Moskau gründet neue Jugendorganisation

Die Pioniere sind zurück

Kolumne von Gert Ewen Ungar

Am 19. Mai 2022 leitete die russische Staatsduma ein Gesetzgebungsverfahren zur Gründung einer staatlichen russischen Jugendorganisation ein. Das Datum war nicht zufällig gewählt worden, denn der 19. Mai 1922 gilt als Gründungstag der Pionierorganisation „Wladimir Iljitsch Lenin“. Exakt 100 Jahre später versucht Russland die Neugründung einer Massenjugendorganisation. Mit anderen Worten: Die Pioniere sind zurück.

Ich fragte hier in meinem Moskauer Freundeskreis nach, wie das damals war. Sie waren plötzlich einfach weg, wurde mir gesagt. Schon unter Gorbatschow hatten die Pioniere und der Komsomol als übergeordnete Organisation an Bedeutung verloren. Mit der Auflösung des Komsomol, der Nachwuchsorganisation der Kommunistischen Partei, am 28. September 1991 waren automatisch auch die Pioniere aufgelöst. Die Lücke einer fehlenden Jugendorganisation füllten vom Westen finanzierte Organisationen, die westlichen Liberalismus als zentralen Wert vermittelten. Identitätspolitik wurde so auch in Russland bekannt und vor allem in städtischen Kreisen populär. Die Neugründung der Pioniere ist auch eine Antwort auf diese Verschiebung der Werte.

An der Gesetzesvorlage hat die Genossin Nina Ostanina mitgearbeitet. Ostanina ist Abgeordnete in der russischen Staatsduma für die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) und Mitglied im Ausschuss für Familien, Frauen und Kinder. In einem Interview mit der Zeitung „Argumenti i Fakti“ hat Ostanina über die Überlegungen gesprochen, die zur Gesetzesvorlage für die Neugründung der Jugendorganisation geführt haben. Mit ihrer Vorstellung, auch die neue Jugendorganisation solle den Namen „Pioniere“ tragen, konnte sie sich nicht durchsetzen. Der Name der neuen Organisation lautet „Dweschene perwich“, übersetzt etwa „Bewegung der Besten“.

Die zentrale Aufgabe sei die kontinuierliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Man wolle sich nicht nur von Projekt zu Projekt hangeln, sondern eine konstante Basis bieten, so Ostanina. Der Zugang müsse niedrigschwellig sein, es dürften für die Familien keine Kosten entstehen.

Das Gesetz wurde mit den Stimmen der KPRF und der Partei Einiges Russland verabschiedet, die sich an der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs ebenfalls beteiligt hat. Wertevermittlung ist eine zentrale Aufgabe der neuen Jugendorganisation. Es dreht sich viel um Solidarität, den Wert von Familie, Arbeit und Vaterlandsliebe, die Vermittlung von historischem Bewusstsein sowie den Respekt vor den Völkern Russlands und den Nationen der Welt.

Die neue Bewegung hat als Ziel ausgegeben, 20 Millionen Mitglieder aufnehmen zu können. Konkret heißt das, dass alle in Russland lebenden Kinder und Jugendlichen gewonnen werden sollen. Organisatorisch angesiedelt ist die Organisation beim Erziehungsministerium, der erste Vorsitzende ist Russlands Präsident Wladimir Putin. Schon aus diesen Umrissen ergibt sich, welche Bedeutung der jungen Bewegung beigemessen wird. Auch die Absetzung vom Westen wird in den Statuten deutlich gemacht. So dürfen als „ausländische Agenten“ eingestufte Personen in der Organisation keine Aufgaben übernehmen.

Im russischen Alltag sind die neuen Pioniere noch nicht präsent. Es ist sicherlich auch noch zu früh, um tatsächliche Auswirkungen zu sehen. Aber schon jetzt kann gesagt werden, dass die Wiederbelebung der Pioniere einen wichtigen Bestandteil eines ganzen Geflechts von Gesetzen zur Förderung und Unterstützung von Familien, Kindern und Jugendlichen bildet. Denn die Förderung von Familien steht ganz oben auf der Agenda der russischen Innenpolitik.

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"Die Pioniere sind zurück", UZ vom 3. Februar 2023



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