Kommunistische und Arbeiterparteien begingen den Jahrestag der Oktoberrevolution in Russland

Die Revolution eröffnete eine Epoche

Von Günter Pohl

Zum 19. Mal seit 1999 trafen sich die Kommunistischen und Arbeiterparteien zu ihrer jährlichen Zusammenkunft. Sie fand am 2. und 3. November in St. Petersburg statt.

Die Rückkehr zum bis 1914 gebräuchlichen Namen hat die Heldenstadt, die im Zweiten Weltkrieg fast zweieinhalb Jahre von der deutschen Wehrmacht belagert wurde, um ihre Bewohnerschaft auszuhungern, trotz der mehr als zweitausend Paläste der zaristischen Gründerzeit des 18. Jahrhunderts nicht vollständig nachvollzogen. Denn immer noch ist Lenin, nach dem die Stadt bis 1991 benannt war, präsent. Und zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution hatte die KP der Russischen Föderation (KPRF) die Bruderparteien der Welt nicht zufällig dorthin eingeladen, wo mit dem Schuss des Kreuzers „Aurora“ das Signal für den Aufstand der Bolschewiki mit dem Sturm auf das Winterpalais gegeben wurde.

An diese und andere Orte der Revolution führte das von der KPRF organisierte Rahmenprogramm, das anschließend in Moskau weitergeführt wurde: Besuche des Kreml, des Lenin-Mausoleums, der Gräber an der Kremlmauer, Parade auf dem Roten Platz sowie in St. Petersburg und Moskau Theaterrevuen, die durch die siebeneinhalb Jahrzehnte der Sowjetmacht führten. Immer im Mittelpunkt das epochemachende Werk der Oktoberrevolution – eben „Zehn Tage, die die Welt erschütterten“. Der Autor dieses Buchs, John Reed, gehört wie auch Clara Zetkin zu den wenigen Ausländern, die an der Kremlmauer bestattet sind.

Die Bedeutung der Revolution begriffen nicht nur die Völker der Welt, sondern auch die imperialistischen Mächte, deren vierzehn Interventionsarmeen bis 1922 an der Umkehrung der Ereignisse scheiterten. Gennadi Sjuganow, der Vorsitzende der KP der Russischen Föderation, unterstrich in seiner Rede, welche Impulse die Sowjetunion für Menschen in aller Welt gab und was sie für die Entwicklung Russlands von einer rückständigen Agrarnation zur zweitstärksten Wirtschaftsmacht der Welt bedeutete. In den Köpfen der ehemaligen Sowjetbürger sind neben diesem unvergleichlichen Aufschwung, der in zwanzig Jahren eine Versiebzigfachung der Wirtschaftskraft bedeutete, natürlich auch die Eroberung des Kosmos durch Gagarin und Leonow sowie der soziale Fortschritt, der die Gleichstellung von Frau und Mann ebenso brachte wie Bildung für alle Menschen.

Die Grundlage von allem war die Revolution unter der Führung Lenins, aber die weitere Entwicklung geht – in beiderlei Hinsicht – auf das Konto Josef Stalins. In Russland trennt kaum jemand die Erfolge jener Zeit verschämt von der Verantwortlichkeit des damaligen Generalsekretärs: Stalin wird dann positiv erwähnt, wenn es objektiv angebracht ist. Aber hinsichtlich dessen Anteils an Verbrechen, darunter Morde an politischen Gegnern wie auch an Mitgliedern der eigenen wie von anderen Kommunistischen Parteien, gehen manche jedoch ebenso leicht hinweg, wo historische Verantwortung auch angesichts der fatalen Folgen für die kommunistische Weltbewegung angebracht wäre. Normal für das kommunistische Empfinden im Land ist es also, dass bei der abschließenden Demonstration der KPRF auf der Bühne der Abschlusskundgebung Lenin und Stalin den Hintergrund zierten, und dass auf dem Weg durch die Moskauer Innenstadt Dutzende Demonstrierende Stalinbilder hochhielten. Einen (ideologietheoretisch sowieso nicht fassbaren) „Antistalinismus“, wie ihn heute manche Linksparteien gar als ihren Gründungsmythos nennen, findet man in der Russischen Föderation unter linken Kräften eher nicht.

103 Kommunistische- und Arbeiterparteien aus 78 Ländern nahmen an der Konferenz mit dem Titel „100. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution – Ideale der kommunistischen Bewegung, Stärkung des Kampfes gegen imperialistische Kriege, für Frieden und Sozialismus“ teil. Der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, richtete einen Gruß an die Konferenz, in der er die Geschichte der Sowjetunion als widersprüchlich beschrieb.

Wie schon in den letzten Jahren bleiben die Kommunistischen Parteien in einigen Fragen der Strategie unterschiedlicher Meinung. Das betrifft die Haltung zu den Staaten, die sich auf dem Weg zum Sozialismus befinden, aber auch die Frage der Übergänge zum Sozialismus. Unter den Parteien, die eine skeptische Haltung bezüglich der Umwege der VR China oder der SR Vietnam über einen nachholenden, parallel verlaufenden privaten Entwicklungsstrang neben der Hauptlinie des Staatseigentums haben, gibt es solche, die ihre Ablehnung dieses Wegs mit einer grundsätzlichen Ablehnung jeder Art von Entwicklungsstadien auf dem Weg zur Revolution verbinden und diese Strategie meist noch mit einem Anspruch auf Gültigkeit unabhängig von lokalen Bedingungen versehen. Als DKP gehen wir für Deutschland bekanntlich von einer antimonopolistischen Strategie aus, die sich an den Bedingungen eines hochindustrialisierten Landes im staatsmonopolistischen Kapitalismus orientiert.

