Zum 85. Todestag der Fotografin Gerda Taro

Dokumentation des Kampfes

Unweit der im südöstlichen Teil des Pariser Friedhofs Père Lachaise gelegenen „Mur des Fédérés“ (Mauer der Föderierten), an der in den letzten Maitagen des Jahres 1871 über 140 Kämpfer der Pariser Kommune durch Kugeln der Regierungstruppen den Tod fanden, findet sich, eingezwängt zwischen monumentalen Grabanlagen und Sarkophagen, ein kleines Einzelgrab. Leicht zu übersehen, wären da nicht der stets von unbekannter Hand erneuerte Blumenschmuck, Muscheln und Kieselsteine auf der Grabplatte. Eine Schrifttafel mahnt in Spanisch und Französisch: „Damit niemand den bedingungslosen Kampf für eine bessere Welt vergisst“.

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Gerda Taro 1936/37 (Foto: nieznany/domena publiczna / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0)

Vor 85 Jahren, am 1. August 1937, der zugleich ihr 27. Geburtstag war, fand die deutsche Antifaschistin und Fotoreporterin Gerda Taro hier ihre letzte Ruhe. Geboren wurde sie 1910 in Stuttgart unter ihrem bürgerlichen Namen Gerta Pohorylle und war wie ihre aus Galizien stammenden Eltern jüdischen Glaubens. Den althochdeutschen Vornamen gaben ihr die Eltern mit Vorbedacht: Man sollte nicht erkennen, dass sie Jüdin war. Armut, Hunger und deutschtümelnde Hänseleien gehörten zum Leben der Schülerin und ihrer beiden 1912 und 1914 geborenen Brüder Oskar und Karl. Vater Heinrich schlug sich zwischen Reutlingen und Stuttgart mehr schlecht als recht als Kaufmann durch. Die prekäre Situation verschärfte sich mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, Brot, Zucker, Milch und andere Lebensmittel waren rationiert. Gerda sehnte sich nach einem besseren Leben, ihr ärmliches Zuhause schien ihr peinlich, selten lud sie Freunde ein. Ihre Situation besserte sich, als die wohlhabende und kinderlose Tante Terra sich ihrer annahm, sie mit modischer Kleidung und Kosmetikartikeln versorgte und in die „besseren Kreise“ Stuttgarts einführte. Tante Terra finanzierte auch 1927 und 1928 den Besuch eines Sprachpensionats am Genfer See.

Wieder zurück in Stuttgart sah es ganz so aus, als hätte Gerda den Absprung aus der Beengtheit ihres Elternhauses geschafft. Höhere Handelsschule am Vormittag, abends auf Tanzveranstaltungen, samstags beim Tennis, 1928 Verlobung mit dem um einiges älteren Unternehmer Pieter Bote. Anfang 1929 aber fasste Vater Heinrich den Entschluss, nach Leipzig umzusiedeln, da er für sein Geschäft in Schwaben keine Möglichkeiten mehr sah. Für Gerda bedeutete Leipzig einen radikalen Einschnitt, die Hochzeitspläne verblassten, die Verlobung wurde gelöst. Tante Terra war fern und viele andere Freunde neu. Freunde, die ganz anders „tickten“ als Stuttgarts Neureiche. Die Diskussionen in der Gruppe um die Leipziger Jungkommunisten Georg Kuritzkes und Ruth Cerf ließen Gerda nachdenklich werden und schärften ihre Sinne für alles Politische, auch ihre Brüder engagierten sich inzwischen im antifaschistischen Widerstand.

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Milizionär mit Kindern (Foto: International Center of Photography)

