Automobilkonzerne kündigen Stellenabbau an – IG Metall ruft zu Widerstand auf

Die Stunde der Optimierer

Von Christa Hourani

Jobabbau? Zukunftsklau? Halbschlau! – unter diesem Motto ruft die IG Metall am 22. November ab 15 Uhr in Stuttgart zu einem Baden-Württemberg-weiten Aktionstag gegen die angekündigten Stellenstreichungen und Sparprogramme in der Automobil- und Zuliefererindustrie auf. „Zurzeit herrscht die Stunde der Optimierer. Anstatt gemeinsam mit ihren Beschäftigten Perspektiven für eine gute und ökologische Zukunft und sichere Arbeitsplätze zu entwickeln, setzen etliche Unternehmen vorrangig auf Profitmaximierung. Nahezu täglich werden neue Sparprogramme und Stellenstreichungen bekannt – häufig unter dem Deckmantel des technologischen Wandels. Mit einem fairen Wandel hat das nichts zu tun und deshalb gehen wir am 22. November auf die Straße“, so die Aussage von Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter IG Metall Baden-Württemberg.

Die Region Stuttgart ist stark durch die Automobil- und Zuliefererindustrie geprägt. Über 215 000 Beschäftigte arbeiten in der Automobilwirtschaft. Fast täglich gibt es neue Horrornachrichten über Standortschließungen, Entlassungen und Sparprogrammen. Das verunsichert die Kolleginnen und Kollegen und schürt Ängste. In vielen Betrieben rumort es. Deshalb ist es gut, dass die IG Metall mit einer gemeinsamen Kundgebung aller betroffenen Betriebe reagiert. Die gemeinsame Protestaktion wird von den Belegschaften getragen, weil sie wissen, wenn sie die Kräfte bündeln, sind sie stärker. Erwartet werden mehr als 10 000 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, darunter mehrere tausend direkt aus Stuttgart und Umgebung. Neben Roman Zitzelsberger sprechen Betriebsräte von Daimler, Bosch, Conti und Progress-Werk Oberkirch.

Bosch-Betriebsrat erwartet heißen Herbst

Bosch gab bereits Ende Oktober bekannt, dass 2 500 Arbeitsplätze gestrichen werden sollen, und zwar vor allem in der Antriebssparte. Betroffen sind vor allem Verwaltung, Vertrieb, Forschung und Entwicklung, also hochqualifizierte Fachleute aus den Angestelltenbereichen. Das zeigt, dass alle bluten sollen – alle Lohnabhängigen. Sie geraten in den Strudel der kapitalistischen Restrukturierung und Profitoptimierung, gerne unter dem „neutralen“ Schlagwort Transformation subsumiert. Den Standort Schwäbisch Gmünd wird es besonders hart treffen – allein dort sollen 1 000 der zur Zeit noch 5 000 Kolleginnen und Kollegen in der Bosch-Lenksystem-Sparte gehen, also jeder Fünfte. Es wurden dort bereits 760 Arbeitsplätze abgebaut.

Am 7. November gab es dort bereits einen Protest von 1 000 Bosch-Beschäftigten. Auf ihren Schildern forderten sie: Keine Verlagerungen, Qualifizierung statt Personalabbau, mit allen durch die Krise. Nach neuesten Meldungen von Seiten des Betriebsratsvorsitzenden Hartwig Geisel sollen sogar 3 300 Stellen in den kommenden zwei Jahren gestrichen werden. Dies hat eine Abfrage bei den Betriebsräten der deutschen Standorte ergeben. Geisel befürchtet sogar, dass man in den kommenden Monaten noch mit weiteren Zahlen konfrontiert werde. Der Bosch-Betriebsrat von Stuttgart-Feuerbach erwartet einen „heißen“ Herbst, sollen doch allein in Feuerbach und Schwieberdingen in den kommenden zwei Jahren rund 1 600 Arbeitsplätze wegfallen.

Von IG-Metall-Vertrauensleuten aus Stuttgart-Feuerbach ist zu hören, dass es sehr schwierig ist, die Betroffenen zu mobilisieren, da im Angestelltenbereich der Organisationsgrad sehr niedrig ist und somit keine gewerkschaftliche Erfahrung und Nähe vorhanden ist. Über Mittagspausengespräche im vor der Kantine aufgestellten Zelt versuchen die Gewerkschafter mit den Angestellten ins Gespräch zu kommen und sie für gewerkschaftliche Aktionen zu mobilisieren. Erschwerend kommt noch hinzu, dass es bei Bosch in Feuerbach auch betriebliche Vertrauensleute gibt, die nicht in der IG Metall sind. Durch diesen Aufbau des Vertrauenskörpers wird ein Keil in die Vertrauensleute getrieben, weil die betrieblichen Vertrauensleute kein gewerkschaftliches Bewusstsein haben und die Stärke von solidarischem Handeln nicht kennen.

