Davoser Treffen inmitten von Covid-Krise und US-Regierungswechsel

Der WEF-Krisengipfel

Es sind stürmische Zeiten, in denen das Davoser Treffen der Reichen und Mächtigen in diesem Jahr stattfindet. Die Corona-Doppelkrise, verstärkt durch die inadäquaten Maßnahmen und die Unfähigkeit vieler Regierungen, beginnt ihre zerstörerische Kraft breit zu entfalten, gerade in den Vorreiterstaaten der neoliberalen Gegenreformation. Wir stehen an einer Zeitenwende, das ist den Vordenkern des World Economic Forum (WEF) nur zu bewusst. Seit einiger Zeit versuchen sie, den Gedanken eines „Great Reset“, eines großen Neustarts, zu popularisieren.

Die WEF-Vordenker sehen die Notwendigkeit und die Chance, diese Krisenprozesse aktiv zu steuern, gewissermaßen einen Reformansatz zur System- und Profitsicherung von oben voranzutreiben, um letztlich einer revolutionären Veränderung zuvorzukommen: „Wenn es uns nicht gelingt, die tiefverwurzelten Missstände in unseren Gesellschaften anzugehen und zu beheben, könnte das Risiko zunehmen, dass, wie so häufig in der Geschichte, letztlich ein Umbruch durch gewaltsame Erschütterungen wie Kriege oder gar Revolutionen erzwungen wird. Es ist unsere Pflicht, den Stier bei den Hörnern zu packen. Die Pandemie bietet uns diese Chance: Sie stellt ein seltenes, aber enges Zeitfenster zum Umdenken, Neuerfinden und Neustarten unserer Welt dar.“ Es gehe darum, „die Welt weniger gespalten, weniger verschmutzend, weniger zerstörerisch, integrativer, gerechter und fairer zu machen“.

In der Tat, während die Milliardäre und die Finanz- und Monopolkonzerne mit ungeheuren Mengen Geldes geradezu zugeschüttet wurden, gehen die Bedürftigen, die Arbeitslosen und arbeitslos Gewordenen, die kleinen Unternehmen, die kleinen Shops und Restaurants nahezu leer aus. Entgegen allen wohlfeilen Verlautbarungen und Klimagipfelbeschlüssen sind die globalen Erwärmungstrends ungebrochen und selbst von den hartnäckigsten Ignoranten kaum noch zu leugnen. In vielen ehemals so faszinierend schönen Regionen wie Kalifornien steht die Welt buchstäblich in Flammen. Statt die ökonomischen und ökologischen Probleme anzugehen, hat das US-Imperium sein Kriegsbudget auf eine Billion Dollar (SIPRI) hochgeschraubt und zusammen mit seinen europäischen NATO-„Partnern“ Russland, China und Iran in einen gefährlichen Rüstungswettlauf aufgezwungen. Die ständigen US-Provokationen mit atomwaffenfähigen Bombern, Flugzeugträgerkampfgruppen und Atom-U-Booten im unmittelbaren Grenzbereich der eurasischen Staaten erhöhen dazu das Risiko des fatalen Fehlers, des zufälligen Kriegsausbruchs mit unabsehbaren Konsequenzen.

Der russische und auch der chinesische Präsident hatten in bemerkenswerten Videobotschaften auf diese gewaltigen Strukturprobleme aufmerksam gemacht und das gemeinsame Handeln der Staaten zur Lösung existentieller Menschheitsfragen angemahnt. Insbesondere Wladimir Putin zeigte einmal mehr ausgesprochenen Weitblick. Ihm, wie auch Xi Jingping, ist klar, dass die Menschheit mit einem simplen „Weiter so!“ zielgerichtet auf die Katastrophe zusteuert. Allerdings ist von den bislang mächtigsten Staaten des Globus, dem US-Imperium und seinen europäischen Vasallen, wenig Zielführendes zu erwarten. Die neue US-Regierung glänzte weitgehend durch Abwesenheit. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen versuchte zwar nicht die Probleme zu leugnen, nutzte aber die Gefahren des Klimawandels, an deren Dramatik der europäische Kapitalismus ja nicht ganz unbeteiligt ist, um die herausragenden Verdienste Europas und seiner glorreichen Kommission triumphierend herauszustellen und die Welt aufzufordern, dem europäischen Beispiel zu folgen. Dieses Maß an Selbstgerechtigkeit und Bigotterie muss man erst einmal aufbringen. Die deutsche Kanzlerin dagegen kam über die nüchterne Fragestellung, wozu denn dieser „Great Reset“ eigentlich gut sein solle, nicht wirklich hinaus. In manchen Dingen sei man gut, in manchen müsse man „nachbessern“, das habe Corona gezeigt. Aber „Great Reset“? Wozu das denn?

Der „Great Reset“ der WEF-Strategen erinnert an die Phase des „New Deal“ in Folge der Großen Depression der 1930er Jahre. Auch damals hatte eine große Strukturkrise des Kapitalismus die kapitalistischen Staaten zu einer tiefgreifenden Strategiewende veranlasst. Allerdings mit unterschiedlichem Ergebnis. Während sich der anglo-amerikanische Kapitalismus stark genug für eine sozial-integrative Strategie fühlte, griffen die Bourgeoisien der deutsch geführten „Achsenmächte“ zu faschistischen und militaristischen Konzepten, um ihre Weltmachtambitionen in die Tat umzusetzen. Auch heute sind beide Tendenzen in einem widersprüchlichen Kontext vorhanden. Allerdings fehlt in den imperialistischen Staaten heute eine starke Arbeiterbewegung und es fehlt eine Kommunistische Internationale mit einer aufstrebenden Sowjetunion als Hinterland. Dieser starke proletarische Faktor hatte phasenweise den Kapitalismus vor der Selbstzerstörung bewahren können. Ob das noch einmal gelingt, ist zumindest fraglich.

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"Der WEF-Krisengipfel", UZ vom 5. Februar 2021



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