Zum 20. Todestag Alfred Haussers

Ein unvergessener Antifaschist

Johann Woydt

Jahrzehntelang kämpfte der Kommunist Alfred Hausser an entscheidenden Stellen der antifaschistischen Bündnisorganisation VVN, später der VVN-BdA. Er gehörte zu denjenigen, die es schafften, ein breites Spektrum an Meinungen und Weltanschauungen zu verbinden mit einer klaren, klassenmäßigen Position zum Faschismus.

Schul- und Lehrzeit

Alfred kam am 27. August 1912 als Sohn einer Arbeiterfamilie in Stuttgart-Gablenberg zur Welt. Der Vater war Metallarbeiter, die Mutter Konsum-Angestellte.

Alfreds Kindheit fiel in die Jahre des Ersten Weltkriegs – sein Vater war vier Jahre lang Soldat, die Mutter wurde dienstverpflichtet und arbeitete in einer Volksküche. Der Junge verbrachte diese Zeit bei seinen Großeltern auf dem Land und erlebte dort – trotz Krieg – eine recht unbeschwerte Kindheit.

Mit dem Frühjahr 1919 begann Alfreds Schulzeit. Im Anschluss begann Alfred eine Lehre in einem Betrieb in Stuttgart-Bad Cannstatt. Ein Viertel der dort Beschäftigten waren Lehrlinge, die bereits nach dem ersten Lehrjahr – ohne als Arbeiter bezahlt zu werden – in der Produktion eingesetzt wurden. Alfred setzte sich für seine Lehrlingskollegen ein und wurde nach seinem Beitritt zum Deutschen Metallarbeiter-Verband zum Jugendvertrauensmann gewählt.

Kommunist, Illegalität, Verhaftung

Nach seiner Entlassung zum Ende der Lehrzeit im April 1932 war Alfred arbeitslos – einer von damals sechs Millionen Erwerbslosen. Da er aufgrund einer Notverordnung der Brüning-Regierung keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung hatte, blieb er wirtschaftlich zunächst von seinen Eltern abhängig.

Bereits während seiner Lehrjahre hatte Alfred erkannt, dass das zunehmende soziale Elend den Aufstieg der Nazipartei begünstigte und war 1930 in den KJVD eingetreten, wo er es rasch zum Mitglied der Bezirksleitung und des Jugendzentralkomitees brachte. 1932 wurde er Mitglied der KPD, die im selben Jahr anlässlich der Reichspräsidentenwahl mit der Losung „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler – wer Hitler wählt, wählt den Krieg“ auftrat – eine Voraussage, die sich sieben Jahre später furchtbar bewahrheiten sollte.

Mit der Machtübergabe an die Nazipartei am 30. Januar 1933 begann für Alfred die Zeit der Illegalität. Zunächst war er für den Wiederaufbau der nach Verhaftungen geschwächten Bezirksorganisation im Ruhrgebiet zuständig, wo er unter anderem für die Verbreitung der illegal aus den Niederlanden eingeschmuggelten „Jungen Garde“ und der vor Ort hergestellten „Jungen Ruhrgarde“ sorgte. Er berichtete darüber später: „Ich wurde im März 1934 mit der Leitung des KJVD in den Unterbezirken Essen, Oberhausen, Duisburg-Hamborn beauftragt. (…) Wir stellten uns damals folgende politische Hauptaufgaben: 1. Kampf gegen den zunehmenden Druck der Nazis auf die nicht in der Hitlerjugend (…) organisierte Jugend. (…) 2. Herstellung von Verbindungen zur Arbeiterjugend in den Betrieben, insbesondere bei Krupp in Essen.“ Ab August 1934 war er mit ähnlichem Auftrag im Bezirk Chemnitz tätig. Dort wurde er nach dem Auffliegen der Widerstandsgruppe am 20. Dezember von der Gestapo verhaftet – fortan war er für über zehn Jahre der Häftling Nummer 6853.

Zuchthaus, Zwangsarbeit, Befreiung

Am 29. Juli 1936, nach langer Haft in verschiedenen Gefängnissen und endlosen, mit Folter verbundenen Vernehmungen durch die Gestapo wurde Alfred vom „Volksgerichtshof“ in Berlin wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Es folgten sieben Jahre im Zuchthaus Ludwigsburg mit strenger Einzelhaft und absolutem Sprechverbot.

Ab 1939 vergab die Firma Bosch Produktionsaufträge ins Zuchthaus – wie viele andere Häftlinge musste auch Alfred Zwangsarbeit für den Konzern leisten bei einem „Lohn“ von 40 Pfennigen pro Tag. Aufgrund der Kürzung der Verpflegungsrationen trat ein rasanter Schwächungsprozess ein, begleitet von psychischen Problemen infolge des Sprechverbots. Nur mit äußerster Selbstdisziplin gelang es Alfred, den Kampf um seine geistige und seelische Existenz zu bestehen.

