Deutsch-französische „Konfrontationen“

In Reaktion darauf, dass Berlin all seine EU-Initiativen systematisch ausbremste, hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor einem Jahr begonnen, vor allem auf dem Feld der Außen- und Militärpolitik offen gegen die deutsche Dominanz in der EU aufzubegehren.

Zunächst hatte er einen gemeinsamen Auftritt mit Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der letztjährigen Münchner Sicherheitskonferenz kurzfristig abgesagt – Berlin hatte den Auftritt angesetzt, um eine – faktisch nicht vorhandene – Einmütigkeit der EU-Führungsmächte in der Weltpolitik vorzuführen. Galt die Absage einer vor allem symbolischen Maßnahme der Bundesregierung, so traf ein anderer Schritt die Bundesrepublik empfindlich: Paris entzog ebenfalls im Februar 2019 der Erdgaspipeline „Nord Stream 2“ die Unterstützung, woraufhin es Berlin nur mit knapper Not gelang, das Scheitern des Projekts zu verhindern. Im April verweigerte sich die Regierung in Paris zunächst der Aufnahme formeller Gespräche über ein Freihandelsabkommen der EU mit den USA. Die Verhandlungen sollten vor allem US-Strafzölle auf Kfz-Importe verhindern; sie lagen damit im Interesse der deutschen Industrie. Französische Autokonzerne hingegen exportieren eher wenig in die USA.

Ebenfalls im April kündigte Macron dann öffentlich neue „Konfrontationen“ mit Deutschland an – und ließ seiner Ankündigung Taten folgen. So gab er im Mai offiziell bekannt, mit dem damaligen deutschen Kandidaten für die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Manfred Weber (CSU), nicht einverstanden zu sein. Im Sommer stellte sich Frankreich bei dem soeben nach zwanzigjährigen Verhandlungen geschlossenen EU-Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur quer und forderte Nachbesserungen. Das Abkommen ist in der EU vor allem von Bedeutung für die deutsche Exportindustrie. Im Herbst blockierte Paris dann die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien und Albanien – auch dies gegen den ausdrücklichen Willen Berlins. Nur wenig später suchte Macron, anlässlich einer Reise nach Peking eine Vereinheitlichung der EU-Chinapolitik in die Wege zu leiten. Unter seiner, nicht deutscher Führung. Es folgten weitere Schritte mit dem Ziel, eine führende Rolle in der Außen- und Militärpolitik der EU zu erlangen – zunächst Verhandlungen mit Russland über eine Verbesserung in den beiderseitigen Beziehungen, dann auch noch Gespräche in Warschau, die darauf abzielten, Polens Regierung ebenfalls für die Pariser Außenpolitikinitiativen zu gewinnen.
Unterdessen haben einflussreiche deutsche Außenpolitiker in der vergangenen Woche eine neue Attacke gegen Macron gestartet. Zu Wochenbeginn griff Johann Wadephul, Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Zuständigkeit für Außen- und Militärpolitik, eine seit Jahren regelmäßig wiederholte deutsche Forderung auf und verlangte den Zugriff Berlins auf die französischen Atomwaffen. Es sei „in deutschem Interesse, dass wir auf die nukleare Strategie Einfluss nehmen können, die uns schützt“, erklärte Wadephul. Frankreich solle deshalb seine Nuklearstreitkräfte „unter ein gemeinsames Kommando der EU oder der NATO stellen“. Geschähe dies, dann erhielte Berlin in der Tat Zugriff auf die Waffen. Wadephul fuhr schließlich fort, Macron, der „uns mehrfach aufgefordert“ habe, „mehr Europa zu wagen“, solle „nun zeigen, dass er auch dazu bereit ist“.

Der französische Präsident hat das deutsche Ansinnen am vergangenen Freitag in einer ausführlichen Rede vor Absolventen der Pariser École de Guerre zurückgewiesen. Macron ließ keinen Zweifel daran, dass Frankreich seine Nuklearstreitkräfte nicht teilen werde, dass weiterhin der Präsident alleine über ihren Einsatz entscheide und dass seine Regierung auch nicht bereit sei, andere Länder in die Finanzierung einzubinden und ihnen dadurch einen gewissen Einfluss auf die französischen Atomwaffen zu verschaffen. Macron erklärte allerdings, er wünsche in der EU einen ernsthaften „strategischen Dialog über die Rolle der atomaren Abschreckung für unsere gemeinsame Sicherheit“. Frankreich sei dazu bereit, die Sicherheitsinteressen seiner Verbündeten auch in seiner Atomwaffenstrategie zu berücksichtigen: Seine Unabhängigkeit bei einer etwaigen Entscheidung über den Einsatz französischer Kernwaffen sei „vollständig vereinbar mit unserer unerschütterlichen Solidarität mit unseren europäischen Partnern“. Zusätzlich zum „Dialog“ über die Atomwaffenstrategie dürften sich andere EU-Staaten jederzeit an „Übungen der französischen Streitkräfte zur nuklearen Abschreckung beteiligen“. Da das unterhalb der Schwelle zu wirklicher Einflussnahme steht, genügt es Berlin allerdings nicht.

Macron will seine diesbezüglichen Vorstellungen auf der Münchner Sicherheitskonferenz zur Debatte stellen. Dabei geht es auch darum, der EU eine starke Stimme in der Weltpolitik zu verschaffen – unabhängig von den USA und nach Möglichkeit unter Pariser Führung. Ersteres trifft in Berlin auf Interesse, Letzteres wird abgelehnt.

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"Deutsch-französische „Konfrontationen“", UZ vom 14. Februar 2020



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