Sachsen: Staatliches Förderkartell für rechte Gewalt

Das Tal der Brandstifter

Von Markus Bernhardt

Von Woche zu Woche erreicht die maßgeblich gegen Flüchtlinge, ihre Unterkünfte, aber auch ihre Unterstützer gerichtete rechte Gewalt neuerliche Höhepunkte. Vor allem der Freistaat Sachsen gilt mittlerweile nicht nur als – im wahrsten Sinne des Wortes – Brandherd, sondern auch als das deutsche Bundesland mit der ausgeprägtesten rassistischen Grundstimmung in der Bevölkerung. Verwundern kann dies keineswegs: Sind zwei Legislaturperioden NPD-Propaganda im dortigen Landtag, das kontinuierliche „Pegida“-Gehetze von mehreren tausend Personen, aber auch die dauerhafte und führende Beteiligung der als besonders rechts geltenden sächsischen CDU an der Landesregierung seit der Annexion der DDR nicht spurlos an der Bevölkerung vorbeigegangen. Von einem Kartell aus Rechtskonservativen, Nationalisten und offenen Faschisten wurde das einstige „Tal der Ahnungslosen“ zu einem Tal der Brandstifter, Hetzer und Menschenfeinde transformiert. Kommunale Verwaltung, Polizei und Justiz wurden kurz nach der sogenannten Wende mit dem westdeutschen Personal besetzt, welches aufgrund mangelnder Qualifikation und charakterlicher Eignung im Westen der Republik nichts werden konnte. Das wirkt bis heute nach.

Noch immer diskutiert die Öffentlichkeit die jüngsten rassistischen Exzesse, die sich Ende der vergangenen Woche, diesmal im sächsischen Clausnitz, Bahn brachen. Nachdem ein aufgebrachter rassistischer Mob dort am vergangenen Donnerstagabend den Einzug von rund 20 Flüchtlingen – darunter viele Frauen, Kinder und Jugendliche – in eine Unterkunft mittels einer Blockade zu verhindern versuchte, gilt der kleine Ort als neues Synonym für sächsischen Rassismus.

Das genaue Beiwerk des kleinbürgerlichen Volkszorns ist unterdessen durchweg geeignet, jedem denkenden Menschen die Sprache zu verschlagen. Zu den Fakten: Das Heim, in dem die Flüchtlinge untergebracht werden sollten, wurde von einem AfD-Anhänger geführt, der erst nach den rechten Exzessen versetzt wurde. Die rassistischen Proteste organisierte offenbar der Bruder des nunmehr einstigen Heimleiters. Die eingesetzte Polizei – so zeigen es im Internet veröffentlichte Videosequenzen – ging mit brutaler Gewalt gegen einen äußerst verängstigten jugendlichen Flüchtling vor, um diesen aus dem Bus in die Flüchtlingsunterkunft zu bugsieren. Im Nachgang zu diesen erschreckenden Szenen erklärte der zuständige Chemnitzer Polizeipräsident Uwe Reißmann auf einer Pressekonferenz, dass den Polizisten vor Ort kein Fehlverhalten vorzuwerfen sei. Explizit verteidigte er auch die gegen den jungen Flüchtling, der den Bus nicht verlassen wollte, gerichtete Polizeigewalt. „Es war zum Schutz des Kindes, weil wir davon ausgegangen sind, dass das Gebäude wesentlich sicherer ist“, so Reißmanns zynischer Kommentar, der mehr an die Schutzhaft der Nazis und weniger an einen demokratischen Rechtsstaat erinnert. „Was wir sicherlich ausweiten werden, sind Ermittlungen gegen den ein oder anderen Insassen des Busses“, kündigte der Staatsdiener außerdem an und machte flugs aus den Opfern der rassistischen Pogrome Täter. Politische Schützenhilfe bekamen die Beamten außerdem erwartungsgemäß vom Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, der ansonsten als gern gesehener Gesprächspartner der Rechtsaußenpostille Junge Freiheit gilt und trotz der veröffentlichten Videoaufnahmen vor einer „Vorverurteilung“ der Beamten warnte. Auch der aus Sachsen stammende Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sprang nicht etwa den verängstigten und traumatisierten Flüchtlingen, sondern den Beamten umgehend schützend zur Seite.