Mahle-Kollegen wehren sich standortübergreifend gegen Schließungen und Personalabbau

Bei Mahle wurde bereits im Mai bekannt, dass knapp 400 Kolleginnen und Kollegen der Zentrale in Stuttgart gehen sollen. Außerdem soll das Werk in Öhringen mit 240 Beschäftigten sowie die Walzenfertigung in Feuerbach mit 38 Beschäftigen komplett geschlossen werden. Mit drei betrieblichen Aktionstagen, davon auch ein europaweiter, wehren sich die Belegschaften der verschiedenen Mahle-Standorte gemeinsam seit vielen Monaten.

Beschäftigte aus fünf Werken haben sich zusammengeschlossen und in den letzten Monaten sechs Flugblätter „Mahle-Solidarität“ herausgebracht, um den Widerstand zu verstärken und die Zielrichtung der Kämpfe zu beeinflussen. In ihrer letzten Ausgabe der „Mahle-Solidarität“ schreiben sie: „Auf der Betriebsversammlung am 15. Oktober bei der BU3 in Feuerbach wurde verkündet, dass es jetzt eine Einigung zwischen dem Arbeitgeber und den Betriebsratsgremien der vier Stuttgarter Standorte gibt (…). Sie haben in fünf Monaten Verhandlung nicht erreicht, dass der Arbeitgeber die Notwendigkeit dieses rasenmäherartigen Abbaus nachvollziehbar begründet. Sie haben nicht erreicht, dass der Arbeitgeber auch nur eine einzige Stelle weniger abbaut. Sie haben auch nicht erreicht, dass der Arbeitgeber einen klaren Plan vorlegt, wie die Zukunft aussehen soll und wo die Reise denn nun hingeht (…). Keine Schließung! Keine Entlassung! Kein Personalabbau! Deshalb muss jede Verlagerung blockiert werden. Ob aus Öhringen, Telford, aus der Filterkonstruktion oder der Walzenentwicklung und -fertigung in Feuerbach. Solange die Pläne nicht zurückgenommen sind, darf nichts mehr ‚normal’ sein! Keine Überstunden, keine Vereinbarungen, keine Gespräche des BR über irgendwas! Dies ist das falsche Signal in einer solchen Situation! (…) Wir brauchen einen gemeinsamen und koordinierten Widerstandsplan!“

Auf der Funktionärskonferenz der IG Metall Anfang November kritisierte ein Betriebsrat von Mahle die Salamitaktik beim Abbau und dass die Transformation oft vorgeschoben wird, es aber um ein Verlagerungsprogramm des Mahle-Kapitals geht. Viel Arbeit von Mahle gehe nach Polen und Indien, von Mahle-Behr gehe viel nach Tschechien, Slowakei und ebenso nach Indien. Über die Verlagerung in Billiglohnländer verschafft sich so Mahle zusätzliche Profite unter dem Deckmantel „Transformation“. Auf einer Veranstaltung der Föderation demokratischer Arbeitervereine (DidF) Anfang November fasste ein Betriebsrat von Mahle Behr die Situation so zusammen: „Die Logik der ‚Standortsicherung’ hat auch eine Haltung verstärkt, Lösungen notfalls auf Kosten von anderen Werken zu suchen. Aber es gibt auch Betriebsräte und Vertrauensleute, die das gemeinsame Handeln in den Vordergrund stellen wollen, weil das alle stärker macht. Ich hoffe, dass diese mehr und lauter werden und nicht den Fehler machen, sich auf Appelle an die Manager zu beschränken. Das Vorgehen der Manager ist ganz eindeutig darauf angelegt, die Werke unterschiedlich zu behandeln und eines nach dem anderen abzufrühstücken.“