Entsprechend war der Beitrag der KP Chinas, die mit dem Vizeminister der Internationalen Abteilung, Guo Yezhou, vertreten war, von Interesse. Er beschrieb die Beschlüsse des 19. Parteitags, die den „Sozialismus mit chinesischer Charakteristik“ unterstrichen sowie den Hauptwiderspruch in der Gesellschaft heute als den zwischen den Bedürfnissen der Menschen und einer inadäquaten Produktionsentwicklung. Genosse Guo verdeutlichte eine Zwei-Schritte-Strategie beim weiteren Aufbau des Sozialismus bis 2035 und dann bis 2049, dem 100. Jahrestag der Revolution.

Viele Parteien bezogen sich auf die Auswirkungen der Oktoberrevolution in ihren Ländern; manche davon sind durch die folgenden Entkolonialisierungen überhaupt erst entstanden. Shah Alam von der KP Bangladeshs beschrieb die Entstehung einer revolutionären Bewegung nach dem Oktober sowie die Unterstützung der UdSSR für das 1971 gegründete Land. Tran Dac Loi von der KP Vietnams nannte den Untergang der Sowjetunion wegen objektiver Fehler innerhalb einer Rechtsabweichung für begründbar und als unvermeidlich. Marian Baby von der KP Indiens (M) erinnerte daran, dass die bestehenden demokratischen Rechte in den kapitalistischen Staaten nur dank der Oktoberrevolution möglich geworden waren. José Ramón Balaguer, in der KP Kubas für die Außenbeziehungen verantwortlich, nannte die Oktoberrevolution als Bedingung für den Sieg der Kubanischen Revolution. Für die DKP beschrieb Vorsitzender Patrik Köbele die Situation nach den Bundestagswahlen. Die Wut mancher Menschen richte sich gegen die Geflüchteten, und nicht gegen die, die von den verschiedenen Formen der Spaltung der Ausgebeuteten profitieren. Auch erwähnte er, auf welcher Grundlage die DKP die Zusammenarbeit der Kommunistischen Parteien betreibt. Alle Redebeiträge werden in Kürze auf www.solidnet.org abzurufen sein.

Sowohl die KP Chinas als auch die PdA Koreas und die Ungarische Arbeiterpartei wurden in die „Working Group“, welche die jährlichen Treffen vorbereitet, aufgenommen. Das 20. Treffen der Kommunistischen- und Arbeiterparteien kehrt 2018 in sein Ursprungsland zurück. Zum 100. Jahrestag ihrer Gründung wird die KP Griechenlands die Austragung übernehmen.

Wie im Vorjahr in Hanoi gelang es, eine gemeinsame Resolution zu verabschieden. Es gelte dem Antikommunismus und Antisowjetismus ebenso wie der Verfolgung von Kommunisten und ihrer Parteien Widerstand entgegenzusetzen. Wissenschaftliche Beratungen zum Sturz des Sozialismus und Ausarbeitungen zu den Werken Lenins, speziell anlässlich des hundertsten Jahrestags von „Staat und Revolution“, werden vorgeschlagen, und zu Marx’ 200. Geburtstag soll die Bedeutung des Vordenkers vor allem an die jüngere Generation vermittelt werden. Gemeinsame Anstrengungen zur Verteidigung demokratischer Rechte werden unter Nutzung des Jahrestags des Sieges von Stalingrad am 2. Februar angemahnt. Die Kommunistischen- und Arbeiterparteien solidarisieren sich mit dem Recht Palästinas auf einen unabhängigen Staat sowie mit den Völkern, die unter Besetzung und Intervention leiden; ferner fordern sie das Ende der Blockade Kubas. Für den Friedenskampf wird eine antiimperialistische Front gegen die Aggressionen des Imperialismus vorgeschlagen sowie gemeinsame Aktionen gegen Atomwaffen und ausländische Militärbasen. Konflikte müssen mit den Prinzipien des Internationalen Rechts gelöst werden, so auch auf der koreanischen Halbinsel.

In Moskau fand auf Einladung der KPRF am 6. November noch eine Konferenz von Linksparteien statt: Parteien aus Angola, Namibia, Deutschland (Die Linke), Venezuela, Mosambik, Palästina, dem Jemen, Mexiko und Syrien sprachen ebenso wie Vertreter vom WBDJ, des Europarats, der GUE/NGL, der FIR und des WGB. Letzter Redner war ein Parteiloser, dem vor 27 Jahren der Staat abhanden kam, dem er einige Wochen vorstand und der „vierzig Jahre lang der beste Freund der UdSSR“ war: Egon Krenz. Der DDR-Staatsratsvorsitzende stellte sich als Kommunist ohne Parteibuch vor. Was die große Leistung der Roten Armee für die europäischen Völker bedeutete, fasste er in dem Satz zusammen: „Der Frieden nach 1945 kam nur aufgrund der Existenz der UdSSR!“

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher laden wir Sie ein, die UZ als Wochenzeitung oder in der digitalen Vollversion 6 Wochen kostenlos und unverbindlich zu testen. Sie können danach entscheiden, ob Sie die UZ abonnieren möchten.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Die Revolution eröffnete eine Epoche", UZ vom 17. November 2017



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Stern.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit