Ägypten: Was dem „Arabischen Frühling“ folgte

Der Preis der Stabilität

Von Manfred Ziegler

Im Juni 2012 wurde Mohammed Mursi als Vertreter der Moslembrüder im zweiten Wahlgang mit 51 Prozent der abgegebenen Stimmen zum ägyptischen Präsidenten gewählt. Die gut organisierten Moslembrüder konnten nach dem „Arabischen Frühling“ in mehreren Wahlen und Abstimmungen ihre Stärke ausbauen. Die Unterstützung der Golfstaaten stärkte die konservativsten Kräfte bis hin zu den Salafisten der „Partei des Lichts“.

Für die ägyptischen Eliten war Mursi keine Option. Es zeigte sich eine tiefe „kulturelle“ Kluft in Ägypten zwischen den Eliten und den (gefühlten) Gewinnern der Globalisierung auf der einen und den Verlierern auf der anderen Seite. Ganz ähnlich wie auch in anderen Ländern. Die Instabilität Ägyptens zeigte sich in den Monaten nach der Wahl Mursis. Es gab Proteste gegen Arbeitslosigkeit, Inflation und Benzinknappheit – und zugleich gegen Mursi. Auch wenn die Proteste gegen den Präsidenten sich gegen reale Missstände richteten, so waren sie doch auch ein Projekt der Eliten.

Am 30. Juni, dem ersten Jahrestag von Mursis Amtsantritt als Staatspräsident, kam es in Ägypten zu Protesten, die „Aktivisten“ als größte politische Kundgebung in der Geschichte der Menschheit bezeichneten. Das Militär und Tamarud – eine umstrittene Organisation, der Beziehungen zum ägyp­tischen Geheimdienst nachgesagt werden – unterstützt von bekannten Liberalen wie Friedensnobelpreisträger (für die IAEO) el-Baradei, riefen Mursi zum Rücktritt auf.

Am 3. Juli 2013 übernahm das Militär die Macht und der Führer des Militärrats, al-Sisi verkündete das Ende der Präsidentschaft Mursis. In den Wochen nach dem Putsch wurden mehrere Tausend Moslembrüder verhaftet, ihre Medien verboten. Mindestens 1000 Mitglieder und Unterstützer der Moslembrüder wurden getötet.

Bewegung 6. April und Militärputsch

Die Bewegung des 6. April ist eine ägyptische Organisation, die sich zur Unterstützung eines Textilarbeiterstreiks gebildet hatte. Sie war eine der führenden Kräfte in den Demonstrationen, die zum Sturz Mubaraks führten. Die Bewegung hatte eng mit den Moslembrüdern zusammengearbeitet und es gibt gute Gründe anzunehmen, dass nur diese Zusammenarbeit den Sturz von Mubarak möglich gemacht hatte. Sie unterstützte ursprünglich den gewählten Präsidenten, förderte aber später die Organisation Tamarud in ihrer Kampagne gegen Mursi.

Dem Militärputsch stand sie positiv gegenüber: „Unsere Armee sollte tun, was immer sie will, um diese Terroristen zu töten“ und „Terrorismus und ausländische Einmischung“ würden Ägypten bedrohen und daher die Unterstützung der Streitkräfte durch „das große ägyptische Volk unumgänglich erfordern …“ – so äußerten sich Führer der Bewegung des 6. April zum Putsch.

Moslembrüder und Salafisten, vor allem die „Partei des Lichts“, wurden vom Ausland gefördert, vor allem von den Golfstaaten. Ihre zunehmend reaktionäre Politik und die veränderte regionale Situation mit der Zerstörung Libyens und dem beginnenden Krieg gegen Syrien zerstörten fortschrittliche Perspektiven für Ägypten. Aber zum abschließenden Totengräber der Errungenschaften der Bewegung zum Sturz Mubaraks wurde erst der Militärputsch. Später bezeichnete Ahmed Maher, einer der Führer der Bewegung des 6. April, die Unterstützung des Putsches als Fehler. Beim Militärregime unter al-Sisi handele sich um das alte Mubarak-Regime und man sei wieder auf den Anfang zurückgeworfen.

Trotz der massiven Mobilisierungen im sogenannten „Arabischen Frühling“, trotz Streiks von den Mitarbeitern des Suez-Kanals bis hin zum Personal der Azhar-Universität, blieben die eigentlichen Machtverhältnisse in Ägypten unangetastet. Den meisten Mitgliedern der ökonomischen Elite war es gelungen, ihre Wirtschaftsimperien über den Sturz Mubaraks hinaus zu erhalten.

Sisi, der Putschpräsident

Al-Sisi führte mit dem Putsch und später als Präsident keine zweite Revolution durch, wie es hieß, sondern setzte das Projekt der Eliten durch: Jegliche Opposition sollte mundtot gemacht werden. Verhaftet wurden Moslembrüder und Linke gleichermaßen. Sein Ziel erklärte al-Sisi gegenüber der „Washington Post“: „Wir haben sichergestellt, dass Ägypten attraktiv für Investitionen ist indem wir Stabilität garantierten. Wir haben Gesetze erlassen, um ein Investitions-freundliches Klima zu schaffen.“

Anlässlich einer Investorenkonferenz 2015 erklärte er, Ägypten benötige ca. 300 Mrd. Euro. Zugesagt waren da Investitionen über ca. 40 Milliarden Euro im Bereich der Stromerzeugung, im Öl- und Gassektor sowie in der Immobilienbranche, u. a. auch von Siemens.

Schwieriger Seiltanz

Die wirtschaftliche Situation in Ägypten ist nach wie vor schlecht. Die Preise für Importgüter – aktuell z. B. Zucker – steigen und sind für viele unbezahlbar. Saudi-Arabien hat seine Unterstützung reduziert und der Internationale Währungsfonds wartet auf weitere „Reformen“, bevor finanzielle Unterstützung geleistet wird. Russland wird einen größeren Industriepark am Suezkanal erhalten, für den Steuererleichterungen gelten.

Ägypten ist vor allem auf dem Sinai terroristischen Angriffen ausgesetzt und bekämpft Salafisten und Moslembrüder. Bei einem aktuellen Anschlag wurden in Kairo mehrere Polizisten getötet, danach gab es einen Anschlag mit vielen Toten auf eine koptische Kathedrale.

Die militärische Zusammenarbeit Ägyptens mit Russland wurde mit einem gemeinsamen Manöver gestärkt. Es gibt hin und wieder einen Hauch von Unterstützung für Syrien – und zugleich ist Ägypten Teil der saudi-arabischen Koalition im Krieg gegen den Jemen. Angewiesen auf Unterstützung aus den Golfstaaten, aus Russland und den USA, muss die ägyptische Regierung Rücksicht auf unterschiedliche Interessen nehmen.

Nur die Opposition ist mundtot gemacht und bedarf keiner Rücksicht mehr.

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"Der Preis der Stabilität", UZ vom 23. Dezember 2016



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