Junge Kommunisten kämpften ideenreich gegen die Remilitarisierung der BRD

Der Marschall der FDJ

Von Werner Sarbok

Der „Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten“ wurde von reaktionärsten Kräften als paramilitärischer Verband kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges im Dezember 1918 gegründet. In der Weimarer Republik wirkte er als bewaffneter Arm der demokratiefeindlichen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP).

In einer Erklärung eine Erklärung des Brandenburgischen Landesverbands des „Stahlhelms e. V.“ aus dem Jahre 1928 heißt es: „Wir hassen mit ganzer Seele den augenblicklichen Staatsaufbau, weil er uns die Aussicht versperrt, unser geknechtetes Vaterland zu befreien, das deutsche Volk von der erlogenen Kriegsschuld zu reinigen, den notwendigen Lebensraum im Osten zu gewinnen.“

In der BRD gründete sich im Jahre 1951 der „Der Stahlhelm e. V.“ in Köln erneut unter Mitwirkung des ehemaligen Generalfeldmarschalls Albert Kesselring. Von 1952 bis 1960 war Kesselring Bundesführer dieser Vereinigung.

In einer Sitzung des Deutschen Bundestages am 30. September 1955 wurden die Aufmärsche des Stahlhelms in Goslar, Recklinghausen und anderen Städten der BRD thematisiert. Der sozialdemokratische Abgeordnete Kurt Mattick führte aus:

„In Goslar marschierte im buchstäblichen Sinne des Wortes der Stahlhelm auf. Ganze Gruppen waren voll uniformiert und andere zum Teil, wie die Bilder zeigen, die sicher allen noch in Erinnerung sind – ich zeige hier die „Münchner Illustrierte“ –, uniformiert mit Stahlhelmen, Koppeln, Schaftstiefeln und Knüppeln. Die Knüppel waren allerdings getarnt in Form von Fackeln. Aber diese Fackeln wurden, wie der Bericht aussagt, auch schon bei Tageslicht in den Händen der stahlhelmtragenden Uniformierten getragen. …

In Goslar hat der Stahlhelm gegen das Versammlungsgesetz verstoßen. Die Polizei wandte sich nicht gegen die Stahlhelmträger, sie schritt nicht gegen die Veranstalter ein. Sie war anscheinend, wie man das ja oft hat, wenn Uniformträger auftreten, fasziniert. Die Polizei wandte sich gegen die friedlichen Demonstranten, die diese Uniformierung bekämpften. …

Die Polizei wandte sich nicht gegen den Stahlhelm, sondern sie schritt, wie Einzelberichte ausweisen, in unglaublicher Weise gegen die friedlichen Demonstranten, ja gegen die Bevölkerung, die auf der Straße stand und sich dieses Schauspiel ansah, ein.“

Auch die Freie Deutsche Jugend im Ruhrgebiet hatte ihren Marschall. Die Namensähnlichkeit mit dem sowjetischen Marschall Sergei Leonidowitsch Sokolow brachte dem jungen FDJler Karl-Heinz Sobolewski diesen Spitznamen ein.

Und Karl-Heinz war dabei, als KPD und FDJ den Friedenskampf im Landkreis Recklinghausen führten. Tagsüber diskutierten die Genossinnen und Genossen mit Kollegen im Betrieb und Nachbarn im Wohngebiet, nachts mauerten sie die Sprengkammern in den Brücken ihrer Städte zu. Als in Haltern Bauern enteignet wurden, um das Gelände der britischen Besatzungsarmee für einen Truppenübungsplatz zur Verfügung zu stellen, agitierten dort Partei und der Jugendverband und verdeutlichten den Bauern das gemeinsame Interesse der Arbeiterklasse und der Bauern gegen die Remilitarisierung.

Wie eine Bombe schlug im Sommer 1954 die Nachricht ein, dass der verurteilte Kriegsverbrecher und Generalfeldmarschall Kesselring der faschistischen Wehrmacht bei einer Delegiertentagung des „Stahlhelms“ im Städtischen Saalbaus auftreten wollte.

Kesselring ließ als Oberbefehlshaber der Naziarmee in Italien nach einem Attentat 335 völlig unbeteiligte italienische Zivilisten in den Ardeatinischen Höhlen erschießen. Im Mai 1947 wurde er von einem britischen Militärgericht zum Tod durch Erschießen verurteilt, im Juli jedoch zu lebenslanger Haft begnadigt.