Nach einer Flugblattaktion griff die SA am 18. März 1933 zu. Gerda kam für 17 Tage in Haft. In wenigen Wochen reifte ihr Entschluss, Deutschland zu verlassen. Das Ziel war Paris, wo sie im Herbst 1933 eintraf. Mit Gelegenheitsjobs als Zeitungsverkäuferin, Sekretärin und Empfangskraft hielt sie sich über Wasser. Das Wiedersehen mit Ruth Cerf, mit der sie bald ein Zimmer teilte, stabilisierte sie, regelmäßige Treffen mit Genossen im Café Capoulade gaben ihr Orientierung. Im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Fotoagentur „Alliance Photo“ wird das Interesse am Fotografieren geweckt, sie erhält Einblick in verschiedene handwerkliche Techniken, von der Aufnahme über die Arbeit in der Dunkelkammer bis zum veröffentlichungsfähigen Bild. Die Bekanntschaft mit dem ungarischen Flüchtling André Friedmann tat das übrige. Friedmann dokumentierte fotografisch wichtige Ereignisse, Treffen und Demonstrationen der französischen Linken. Zum Überleben reichte es nur knapp, er suchte Auftraggeber, sprach aber nur ein bescheidenes Französisch. Gerda ihrerseits beherrschte die Sprache und hatte in der „Alliance Photo“ zahlreiche Kontakte zu Agenturen und Bildpresse herstellen können.

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Weibliche Miliz im Jahr 1936 (Foto: International Center of Photography)

Die fachliche Symbiose, aus der bald auch Liebe werden sollte, ließ beide große Pläne machen. Sie legten sich die eingängigen Künstlernamen „Gerda Taro“ und „Robert Capa“ zu. Als am 18. Juli 1936 Francos Generäle gegen die junge spanische Republik putschten, packten Taro und Capa Rolleiflex und Leica in den Koffer und ließen Paris in Richtung Barcelona hinter sich.

Auf der Seite der republikanischen Truppen und der Internationalen Brigaden bannten sie vielhundertfach Leid, Mühsal und Tragödien, aber auch Mut, Freude und Zuversicht auf Zelluloid. Der spanische Krieg war der erste Krieg, der auch über Medien geführt wurde. Entsprechend groß war die Nachfrage der Redaktionen der „Vu“, „Regards“ oder der Pariser Abendzeitung „Ce Soir“. Die Fotografie übte gerade im Krieg eine besondere Faszination aus, technisch ist das Foto ein in der Zeit geronnener Moment der Wahrheit, Blick und Assoziation des Betrachters verleihen ihm erst Botschaft. Capas Motto „Wenn dein Bild nicht gut genug ist, bist du nicht nah genug dran“ galt auch für das fotografische Werk Gerda Taros.

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Titelseite mit einem Foto von Gerda Taro (Foto: International Center of Photography)

Am Sonntag, den 25. Juli 1937, dem letzten Tag der Schlacht um Brunete, wurde Gerda Taro diese Nähe zum Verhängnis. Für Montag war die Abreise nach Paris geplant, ein paar letzte Bilder sollten es noch sein. Sie brach von Madrid zur Front auf. Das Dauerbombardement deutscher und italienischer Flugzeuge trieb die republikanischen Bodentruppen vor sich her. Aus dem Straßengraben, vom LKW und dem Trittbrett einer Limousine fotografierte Gerda Taro bis der Film voll war. Ein republikanischer Panzer, der rückwärts auf die Landstraße nahe der Ortschaft Villanueva de la Canada einfuhr, streifte das Fahrzeug, auf dem Gerda Taro mitfuhr. Sie stürzte vom Trittbrett und die Laufketten des Panzers zermalmten Beine und Unterleib. Man brachte sie schwerverletzt ins Krankenhaus El Escorial. Aus dem Bericht der Oberschwester Anna Maria Revesz weiß man, dass Gerda noch einmal zu Bewusstsein kam: „Sind meine Kameras in guten Händen? Sie sind neu.”

Sie erlag ihren Verletzungen am Morgen des 26. Juli 1937. Freunde brachten sie nach Paris. Unter Anteilnahme von hunderttausend Trauernden, an der Spitze ihr Vater Heinrich, Robert Capa und die Dichter Pablo Neruda und Louis Aragon, bettete man sie zur letzten Ruhe. Capa erlangte durch die Fotos vom Spanischen Krieg internationales Ansehen, fotografierte später am 6.Juni 1944 die Landung der Allierten in der Normandie und starb am 25. Mai 1954 bei der Dokumentation des Schlachtfelds Vietnam. 70 Jahre nach dem Tod Gerda Taros fand man in Mexiko einen Koffer mit 126 Filmrollen und hunderte auf der Rückseite von ihr signierte Fotos. Darunter waren auch die Negative aus der Schlacht um Brunete, die ihre letzten Tage waren.

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(Foto: International Center of Photography)

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.



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