Mit unverhohlener Freude sahen derweil am vergangenen Samstagabend etwa 30 teils alkoholisierte Schaulustige bei einem Feuer in einer geplanten Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Bautzen zu und behinderten die Arbeit der Feuerwehr. „Clausnitz, Löbau, Bautzen – das sind die Orte in Sachsen, die sich in dieser Woche einreihen in die lange Liste der Orte, in denen Nazis und die sogenannten ‚besorgten Bürger‘ Hand in Hand mit Anschlägen gegen Flüchtlingsunterkünfte für eine menschenfeindliche Stimmung sorgen. Bis zur letzten Nacht war Clausnitz dabei der nächste traurige Höhepunkt, kombiniert mit einer skandalösen Polizeiarbeit und einer nachträglichen Täter-Opfer-Umkehr“, kritisierte Silvio Lang, Sprecher für antifaschistische Politik im Landesvorstand der sächsischen Linkspartei. Jedoch habe Bautzen noch einen draufgesetzt: „Mit einem Brand im Husarenhof und klatschenden Menschen, die mit Alkohol in der Hand und ihren Kindern im Schlepptau, die Szenerie gefährlich nach 1991 und Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen aussehen lassen.“

Die sächsische Linksfraktion im Landtag kündigte unterdessen an, im Landtag thematisieren zu wollen, warum der rechte Mob in Clausnitz überhaupt den Einzug der Schutzsuchenden über eineinhalb Stunden habe blockieren können. Auch das offensichtliche Fehlverhalten der Polizei wollen die demokratischen Sozialisten thematisiert wissen. „Langsam beginne ich an eine selbstverordnete, rechtsäugige Blindheit von Teilen der sächsischen Polizei und vor allem ihres Dienstherrn zu glauben“, konstatierte Linksfraktionschef Rico Gebhardt im Nachgang an die rassistischen Attacken. Nicht zuletzt aus der Pressekonferenz des Chemnitzer Polizeipräsidenten Uwe Reißmann ergäben sich Fragen, die nunmehr „dringend geklärt werden“ müssten. Warum werde beispielsweise nicht von Amts wegen gegen die „Demonstranten“ vor der Flüchtlingsunterkunft und dem Bus wegen des Verdachts des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, des Landfriedensbruchs, der Beleidigung, der Nötigung, der Volksverhetzung oder des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ermittelt, fragte sich Gebhardt.

„Ich fordere Sachsens CDU-Spitze auf, mit dem verbalen Zündeln sofort aufzuhören. Die klare unmissverständliche Botschaft der Landespolitik muss sein: Mit allen Menschen, die zu uns kommen, wird menschenwürdig umgegangen. Verstöße gegen Grundregeln des zivilisierten Umgangs werden nicht geduldet, sondern verfolgt und verurteilt“, so der Linkspartei-Politiker.

Im Nachgang zu den neuerlichen Gewaltexzessen mehrten sich – wie mittlerweile regelmäßig üblich – die selbsternannten Experten, welche die seit nunmehr über 25 Jahren nicht mehr existente sozialistische DDR für die rassistische Gewalt verantworlich machten. Die Frage, warum sich die nazistischen Gewalttäter hingegen in eine historische Kontinuität mit den selbsternannten Bürgerrechtlern stellen, die mit ihrem „Wir sind das Volk“-Nationalismus die Vorläufer der heutigen Brandstifter waren – und sich übrigens bis heute nicht zu ihren „politischen Nachfahren“ geäußert, geschweige denn distanziert haben – wird jedoch nirgendwo gestellt. Ein typisch deutscher Winter eben.

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"Das Tal der Brandstifter", UZ vom 26. Februar 2016



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