Die KPD-Fraktion im Recklinghäuser Stadtrat forderte, das Bundestreffen des „Stahlhelms“ durch eine Verweigerung des Städtischen Saalbaus zu unterbinden. Diese Forderung wurde von einigen SPD-Ratsmitgliedern unterstützt, der Antrag der KPD jedoch abgewiesen, da die Verwaltung der Stadt diese Örtlichkeit bereits vor einiger Zeit an den Stahlhelm vermietet habe.

In den Betrieben regte sich Widerstand. Der rechtssozialdemokratische DGB-Kreisvorsitzende Heußner wurde von zahlreichen Betriebsräten zur Mobilisierung gegen das Revanchis­tentreffen aufgefordert. „Diese Leute habe Heußner gebeten, ihr Anliegen schriftlich niederzulegen und beim Kreisvorstand einzureichen“, berichtete die „Recklinghäuser Zeitung“ am 19. August 1954.

Als sich die 800 Stahlhelmer am 28. August zusammenrotteten, schlug ihnen der Zorn der arbeitenden Menschen entgegen. Die Recklinghäuser Zeitung berichtete von einer Autobus-Kolonne, die am Tagungsort vorbeifuhr und aus der es „Nieder mit dem Stahlhelm“ schallte. Die Jusos traten mit Flugblättern in Erscheinung. FDJlern gelang es, Stinkbomben in dem Saal zur Entfaltung zu bringen. Im nahe gelegenen Haus der IG Bergbau protestierten 300 junge Gewerkschafter gegen die alten und neuen Nazis. Der zuständige Jugendsekretär Hans Alker kritisierte den NRW-Ministerpräsidenten Arnold, der die Tagung entgegen einem zugesagten Verbot erlaube habe.

Im Saalbau währenddessen gruselige Szenen. Mit provisorischen Uniformen traten die Stahlhelmer auf, der Raum mit der Reichkriegsflagge drapiert. Die Bundesleitung des „Stahlhelms“ bekannte sich „zur alten Reichskriegsflagge mit den Farben ‚Schwarz-Weiß-Rot’ als dem ‚Symbol der soldatischen Tugenden’“. Dem Bolschewismus wird von Kesselring „rücksichtslos der Kampf angesagt“. Dazu spielte die Traditionskapelle der Fallschirmjäger. Auf einer Pressekonferenz leugnete Kesselring seine Kriegsverbrechen, bezeichnete sich als „überzeugten Europäer“ und bekannte sich zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft.

Den zweiten Tag der Stahlhelmer in Recklinghausen hat der KPD-Stadtrat August Langele in seinem Roman „Signale an der Ruhr“ aufgearbeitet:

„Das  ‚Ehrenmal der Gefallenen beider Weltkriege’ stand am Rande einer Grünanlage und wurde überdacht von den gelbgrünen Strähnen haushoher Trauerweiden. Mächtige graue Sandsteinblöcke bildeten ein Halbrund. Die Bronzetafeln mit den Namen der Toten waren von beträchtlicher Größe; denn in den beiden Weltkriegen hatten nicht wenige Westhausener ihr Leben lassen müssen.

Die sogenannte Heldenehrung an diesem Morgen war streng geheim gehalten worden. Die auswärtigen Teilnehmer der verunglückten Kundgebung hatten die Stadt während der Nacht bereits verlassen. Nur die Paderborner Husarenkapelle war noch da.

So kam es auch, dass an diesem strahlenden Sonntagmorgen die Westhausener Stahlhelmer, die Husarenkapelle und die Bereitschaftspolizei am ‚Ehrenmal’ ganz unter sich waren. Die Arbeiter würden wohl noch schlafen. Einige Kirchgänger blieben neugierig stehen, denn ein solches Schauspiel sah man nicht alle Tage. Ein schwarzer Straßenkreuzer schnurrte heran. Kesselring und der Propst, Graf Brenkhausen, stiegen aus. Einige halblaute Kommandos wurden gegeben. Stiefelhacken knallten gegeneinander. Ein riesiger Kranz mit langen schwarzweißroten Bändern und Schleifen wurde am Mal niedergelegt. ‚Rührt euch!’

