NSA-Untersuchungsausschuss ohne Aufklärung

Die Kanzlerin weiß von nichts

Von Nina Hager

Für mich standen und stehen die Interessen aller Bürger im Mittelpunkt, und das bei Abwägung von Freiheit und Sicherheit“, beteuerte Merkel. Nach drei Jahren und 130 Sitzungstagen wurde die Kanzlerin am Donnerstag der vergangenen Woche als wahrscheinlich letzte Zeugin im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages befragt.

Der Untersuchungsausschuss war im März 2014 eingesetzt worden. Damit hatte der Bundestag auf die Enthüllungen des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden reagiert. Er soll klären, inwieweit Bürger und Politiker in Deutschland von der NSA und verbündeten Geheimdiensten ausspioniert wurden. Außerdem geht es um die Zusammenarbeit zwischen NSA und dem BND bei der Abschöpfung von Kommunikationsdaten. Im Sommer soll es den Abschlussbericht des Ausschusses geben.

Doch weder die Ausführungen von Kanzleramtschef Peter Altmaier und des Geheimdienst­beauf­tragten der Bundesregierung, Klaus-Dieter Fritsche, die am 13. Februar im Ausschuss als Zeugen aussagten, noch die der Kanzlerin brachten Aufklärung darüber, ab wann die Regierung über die Schnüffelei und ihr Ausmaß Bescheid gewusst hatte. „Ausspähen unter Freuden, das geht gar nicht!“, hatte Kanzlerin Merkel im Juli 2013 erklärt, als sie erfuhr, dass ihr Handy vom US-amerikanischen Geheimdienst NSA – wahrscheinlich – ausgespäht worden war. Dazu stehe sie noch heute, hat aber schon lange natürlich ein neues Handy. Doch waren sie und das Kanzleramt damals wirklich arg- und ahnungslos? Wusste man wirklich nichts über das Ausmaß der NSA-Schnüffelaktionen? Hat Merkel darüber zunächst nur über die Medien erfahren? Der SPD-Obmann Christian Flisek spekulierte vor der Anhörung: Haben sie bestimmte Informationen vielleicht gar nicht mehr erreicht?

Doch auch von der Schnüffelpraxis des BND will Merkel damals nichts gewusst haben, also davon, dass der dem Kanzleramt direkt unterstellte BND in großem Maßstab befreundete Regierungen und selbst EU-Mitgliedstaaten systematisch überwacht hatte und in großem Umfang Daten an die NSA weiterleitete. Mit „Selektoren“ habe sie sich nicht beschäftigt.

Seltsam: Hatte die Regierung wirklich keine Ahnung? Oder entzog sich der BND damals etwa jeglicher Kontrolle? Dass das Büro des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu ebenso auf der BND-Spähliste stand wie die EU, Rüstungsfirmen wie der frühere französische Außenminister Laurent Fabius, ist mittlerweile bekannt. Das Bundeskanzleramt ordnete schon Ende Oktober 2013 an, die Ausspähpraxis einzustellen. Wie der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, der für die Grünen im Untersuchungsausschuss sitzt, in einem Interview vor der Merkel-Anhörung feststellte, sei diese Praxis aber auch danach fortgesetzt worden. Die Geheimdienste, darunter auch der BND, hätten in Europa, aber auch über NATO-Länder „hemmungslos alles abgegriffen, was sie kriegen konnten“, sagte Ströbele im „Deutschlandfunk“. Diese Schnüffelpraxis ist mittlerweile per Gesetz legalisiert: Ende Oktober vergangenen Jahres billigte die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten eine Änderung des BND-Gesetzes, die von der Regierung eingebracht worden war.

Im Laufe der Anhörung wurde die Kanzlerin immer einsilbiger: Sie antwortete oft nur noch mit „Nein“ oder „Nö“. Der SPD-Obmann Christian Flisek versuchte, Merkel mit dem nie zustande gekommenen „No-Spy-Abkommen“ aus der Reserve zu locken. Keine Antwort. Merkel kündigte aber ein Festhalten an der geheimdienstlichen Kooperation mit den USA auch unter dem neuen Präsidenten Donald Trump an.

Martina Renner, die Obfrau der Partei „Die Linke“ im Ausschuss, wies darauf hin, dass Merkel jede Aussage verweigerte, die über allgemeine Feststellungen „hinausreichen würde. Ihre Erzählung: Es gab Probleme, die nicht näher benannt werden und die sind nun ausgeräumt – wie sie ausgeräumt wurden, bleibt auch offen“. Nach Details befragt, so Renner, zog „sich die Kanzlerin darauf zurück, ihre Mitarbeiter seien zuständig. Unsere Fragen, welche Konsequenzen aus den offenkundigen und auch vom Kanzleramt bestätigten Problemen beim BND gezogen worden seien“, lächelte sie weg.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Die Kanzlerin weiß von nichts", UZ vom 24. Februar 2017



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