Neue Angriffe auf Asylrecht – Chronologie einer Kampagne

Das schaffen wir … ab

Von Klaus Stein

Polizei zieht Bilanz: „Ausgelassene Stimmung – Feiern weitgehend friedlich“,  so heißt es in der ersten Pressemitteilung über die Silvesternacht in Köln. Sie habe hauptsächlich wegen Körperverletzung (80 Einsätze), Ruhestörung (76) und Sachbeschädigung (20) einschreiten müssen, teilt die Kölner Polizei zunächst mit – Zahlen in etwa auf dem Niveau des Vorjahres. Aber die „Kölnische Rundschau“ vermerkt online schon am 1. Januar „drastische Ausnahmen“. Allmählich wird bekannt, dass es zahlreiche sexuelle Übergriffe und zwei vollendete Vergewaltigungen in und um den Kölner Hauptbahnhof gegeben hat. Wegen der großen Menge konnten in der Tatnacht gar nicht alle Anzeigen durch die beiden Beamten aufgenommen werden. Als Täter kommen für die Polizei nordafrikanische junge Männer in Frage, eine Tätergruppe, die sie als Taschendiebe mit Antanz-Masche zu kennen glaubt. Bald aber ist von 1 000 Nordafrikanern oder Arabern die Rede.

Bundesjustizminister Heiko Maas vermutet Absprachen unter den Tätern. Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft warnt zwar davor, Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen. Aber er fragt sich, warum jetzt der große Aufschrei ausbleibe. „Offensichtlich ist es so, dass es hier die falschen Täter sind. Wenn es andere Täter wären, etwa Hogesa-Mitglieder, wäre der Aufschrei längst da.“ Im Falle von Muslimen bestehe offenbar eine Neigung, auf Tauchstation zu gehen. Bundesinnenminister de Maizière weist ebenfalls den Generalverdacht weit von sich, zumindest nicht „in diesem Stadium der Ermittlungen“. Aber es dürfe auch kein Tabu errichtet werden. Der Rechtsstaat habe „schon Mittel, solche Straftäter abzuschieben. Abgelehnte Asylbewerber unterfallen dem normalen Ausweisungsrecht.“ Die „New York Times“ titelt: „Attacken auf deutsche Frauen entzünden Debatte über Migranten“.

Am 5. Januar demonstrieren 400 Frauen gegen Sexismus und Rassismus auf der Domplatte. Am Folgetag will Pro NRW über die „Testosteronsteuerung von eintausend südländisch aussehenden Neubürgern und ihre Jagd auf junge einheimische Frauen aufklären“, wird daran aber von 200 Antifaschisten lautstark gehindert. Am gleichen Tag kündigt die Rocker- und Türsteherszene an, zusammen mit Hooligans die Innenstadt von Ausländern säubern zu wollen.

Für Samstag, den 9. Januar, ruft Pegida NRW zur Demonstration in Köln auf. Die fällige Gegendemonstration verantwortet das Bündnis „Köln gegen Rechts“. Motto: „Pegida NRW stoppen! Nein zu rassistischer Hetze! Nein zu sexueller Gewalt!“ Außerdem rühren sich die Frauen. Sie veranstalten zunächst auf der Domplatte einen „Frauen-Flashmob gegen Männergewalt“. Die etwa 1 000 Teilnehmerinnen schließen sich danach der Kundgebung „Köln gegen Rechts“ an. Auch hier sprechen ausschließlich Frauen. Sexuelle Gewalt von Männern sei Teil der bundesrepublikanischen Alltagskultur, ob im Kölner Karneval oder beim Münchner Oktoberfest, und nicht an Nationalität, Herkunft oder Religion gebunden. Pegida instrumentalisiere die Empörung über die sexuellen Übergriffe für rassistische Hetze.

Nicht 1 300, die in den herrschenden Medien gezählt werden, sondern 4 000 Menschen sind es, die sich auf dem Breslauer Platz zur Manifestation gegen Pegida versammeln. Ihnen gegenüber werden 1 500 organisierte Neonazis und Hooligans aus dem Hogesa-Spektrum sorgfältig durch die Polizei auf Abstand gehalten. Die Nazis bewerfen die Polizeireihen eine halbe Stunde lang mit Steinen, Flaschen und Böllern, bis Wasserwerfer sie stoppen und die Zusammenrottung aufgelöst wird.

Am 11. Januar steht Innenminister Ralf Jäger vor dem Innenausschuss des Landtages Rede und Antwort. Den Kölner Polizeipräsidenten Albers hat er schon entlassen. Mittlerweile summiere sich die Zahl der Strafanzeigen auf 516, allein in 237 Fällen beträfen sie mutmaßliche Sexualdelikte, zu denen sich 107 gleichzeitige Diebstähle gesellen. Dazu kämen noch 279 Eigentums- und Körperverletzungsdelikte. Das Vorgehen der bislang ermittelten 19 Tatverdächtigen (davon 14 aus Marokko und Algerien) sei vorrangig sexuell gewesen, was die Taten von bereits bekannten Straftaten der sogenannten Antanz-Masche unterscheide.

Am 10. Januar machen mehrere hundert Rocker und Hooligans in der Kölner Innenstadt Jagd auf Afrikaner und Pakistani und verletzten einige schwer.

Theo Kruse (CDU) warnt im Innenausschuss des Landtags vor einem Gefühl der Rechtlosigkeit in NRW. Bürger würden nach den schauerlichen Ereignissen in Köln das Recht in die eigenen Hände nehmen. Bezieht er sich auf brennende Flüchtlingsunterkünfte? Meint er die Jagd auf Afrikaner und Pakistani?

Schon am Samstag hat der CDU-Parteivorstand in einer „Mainzer Erklärung“ beschlossen, die Ausweisung von Flüchtlingen vorzusehen, auch wenn sie nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt werden. Aus dem Gefühl der Rechtlosigkeit wird die Auflösung des Rechts.

Die letzten Reste des Asylrechts? Die Genfer Flüchtlingskonvention? Das schaffen wir – ab.

Denn für den Krieg gegen den Rest der Welt braucht der Imperialismus die Festung Europa und den Terror im Haus.

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"Das schaffen wir … ab", UZ vom 15. Januar 2016



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