„Erpresswerk“ Bei Daimler

Bei Daimler gibt es seit einigen Wochen auch fast täglich neue Horrormeldungen. Auf den vom Betriebsrat organisierten Infoveranstaltungen im Daimler-Werk Untertürkheim Anfang November zum Stand der Verhandlungen über die Vergabe des elektrischen Antriebsstrangs (eATS) nach Untertürkheim ließ der Werkleiter Deiss die Katze aus dem Sack, was die Kolleginnen und Kollegen hierfür alles bezahlen sollen: Geplante Freischicht- oder Gleittage sollen auch bei Krankheit vom Zeitkonto abgezogen, für betriebliche Qualifikation sollen pauschal zwei Freischicht- beziehungsweise Gleittage vom Konto abgezogen werden. Für den 24. und 31. Dezember sollen statt eines halben je ein ganzer Tag Urlaub angerechnet, auf zukünftige Lohnerhöhungen soll verzichtet werden. Alle Vorschläge widersprechen den gültigen Tarifverträgen und wären bei Umsetzung Tarifvertragsbruch. Und alle Maßnahmen würden die Arbeitszeit verlängern oder den Lohn kürzen und dementsprechend die Profite von Daimler erhöhen.

Nur wenn die Belegschaft bereit wäre, diese Kosten zu sparen, könne das Werk Untertürkheim den Zuschlag für die Produktion des eATS ab dem Jahr 2024 bekommen. Was dies bedeuten würde, fasst die linke Betriebszeitung „Alternative“ so zusammen: Für die 350 bis 400 Arbeitsplätze müsse die Belegschaft über einen zehnjährigen „lifecycle“ einen Beitrag von 305 Millionen bringen. „Also pro Arbeitsplatz und Beschäftigungsjahr zwischen 76 250 und 87 150 Euro. Im Durchschnitt verdient ein Produktionsmitarbeiter im Werk 10 circa 75 000 Euro brutto. Wir sollen also die Löhne für die möglichen eATS-Plätze selber bezahlen? Geht‘s noch?“

IG-Metall-Betriebsrat Michael Clauss von der Betriebsgruppe „Alternative“ erläutert dazu: „Wir könnten laut Horrorkatalog der Werkleitung aber auch auf zukünftige Lohnerhöhungen verzichten oder Schicht- und Feiertagszuschläge reduzieren. Alles – wie immer – nur die Wahl zwischen Pest und Cholera (…) und alles halt völlige No goes. Erpressung mit Verschlechterung von gültigen Regelungen? Aufgepasst, Herr Deiss, das kann gehörig in’s Auge gehen!“ Thomas Fretz, stellvertretender Vertrauenskörperleiter, meint: „Die Transformation kann nur mit uns zusammen gestaltet werden, wer denkt, uns Malochern die Kosten dafür alleine aufbrummen zu können, ist schief gewickelt.“ Klare Worte! An den BR-Infoveranstaltungen nahmen etliche tausend Kolleginnen und Kollegen teil, auch 200 Azubis, und brachten ihren Missmut gehörig laut zum Ausdruck.

Am 14. November ließ dann der Daimler-Chef Ola Källenius auf dem Daimler-Kapitalmarkt-Tag in London die Gesamt-Spar-Horrorpläne des Konzerns aus dem Sack: Bis Ende 2022 soll allein der Konzernteil Mercedes-Benz Cars mehr als eine Milliarde Euro an Personalkosten sparen, bei Mercedes-Benz Vans sollen 100 Millionen Euro eingespart werden, im Geschäftsfeld Trucks & Busses sollen die variablen Kosten um 250 und die Personalkosten ebenfalls bis Ende 2022 um 300 Millionen Euro sinken. Zusammengerechnet kommen dann über 1,65 Mrd. Euro Sparkatalog heraus. Alle Beschäftigten wissen, dass dies die Belegschaft heftig treffen wird. Wie der Horrorkatalog im Detail aussehen wird, liegt noch in den Schubladen des Daimler-Vorstands.

Beim „Erpresswerk“ 2004 – vor 15 Jahren – waren die Kollegen vom Werkteil Mettingen so sauer, dass sie, statt wie vorgesehen, mit der S-Bahn zur Kundgebung nach Untertürkheim zu fahren, kurzerhand die Bundesstraße 10 besetzt haben und über sie zur Kundgebung marschiert sind. Noch heute sind die Kollegen stolz auf diese Aktion und berichten mit glänzenden Augen darüber. Sie sind gewiss wieder bereit, ähnlich Spektakuläres zu machen, um auch diesem Erpresswerk wirkungsvoll entgegenzutreten. Im Dezember wollen Gewerkschaftslinke in Stuttgart ein Solidaritätskomitee gründen mit dem Ziel, gemeinsam betriebsübergreifend aktiv zu werden, Kräfte zu bündeln und die betrieblich Aktiven zu vernetzen.

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"Die Stunde der Optimierer", UZ vom 22. November 2019



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