest bei uns in Hannover zunächst so praktiziert. Da waren Genossen aus Bayern, aus Baden-Württemberg, aus Schleswig-Holstein usw. Die haben die Führung übernommen, waren nirgends verankert – in der Gewerkschaft oder so, in Vereinen und konnten es ja auch nicht sein. Diese Leitungen wurden ruckzuck weggeputzt. Und als ich aus dem Gefängnis kam, war es gerade wieder so. Die Leitung weggeputzt, nach einer Weile noch mal die Leitung weggeputzt. Dann habe ich die Initiative ergriffen und habe zusammen mit vier Genossen gesagt: So, jetzt machen wir hier die Leitung. Das ging völlig unabhängig von der übergeordneten Führung, zu der wir und die zu uns zunächst keinen Kontakt hatten.

Wir haben die neue Leitung dann nur mit Genossen besetzt, die in Betrieb und Gewerkschaft verankert waren und möglichst auch noch in Vereinen usw. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Leitungen nicht mehr verhaftet. Es war dann nicht so, dass von der Führung her nun unbedingt das Gespräch gesucht wurde. Ich weiß noch, wie Willi Mohn, der im Politbüro war, gesagt hat: Was ist denn da los, was machen die denn da in Hannover, was sind denn das für Leute da überhaupt? Und keiner hat Kontakt aufgenommen.

Von der illegalen Landesleitung kam dann doch ein Genosse, hat sich rangetraut an uns. Unser Vorgehen hat dann auch Zustimmung gefunden. In der zweiten Hälfte 1957 kam ich aus dem Knast, und schon etwa Ende 1957, da war schon eine Situation, wo wir generell versucht haben, uns vorzutasten in der Verbindung von illegaler und legaler Arbeit. Und so hat sich das dann entwickelt.

UZ: Du sagst, die Verankerung war für die illegale Arbeit wichtig. Wie war das bei dir?

Willi Gerns: Ich war damals in Hannover bei den Vereinigten Leichtmetall-Werken beschäftigt und Vorsitzender der gewerkschaftlichen Vertrauensleute. Im Betrieb war bekannt, dass ich Kommunist war. Ich habe da auch feste agitiert. Ich habe als Fräser gearbeitet und mich darum bemüht, dass ich in meiner Halle den Anschläger am Kran machen konnte. Als Anschläger wollte ich arbeiten, damit ich rumkam in der ganzen Halle, nicht nur an meinem Arbeitsplatz. Das habe ich dann auch für Gespräche über gewerkschaftliche und politische Fragen mit den Kollegen kräftig genutzt. Und das hatte Auswirkungen.

Als die Adenauer-Regierung den Versuch unternahm, mit einer sogenannten Krankversicherungsreform die paritätische Finanzierung durch Unternehmer und Beschäftigte durch einseitige Zusatzkosten für die Arbeiter und Angestellten aufzuheben, hat es große Protestaktionen gegeben. In einzelnen Betrieben fanden sogar Warnstreiks statt. Auch wir haben auf einstimmigen Beschluss der Vertrauensleute einen solchen Warnstreik durchgeführt. Dafür wurde ich als Vorsitzender der Vertrauensleute als „Rädelsführer“ gebrandmarkt und fristlos entlassen.

Der Streik wurde dann auch zu einem der Anklagepunkte in einem erneuten Prozess wegen „Fortsetzung der KPD“, in dem ich zunächst zu einem Jahr und dann zu fünf Monaten Haft verurteilt wurde. Von den Kollegen meines Betriebes habe ich nach der Maßregelung viel Solidarität erfahren, unter anderem durch eine Solidaritätssammlung bei der Auszahlung des folgenden Weihnachtsgelds.

UZ: Aber es gab doch sicherlich auch antikommunistische Angriffe.