1943 wurde wegen der alliierten Luftangriffe ein Teil des Bosch-Werks in Stuttgart-Feuerbach verlagert. Die Zwangsarbeiter im Ludwigsburger Zuchthaus, darunter auch Alfred, transportierte man im Dezember in einem Viehwaggon nach Celle, wo in der leergeräumten Zuchthauskirche eine Produktionsstätte eingerichtet worden war.

Ende April 1945 läutete die Stunde der Befreiung. Alfred erinnerte sich später: „Wir wurden Hals über Kopf noch einmal evakuiert, vom Zuchthaus Celle nach dem Gefängnis in Wolfenbüttel. Eines Morgens ist plötzlich eine ungewöhnliche Stille. Dann hört man etwas rattern. Einige Kameraden ziehen sich hoch am Gitter und sagen: Da draußen fahren die Amerikaner. Und dann ging ein Jubel los, und bald darauf wurden die Zellen aufgeschlossen und wir konnten uns dann wenigstens in der Anstalt frei bewegen. Es hat Wochen gedauert, bis wir dann tatsächlich freie Menschen waren.“

Hoffnung und Enttäuschung

Ende Juni 1945 kehrte Alfred, abgemagert und körperlich stark geschwächt, nach Stuttgart zurück: „Am 1. Juli 1945 stand ich in der offenen Halle des Stuttgarter Hauptbahnhofes. Zwölf Jahre lagen seit meinem Weggang dazwischen. Von der Freitreppe war der Blick über Ruinen und Trümmer hinweg frei bis zum Marktplatz. Dieses erschütternde Bild habe ich heute noch vor Augen.“

Da bei Kriegsende auch auf kommunaler Ebene die Verwaltungsstrukturen zusammengebrochen waren, ergriffen aus den Zuchthäusern und Lagern zurückgekehrte Widerstandskämpfer und unbelastete Demokraten die Initiative und gründeten Arbeitsausschüsse. Im Rahmen dieser Aktivitäten beteiligte sich Alfred am Aufbau einer neuen Jugendorganisation: „Uns war klar: Wir müssen dort anfangen, wo vor 1933 unser Platz war und wo uns die Nazis zwangen, in die Illegalität zu gehen. Wir überlegten, wie man der vom Faschismus irregeführten und enttäuschten Jugend durch bessere Ideale den Weg zu einem neuen demokratischen Jugendleben öffnen kann. Wir waren uns einig: Man darf diese Jugend nicht für die Verbrechen des Nazismus verantwortlich machen, sondern muss ihr eine Chance geben.“ Die neue Jugendorganisation trug den Namen „Schwäbische Volksjugend“.

Im Jahr 1946 nahm Alfred eine Tätigkeit als Redakteur bei der Jugendzeitschrift „Die Zukunft“ auf, die er allerdings wegen der zunehmenden Verschärfung der Zensur Ende 1947 wieder aufgab. Auch in anderer Hinsicht fühlte er sich mehr und mehr enttäuscht: „Von unseren Erwartungen und Hoffnungen musste ich in kurzer Zeit viele Abstriche machen. Ohnmächtig und mit einer Wut im Bauch musste ich zusehen, wie aus der Entnazifizierung eine Rehabilitierung wurde, wie unter der neu aufgelegten Doktrin des Antikommunismus die antifaschistischen Kräfte insgesamt zurückgedrängt und alle Lehren aus Faschismus und Krieg ignoriert wurden. Ich bin allen dankbar, die damals trotz Enttäuschungen nicht resigniert und im Kalten Krieg nicht kapituliert haben, sondern sich selbst und dem Schwur von Buchenwald treu geblieben sind. Diese zweite schwere Bewährungsprobe der Antifaschisten erfolgreich bestanden zu haben ist das historische Verdienst der VVN.“

Tätigkeit in der VVN

Besagte VVN – die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – konstituierte sich im März 1947; im Mai erfolgte die Gründung des Württembergisch-Badischen Landesverbands. Alfred übernahm dort hauptamtlich das Aufgabengebiet „Presse und Sozialpolitik“. Später, zwischen 1961 und 1992, hatte er die Funktion des Landesvorsitzenden der dann Baden-Württembergischen VVN inne. Nach langen Jahren als Mitglied des Präsidiums der Bundesvereinigung und – ab 1990 – des Bundessprecherkreises wurde er zudem 1994 vom Bundeskongress zum Ehrenpräsidenten der VVN-BdA gewählt.

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Die kommunistischen Widerstandskämpfer und VVN-BdA-Aktivisten Alfred Hausser (mit Megafon) und Hans Gasparitsch 1976 bei einer Aktion gegen die NPD in Stuttgart. (Foto: Archiv VVN-BdA Baden-Württemberg)

Ende der 1940er Jahre begann der Kalte Krieg, der 1950 in Korea zum „heißen“ wurde. Alfred bezog Stellung gegen die US-amerikanische Aggression. Dies brachte ihm im August 1950 eine dreiwöchige Gefängnisstrafe ein, die er – blanker Zynismus – in der Ludwigsburger Haftanstalt absitzen musste.