Der Propst sprach ein Gebet. Er war ein bisschen nervös. Als er fertig war, spielte die Husarenkapelle verhalten das Lied vom ‚guten Kameraden’ und danach mit voller Lautstärke die ‚alten Kameraden’.

Nun strömten schon mehr Neugierige herbei. Der Fahrer eines Lieferwagens, auf dessen Dach ein Lautsprecher montiert war, interessierte sich für die Schau ebenso sehr wie seine Beifahrerin. Er parkte etwa fünfzig Meter vom Mal entfernt, um die Zuschauer nicht zu belästigen.

Die ‚alten Kameraden’ waren verstummt. Kesselring trat an das Mal. Er verharrte dort mit gesenktem Haupt und zählte die Blüten in dem Kranz. Dann wendete er sich schneidig um und ließ seine Blicke über die Mannen und das neugierige Volk schweifen.

Und gerade in diesem Augenblick, als er den Mund öffnete, um die für solche Gelegenheiten passenden Worte zu sagen, dröhnte es aus einem Lautsprecher: ‚Schweig, du Kriegsverbrecher! Deine Opfer klagen dich an! Die ermordeten italienischen Zivilisten fordern Sühne!’

Kesselring wurde vor Wut und Schrecken aschfahl im Gesicht.

Linke war keiner Bewegung fähig. Er überlegte krampfhaft: Woher wissen die Roten von dieser Feierstunde? Woher?

Die Stahlhelmer drängten aneinander und blickten entsetzt nach oben. Denn was sie von da oben hörten, war unfassbar. Es war die ‚Internationale’.

Die Polizeioffiziere sahen im ersten Augenblick einander ratlos an.

Nur Kommissar Schneider kombinierte sogleich haarscharf und logisch. Er riss seine Pistole aus der Tasche, schrie: ‚Mir nach!’ und lief zum Lieferwagen hin.

Hannes Kochanski sagte zu der neben ihm sitzenden Jutta: ‚Nun kannst du was erleben. Pass mal auf, was die für Augen machen, peronje!’

‚Aussteigen! Los, raus aus dem Wagen, sofort!’ Schneider fuchtelte mit der Pistole.

Kochanski verließ das Führerhaus.

Peronje, was ist los, wozu spielen Sie verrückt?’

‚Los, los, Wagen aufschließen, dalli, dalli!’

‚Steck das Knallding weg’, knurrte Kochanski, ‚wenn das losgeht, peronje.’

Schneider und die Polizisten drängten Kochanski zum Wagenende.

‚Los, aufschließen!’

Kochanski öffnete mit seinem Vierkantschlüssel. Die Köpfe der Polizisten schossen vor. Leer! Nicht einmal eine Leitung zum Lautsprecher auf dem Dach war zu sehen.

‚Verdammt’, sagte Schneider verblüfft, ‚das Ding funktioniert ja gar nicht.’

‚Nä’, bestätigte Kochanski. ‚Ist ja auch man bloß Reklame für den Rundfunkhändler Kowalski. Steht doch groß und breit am Wagen, peronje. Und gespielt wird aus einer ganz anderen Richtung, das merkt doch jedes Kind.’

‚Nieder mit den Faschisten! Nieder mit den Militaristen! Jagt den Massenmörder Kesselring aus unserer Stadt!’ gellte es.

Man hatte inzwischen festgestellt, dass der Lautsprecher im Wipfel einer Trauerweide hing. Ein Bereitschaftspolizist versuchte auf den Baum zu klettern. Er rutschte immer wieder ab. Der Stamm war zu dick.

Idioten, dachte Schneider im Heranstürmen. Sehen die denn nicht die Leitung? Tatsächlich, die Leitung! Jeder starrte nun auf die von der Weide zu einem nahe gelegenen Haus führende Leitung.

Die Bereitschaftspolizisten hetzten hinter Schneider her. Für sie war das Suchen bereits zum Sport geworden. Sie stürmten die Treppe des in Frage kommenden Hauses hinauf. Ein Mieter wollte wissen, ob sie verrückt seien, das Treppenhaus sei doch kein Truppenübungsplatz. ‚Schnauze!’ keuchte Schneider.