Willi Gerns: Sicher. So gab es 1961 nach dem Bau der Mauer in Berlin Betriebe, in denen um die Arbeitsplätze von Kommunisten von aufgeputschten Kollegen Stacheldraht gelegt wurde. In meinem – dann schon ehemaligen – Betrieb hat es das nicht gegeben. In dieser aufgeheizten Situation hat allerdings bei einer örtlichen Funktionärskonferenz der IG Metall in Hannover der Versammlungsleiter kräftig auf den Putz gehauen, gegen die Kommunisten gehetzt, um uns herauszufordern. Da habe ich mich gemeldet und bin unter Geheul des Saales rauf ans Rednerpult. Lange konnte nicht reden und es bestand die Gefahr, dass besonders antikommunistisch aufgeladene Kollegen handgreiflich werden konnten. Vertrauensleute von den Vereinigten Leichtmetall-Werken haben mich nach der Veranstaltung bis zur Straßenbahn gebracht, damit mir nichts passiert. Also es ging schon manchmal hart zur Sache.

Aber das war natürlich örtlich auch unterschiedlich. Das galt übrigens auch für die Wirkungsmöglichkeiten unter den Bedingungen der Illegalität. Während Niedersachsen zu den Bundesländern gehörte, in denen besonders rigoros durchgegriffen wurde, habe ich Bremen, wo ich später in den letzten Jahren der Illegalität gelebt und politisch gewirkt habe, schon fast wie eine Oase erlebt.

UZ: Inwiefern war Bremen eine Oase?

Willi Gerns: Wir hatten z. B. vor der Konstituierung der DKP einen Landesausschuss für die Wiederzulassung der KPD. Da war Hermann Gautier der Vorsitzende und ich gehörte neben weiteren Genossen dem Ausschuss an. Wir haben den Programmentwurf der KPD in einer großen öffentlichen Versammlung vorstellen können in Bremen. Das ging nicht überall, aber in Bremen ging das.

UZ: Ist das das Dokument, bei dessen Vorstellung Herbert Mies in Mannheim verhaftet wurde?

Willi Gerns: Ja, genau. Hier in Bremen ist nichts passiert. In der Niederdeutschen Bühne, der Saal war proppenvoll. Hermann und ich haben den Programm­entwurf vorgestellt.

Und wir haben dann sehr viel unternommen. Wir hatten auch eine Veranstaltung zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution. Die haben wir vom Ausschuss für die Wiederzulassung der KPD vorbereitet und vom Ausschuss der 4.-Februar-Kämpfer in Bremen. Eine tolle Veranstaltung, die Glocke war brechend voll.

UZ: Wie hast du reagiert, als du von der Neukonstituierung der DKP erfahren hast?

Willi Gerns: Zunächst hatte ich große Bauchschmerzen – unser guter Name KPD, der sollte weg. Aber mit der Zeit haben wir dann natürlich begriffen, dass es richtig war, diesen Schritt zu gehen. Denn es ist klar, wir waren damals eine Partei, die auf Bundesebene enorm zusammengeschrumpft war in diesen Jahren der Illegalität, auch eine überalterte Partei geworden war. Es war ja auch schwer, unter illegalen Bedingungen junge Leute in die Partei zu holen. Aber gleichzeitig entwickelte sich die Protestbewegung der Jugend und Studenten usw. Gleichzeitig entwickelte sich an den Universitäten auch die Stimmung, den Marxismus kennenlernen zu wollen. Und wir standen als illegale Partei natürlich weitgehend daneben. Es war schwer für uns, und es bestand die Gefahr, dass wir den Kontakt verloren hätten.

Unter diesem Gesichtspunkt war die Neukonstituierung der DKP dringend notwendig. Wobei wir keinerlei Zugeständnisse gemacht haben. Das war ja gleichzeitig die Situation, als die Ereignisse in der CSSR waren, die Konterrevolution, eine Welle der Hetze gegen die Sowjetunion, die DDR, gegen die Kommunisten. Selbst wenn wir das gewollt hätten, hätten wir überhaupt keine Möglichkeit gehabt, da Zugeständnisse zu machen. Wir mussten Butter bei die Fische geben.

Es war aus meiner Sicht goldrichtig, dass dieser Schritt gegangen wurde – das war genau zum richtigen Zeitpunkt. Auch in der Arbeiterklasse entwickelten sich Bewegungen, die Krise – das war die erste Krise damals in der Nachkriegszeit –, es gab Streiks. Wir waren damals auch noch hier und da, auf jeden Fall viel stärker als heute in den Betrieben verankert.

