„Rheinmetall entwaffnen“-Camp fand in Kassel statt

Da, wo alles beginnt

Krauss-Maffei-Wegmann (KMW), Rheinmetall, dazu diverse Zulieferbetriebe- wer auf der Suche nach der deutschen Rüstungsindustrie ist, der wird in Kassel fündig. Mit über 200-jähriger Tradition wird in der nordhessischen Stadt Kriegsmaterial hergestellt. Doch wo Ende des 18.Jahrhunderts noch Kanonenkugeln gegossen wurden, entstehen heutzutage vor allem Panzer und anders, schweres Kriegsgerät. Der Leopard 2 Panzer wird hier gewartet und modernisiert, gleichzeitig entstehen Nachfolgemodelle speziell für den Häuserkampf, Kettenpanzer, Panzerspähwägen, Räumpanzer, Panzerhaubitzen und einiges mehr. Aktuell herrscht Goldgräberstimmung, denn 100 Milliarden Euro wollen ausgegeben werden und es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht mehr schwere Waffen für die Ukraine gefordert werden.

KMW entwickelt und produziert an vier Standorten in Kassel zu 100 Prozent Kriegsmaterial und verzeichnete damit im Jahr 2020 einen Umsatz von 2,4 Milliarden Euro. Das Vermögen der Eigentümerfamilie Bode beläuft sich auf 800 Millionen Euro. Rheinmetall wiederum ist der zweitgrößte, deutsche Rüstungsproduzent nach Airbus, hat einen Jahresumsatz von 4,2 Milliarden Euro und betreibt in der niedersächsischen Provinz nahe Unterlüß die größte, private Panzerteststrecke Europas. Doch auch das Panzertestfeld mitten in Kassel auf dem Rheinmetallgelände kann sich sehen lassen. Der Umgang der Kassler Stadtspitze mit diesen Firmen, die von Nordhessen aus Kriegsgerät und damit Tod, Elend, Krieg und Vertreibung in alle Welt exportieren, ist seit jeher ambivalent, und meistens davon geprägt, mit der Produktion von Rüstungsgütern in ihrer Stadt möglichst wenig konfrontiert werden zu wollen.

Deutschland ist der weltweit viertgrößte Exporteur von Kriegsmaterial und Rüstungsgütern. Das heißt aber auch, dass diese Waffen hier bei uns vor Ort konzipiert, entworfen, montiert, getestet, verbessert, verpackt und schließlich verkauft werden. Letztendlich können und müssen sie also auch hier gestoppt werden, wenn sie anderswo in der Welt keinen verheerenden Schaden anrichten sollen. Bereits seit Jahren arbeiten deshalb verschiedene, antimilitaristische Bündnisse, entweder zu Rheinmetall als Konzern unter dem Slogan „Rheinmetall entwaffenen“, als Teil der „war starts here – let’s stop it here“-Vernetzung, zu der auch die Proteste gegen den Atomwaffenstandort in Büchel gehören oder direkt in Kassel, um die Rüstungsproduktion vor Ort aus der stillschwiegenden Anonymität zu holen und möglichst viele Menschen mit dem Umstand zu konfrontieren, dass direkt neben ihrer Haustür Kriegsgerät produziert wird, dass anderswo auf der Welt für unsägliches Leid verantwortlich ist, während die Konzernaktien und Privatgewinne der Rüstungsunternehmerfamilien immer weiter steigen.

Bereits zur Documenta 2012 gab es in Kassel erste Aktionen, von 2017 bis 2020 fanden jährliche Aktionstage und Blockaden der Eingänge sowohl bei Rheinmetall als auch bei KMW statt. Aufgrund der politischen Gesamtlage wurden die diesjährigen Aktionen des Bündnisses „Rheinmetall entwaffnen“ Anfang September nun mit Spannung erwartet. Die Aktionswoche bestand aus verschieden Veranstaltungen in der Stadt, Blockaden, Demonstrationen, Kundgebungen, der Beteiligung am Antikriegstag des Kassler Friedensforums und einem antimilitaristischen Camp mit in der Spitze 500 Teilnehmenden.

Hatte sich die Polizei in den vergangenen Jahren bei Protesten eher zurück gehalten und auch die betroffenen Rüstungskonzerne eher Blockaden ihrer Werkstore toleriert und Produktionseinbußen in Kauf genommen als schlechte Öffentlichkeit zu riskieren, wehte in diesem Jahr ein merklich anderer Wind. Die Polizei war mit Einsatzkräften sowie Hubschraubern in der Stadt dauerpräsent und versuchte die in den frühen Morgenstunden des 3. September errichteten Blockaden eines KMW-Werks unter dem Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken aufzulösen. Da KMW zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits die Produktion für diesen Tag abgesagt hatte, konnte die Aktion als Erfolg ausgewertet werden.

Die Repression machte jedoch den Dialog und die Kommunikation des Inhalts der Aktionswoche umso wichtiger. So fanden an mehreren Tagen vom Camp ausgehend Verteilungen vor KMW und Rheinmetall-Werken statt, um die Beschäftigten darüber zu informieren, dass sich der Protest nicht gegen sie richtet. Die Resonanz war erstaunlich wenig negativ. Auch das Angebot, sich auf dem direkt in einer Wohnanlage gelegenen Camp über die Inhalte zu informieren wurde von einigen AnwohnerInnen wahrgenommen. Dennoch war, gerade bei Gesprächen mit Passantinnen und Passanten in der Kasseler Innenstadt oder auch im Rahmen der Presseberichterstattung deutlich sichtbar, dass die pro-militaristische Agitation der letzten Monate seit Beginn des Ukraine-Kriegs Früchte getragen hat. Zu viele Menschen sind (noch) davon überzeugt, dass 100 Milliarden für Krieg und Aufrüstung ihrer Sicherheit, und nicht der Profitmaximierung einer handvoll Konzerne dienen. Umso wichtiger ist es, im antimilitaristischen Bereich weiterhin präsent zu sein, alternative Konzepte zu unterbreiten, die Verknüpfung von sozialen Verwerfungen und Rüstung herzustellen und immer wieder daran zu erinnern, dass Krieg und Aufrüstung zwar ein unbedingter Bestandteil des Imperialismus ist, aber es auch in unserer Macht liegt, ihn zu stoppen. Und zwar hier, im eigenen Land, wo alles beginnt



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