… fordert 8 Prozent! Besuch bei einem Warnstreik bei Opel und Vogelsang in Bochum

Wer die Preise kennt

Jugend vor: Die ersten, die an diesem wolkenverhangenen Herbsttag vor das Opel-Werk im Bochumer Stadtteil Langendreer ziehen, sind eine Gruppe junger Kolleginnen und Kollegen der IG-Metall-Jugend. „Ohne Wenn und Aber“ steht auf dem Transparent, das die jungen Gewerkschafter vor sich her tragen, „8 % mehr Geld“ und „Solidarität gewinnt!“. Das ist die Losung der aktuellen Tarifauseinandersetzung.

Es ist fünf vor zwölf am Montag, dem 7. November. Bei leichtem Nieselregen startet der vierstündige Warnstreik der Metaller der Opel Group Warehousing GmbH. Zum ersten Mal sind Kolleginnen und Kollegen der Vogelsang Servicegroup GmbH bei den Opelanern zu Gast. Sie bekommen warmen Applaus.

Um kurz vor halb eins tritt Marc Schneider auf die Bühne. Der Kassierer der IG Metall Ruhrgebiet-Mitte zählt fünfzehn Warnstreiks in der Vorwoche alleine in seinem Zuständigkeitsgebiet auf. Er hält den Staffelstab hoch, der immer dabei gewesen sei. Der wandere nun erst mal wieder ins Büro, sagt er mit Verweis auf die nächste Verhandlungsrunde am 10. November, „aber da holen wir ihn sicher bald wieder raus“.

Sechs Wochen lang hatte Gesamtmetall kein Angebot vorgelegt. „Die Arbeitgeber spielen auf Zeit. Sie glauben nicht, dass wir in dieser Zeit in der Lage sind, unsere Forderungen zu erkämpfen“, sagt Carsten Schuld in Bochum. Schuld ist Koordinator für Tarifpolitik Metall und Elektro in Nordrhein-Westfalen. Erst in der dritten Verhandlungsrunde legte Gesamtmetall ein erstes Angebot vor (siehe UZ vom 11. November): 3.000 Euro Einmalzahlung bei einer Laufzeit von 30 Monaten, ergänzt um weitere Unverschämtheiten wie die einer automatischen „Differenzierung“ tariflicher Zusatzgelder und einer „Variabilisierung“ von Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Für Schneider, Schuld und die anwesenden Kolleginnen und Kollegen ist das kein Angebot, sondern eine Provokation. 3.000 Euro auf 30 Monate seien nicht einmal ein Wocheneinkauf für eine Familie pro Monat, rechnet Steffen Reichelt, Betriebsrat bei Opel, vor.

Für die Beschäftigten bei Opel und Vogelsang ist die Lage besonders drückend. Neben hohen Mieten, Rekordinflation und explodierenden Energiepreisen leiden sie auch noch unter dem Verzicht, zu dem sie in den vergangenen Jahren gezwungen wurden. Vogelsang hatte eine Tarifabweichung wegen schlechter wirtschaftlicher Lage mit der IG Metall ausgehandelt. Noch immer werden die rund 180 Beschäftigten des Unternehmens unter Tarif bezahlt. Die Bochumer Opel-Angestellten arbeiten seit 1. Januar zweieinhalb Stunden pro Woche unbezahlt, zusätzlich zur tarifvertraglich vereinbarten Arbeitszeit. Das Management hatte mit Werkschließung gedroht, sollten die Beschäftigten nicht zustimmen. Opels Mutterkonzern Stellantis hat seine Zahlen zwischenzeitlich deutlich verbessert: Im dritten Quartal 2022 steigerte der Autokonzern den Umsatz um 29 Prozent auf 42,1 Milliarden Euro, meldete das „Handelsblatt“ Anfang November. „Opel macht gute Gewinne“, bilanziert Marc Schneider, „und davon wollen wir natürlich auch profitieren.“ Das ist dringend notwendig: „Wir hatten 2018 den letzten Abschluss, der in die Tabelle gegangen ist, mit 4,3 Prozent.“

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Wer streikt, kann nur gewinnen. (Foto: Valentin Zill)

Er komme gerade noch so über die Runden, erzählt Lukas im Gespräch mit UZ. Er arbeitet seit fünf Jahren bei Opel in der Lkw-Verladung und ist Mitglied des Betriebsrats. Urlaube und Wochenendausflüge habe er früher von seinem monatlichen Salär bezahlen können. Jetzt könne er sich Ausflüge und Reisen deutlich seltener leisten und nur via Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Seinen Kollegen geht es ähnlich. „Alle motzen, zu wenige machen was“, kritisiert er.

Damit spielt er auf die Kollegen an, die zwar die Arbeit niedergelegt haben, sich aber nicht an der Kundgebung beteiligen. Eine Handvoll teils sogar in der IG Metall organisierter Kollegen streike gar nicht erst mit, kritisiert Steffen Reichelt in seiner Rede. Die seien sauer wegen der Reaktion der Gewerkschaft auf Opels Erpressung. Reichelt versteht die Wut dieser Kollegen. „Für Verzicht brauche ich keine Gewerkschaft.“ Sich deshalb jetzt nicht am Warnstreik zu beteiligen, sei aber „die ganz falsche Reaktion“. Man müsse weiter Gespräche führen mit denjenigen, die jetzt nicht streiken.

Mit einer Einmalzahlung möchte sich keiner der Kollegen abspeisen lassen. Eine solche Inflationsausgleichsprämie könne zwar Teil eines Abschlusses sein, sagt Carsten Schuld, aber eine Tabellenerhöhung müsse sein. Schuld übt noch einmal den Schlachtruf, der in den Warnstreiks der Vorwoche entstand. „Wer die Preise kennt“, ruft er – die Antwort schallt vielstimmig über den Platz: „… fordert 8 Prozent!“

Ohne ein brauchbares Angebot in der nächsten Verhandlungsrunde gehe der Kampf mit 24-stündigen Warnstreiks oder einer Urabstimmung weiter. Dazu brauche man die Unterstützung sämtlicher Kollegen in Nordrhein-Westfalen. Ob Rentner oder Jungspund.

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"Wer die Preise kennt", UZ vom 18. November 2022



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