UZ: Gab es damals noch andere Argumente gegen die Neukonstituierung als den Verlust des Namens KPD?

Willi Gerns: Von uns aus gab es im Grunde keine weiteren Argumente gegen eine Neukonstituierung. Aber wir waren ja zu der Zeit schon alle längere Zeit Mitglieder der KPD. Wir waren erzogen worden von der antifaschistischen Parteigeneration, also von denjenigen, die auch in der Illegalität der Nazizeit ihren Mann oder ihre Frau gestanden hatten, und insofern hatte man schon ein ungutes Gefühl. Der Name dieser Partei, der KPD, war ja auch verankert, international verankert.

Eine bestimmte Zeit, hat ja die KPD auch noch bestanden, das Politbüro der KPD usw. Es wurde ja auch noch im Grunde genommen ein gewisses Maß an illegaler Arbeit gehalten, weil nicht klar war, was wird aus der Sache, wenn die das sehr schnell wieder verbieten oder so. Wenn wir als legale Partei uns konstituieren wollten, mussten wir ja legal auftreten, also die Namen wurden bekannt.

Insofern wurde auch noch eine Reserve gehalten von KPD.

UZ: Welche Aufgabe hast du nach der Neukonstituierung übernommen?

Willi Gerns: Als dann die DKP konstituiert war und es den ersten Parteitag gegeben hatte, war ich verantwortlich für den ganzen ideologischen Bereich, dazu gehörte Kultur, Bildung, Schulbildung und alles. Und mein Mitarbeiter war Hannes Stütz. Wir haben damals die Positionen dazu formuliert und das ist dann ja nachher immer mehr aufgeteilt worden, immer mehr hauptamtliche Kräfte wurden eingestellt. Nachher war Gerd Deumlich für Kultur verantwortlich, und dazu gehörte dann auch Bildung allgemein, Schulbildung. Wir hatten dann nur noch den Bereich Marxistische Theorie und Bildung in Verantwortung. Also die Parteibildungsarbeit und die theoretische Arbeit, dazu gehörten auch die Verbindungen zum IMSF, zum Institut in Frankfurt.

UZ: Du hast davon gesprochen, dass es der richtige Zeitpunkt für eine Neukonstituierung war, auch aufgrund des Interesses an Marxismus an den Universitäten …

Willi Gerns: Das Interesse war riesig. Und gleichzeitig gab es in der Studentenbewegung bereits starke maoistische und anarchistische Einflüsse. Robert Steigerwald und ich haben eine Tournee veranstaltet durch die Universitäten und uns mit ihnen gestritten. Wir hatten heiße Auseinandersetzungen, die bis zu Prügeleien gingen. So, dass sie uns angegriffen haben oder manchmal auch uns die Nerven durchgegangen sind.

UZ: Und diesen Kampf um die revolutionären Studierenden habt ihr sofort begonnen nach Neukonstituierung der DKP?

Willi Gerns: Ja, hunderte Veranstaltungen hat es gegeben, andere Genossen haben auch Veranstaltungen gemacht, aber Robert und ich haben bestimmt 120, 150 Veranstaltungen insgesamt gemacht, nicht nur an Universitäten, aber vor allem auch an Universitäten.

Vorher hatten wir keinen Kontakt zu den Studierenden. Auch hier in Bremen in der Bremer DKP – erst in der KPD und dann in der DKP – haben wir, glaube ich, keine Studierenden gehabt, keinen einzigen. In Niedersachsen, in der FDJ, hatten wir einen Studenten, mehr habe ich nicht gekannt.

Heute ist das ja so, dass wir froh sind, wenn wir Arbeiter haben.

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Über den Autor

Lars Mörking (Jahrgang 1977) ist Politikwissenschaftler. Er arbeitete nach seinem Studium in Peking und war dort Mitarbeiter der Zeitschrift „China heute“.

Mörking arbeitet seit 2011 bei der UZ, zunächst als Redakteur für „Wirtschaft & Soziales“, anschließend als Verantwortlicher für „Internationale Politik“ und zuletzt – bis Anfang 2020 – als Chefredakteur.

 

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"Butter bei die Fische", UZ vom 22. Dezember 2017



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