Im dritten Stockwerk wurde das Flurfenster fast aus dem Rahmen gerissen. Aber da war die Leitung. Zum Greifen nahe. Der Draht hing an einem in der Hauswand befindlichen Haken, und am Ende der Leitung hing – nichts.

‚Tote Leitung’, staunte einer der Polizisten. ‚Raffiniert gemacht.’ Der Lautsprecher lebte immer noch. Er schwieg erst, als der am hinteren Ende der Anlage stehende Volkswagen abfuhr.“

Es ist wohl leider zu spät, den genauen Ablauf dieser Ereignisse zu rekonstruieren. Aber sicher ist, dass Karl-Heinz an den Protestaktionen maßgeblichen Anteil hatte. In seiner Rede zum 60. Geburtstag im Januar 1978 führte er aus:

„Wenn alte Jugendfreunde und Genossen über die Vergangenheit und gemeinsam Erlebtes sprechen, wurde oft von den vielen verwegenen Aktionen gesprochen, die sie mit dem Marschall durchführten. Verwegen waren wir oft – das ist auch der Jugend eigen. Doch unüberlegt handelten wir damals nicht, dafür sorgten schon die damals ‚alten’ Genossen.“

 

Ein kommunistischer Lebenslauf

Karl-Heinz Sobolewski (Mitte) auf einer Baustelle in Ratingen

Karl-Heinz Sobolewski (Mitte) auf einer Baustelle in Ratingen

( Privat)

Karl-Heinz Sobolewski (Bildmitte) wurde am 15. Januar 1928 geboren und wuchs in einer Bergarbeiterfamilie auf. Der Vater musste in der Weimarer Republik aus politischen Gründen oft den Arbeitsplatz wechseln und so erlebte Karl-Heinz seine Kindheit in verschiedenen Bergarbeiterkolonien zwischen Hamm, Mülheim und Aachen.

Karl-Heinz erlebte am Ende der Weimarer Republik die Aufmärsche der Nazis in den Kolonien und die Auseinandersetzungen mit den Bewohnern. Nach der Machtübertragung an die Faschisten verschwanden zahlreiche Menschen aus dem Viertel, es verschwanden Lehrer und sein Vater sowie seine drei Onkel in den Gefängnissen der Faschisten.

Der faschistische Krieg prägte ihn. Nach dem Besuch der Volksschule und der Lehre zum Bau- und Möbelschreiner wurde Karl-Heinz Ende 1944 eingezogen. Am 8. Mai 1945 geriet er in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft, nach einem Jahr wurde er entlassen.

Ab Dezember 1947 arbeitete er als Schreiner bei der Stadt Herten. Die Gewerkschaft ÖTV delegierte ihn in den Stadtjugendring. Am 1. April 1948 wurde er Mitglied der KPD und der FDJ. Sein konsequenter Friedenskampf brachte ihm unter Adenauer 18 Monate Haft ein. Er heiratete 1947 seine Kampfgefährtin Elisabeth. Ihre Tochter Sonja war sechs Monate alt, als Karl-Heinz seine Reststrafe absitzen musste. „Als ich nach Hause kam, konnte sie bereits laufen“, schrieb er später.

In Bottrop zählte Karl-Heinz zu den Gründungsmitgliedern der DKP in der traditionsreichen Bergarbeiterstadt. Kurz danach zog er nach Herten.

Nach der Neukonstituierung der Kommunistischen Partei arbeitete er jahrzehntelang bis zur Rente bei dem Essener Baukonzern Hochtief und dessen Tochtergesellschaften. Er war in diesen Jahrzehnten auch immer als Betriebsratsvorsitzender aktiv, beispielsweise beim Bau der Universität in Essen. Unser Foto zeigt Karl-Heinz beim Bau der Wohnbaukomplexe in Ratingen.

Solange es ihm seine Gesundheit ermöglichte, war er in seiner Gruppe und im Kreisvorstand der DKP aktiv. In Herten war er ein geachteter Ansprechpartner in der antifaschistischen Bewegung, er war auch einer der Väter der Zusammenarbeit von Kommunisten und Antifaschisten im Landkreis Recklinghausen mit den entsprechenden Organisationen in Arras (Nordfrankreich).

Karl-Heinz starb am 24. Dezember 2017.

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"Der Marschall der FDJ", UZ vom 31. August 2018



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