Ab Beginn der 1950er Jahre widmete sich Alfred der Aufarbeitung tausender schwerer Verfolgungsschicksale und konnte in vielen Fällen für die Opfer des Faschismus Entschädigungen erwirken. In späterer Zeit war er als Sprecher der im März 1986 gegründeten Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter aktiv und forderte angemessene Entschädigungsleistungen für all jene, die im Rahmen des faschistischen Sklavenarbeitsprogramms für die Kriegswirtschaft und die Profite der Konzerne hatten schuften müssen. Alfred hat zu seinen Lebzeiten keine Entschädigung für seine bei Bosch geleistete Zwangsarbeit erhalten – erst im Februar 2006 wurde ein entsprechender Antrag positiv beschieden und die Entschädigungssumme an seine Erben ausgezahlt.

VVN-Verbots-Versuch

Mit dem „Adenauer-Erlass“ von 1951 unternahmen die Bundesregierung und einige Länder den Versuch, Gliederungen der VVN wegen angeblicher Verfassungsfeindlichkeit zu verbieten. Zum politischen Hintergrund des von Bonn 1959 angestrengten Verbotsverfahrens – zwischenzeitlich war 1956 die KPD verboten worden – gehörte die Forderung der VVN, Altnazis und Helfer des Faschismus wie den Staatssekretär Hans Globke und den Minister Theodor Oberländer aus ihren Ämtern zu entfernen.

Indes: Der für den 29. November 1962 anberaumte Prozess vor dem Bundesverwaltungsgericht in Berlin platzte. Alfred erinnerte sich gut daran: „Im dicht besetzten Zuhörerraum waren deutsche und ausländische Antifaschisten sowie Journalisten vertreten. Der Senatspräsident Prof. Dr. Werner eröffnete die Verhandlung. Plötzlich wird ihm aus dem Zuhörerraum zugerufen: ‚Herr Präsident, Sie waren ein großer Nazi. Hier sind die Beweise.‘ Der Rufer hielt ein Bündel Papier in die Höhe. Beklemmende Stille.“ Nachdem die Frage Werners, ob man „sich diesen Vorwurf zu eigen“ mache, sowohl vom Prozessvertreter der Bundesregierung als auch von den Rechtsanwälten der VVN verneint worden war, sprach der Senatspräsident die VVN-Prozesskommission an. Alfred antwortete auf dieselbe Frage „laut und deutlich“ mit „Ja“: – „Die Sensation war perfekt. Daraufhin zog sich das Gericht zur Beratung zurück und verkündete nach etwa einer halben Stunde den Beschluss: ‚Die Verhandlung wird vertagt. Neuer Termin wird von Amts wegen bestimmt.‘“

Das Verfahren wurde nie wieder aufgenommen.

Geschichtliche Herausforderung

Die Konterrevolution 1989/90 und die Annexion der DDR durch den BRD-Imperialismus waren für Alfred – Mitglied der illegalen KPD und später der DKP – ein schwerer Schlag, aber er blieb seiner Überzeugung treu: „Im Oktober 1989/1990 gab es für mich und viele andere Kommunisten eine herbe, eine schmerzliche Enttäuschung. (…) Und da musste ich (…) mich fragen: Wie geht denn dein Weg weiter? Nun kann man also 40 oder 50 Jahre Zugehörigkeit zu einer Bewegung – mit Überzeugung Zugehörigkeit, will ich hinzufügen –, das kann man doch nicht einfach wegwerfen, als wäre es nichts gewesen. Das ist die Hälfte meines Lebens. Und so bin ich, mit allen Enttäuschungen, die es da gegeben hat, zu der Überzeugung gelangt, dass der Zusammenbruch des realen Sozialismus nicht gleichbedeutend ist mit der politischen Idee, für die wir einst angetreten sind, für die ich auch in den Widerstand gegangen bin, für die ich in das Zuchthaus gegangen bin, für die ich nach der Befreiung gekämpft habe. (…) Das kann doch nicht das letzte Wort sein auf die Herausforderung der Geschichte, vor die wir gestellt sind.“

Ein langer Weg

In Alfreds Grußwort auf der Veranstaltung zum 50. Geburtstag der VVN-BdA am 15. März 1997 in Frankfurt am Main hieß es: „Die Veranstaltungen zum 50. Jahrestag der Befreiung im Mai 1995 haben unter Beweis gestellt, dass der Antifaschismus als Idee und gestaltende Kraft einen Platz in unserem Land hat. Wenn wir den langen und oft schweren Weg dieser 50 Jahre überblicken, dann sage ich, wir können stolz darauf sein, dass wir einen aufrechten Weg gegangen sind. Lasst uns den Weg gemeinsam weitergehen. Die Losung von Buchenwald soll uns auch in Zukunft leiten: ‚Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!‘“

Alfred Hausser starb am 12. August 2003 in seiner Heimatstadt Stuttgart, seine Asche liegt auf dem Friedhof in Stuttgart-Untertürkheim. Allen aufrechten Antifaschisten bleibt er unvergessen.

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"Ein unvergessener Antifaschist", UZ vom 11. August 2023



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