Zum Bericht der Bundesregierung zur Lage in Ostdeutschland

Ernsthaftes Konfliktpotential

Kurz vor dem „Tag der Deutschen Einheit“ legte der Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland, Staatsminister Carsten Schneider, seinen Jahresbericht „Ostdeutschland. Ein neuer Blick“ vor. In drei Teilen wird auf 154 Seiten der erreichte Stand der deutschen Einheit reflektiert. Allein die Tatsache, dass nach 32 Jahren Anschluss der DDR an die BRD ein solcher Bericht noch notwendig ist, beweist, dass nichts zusammengewachsen ist, wie es Willy Brandt einst verkündete. Aber natürlich muss im Bericht zunächst die Erfolgsstory geschrieben werden. Also kommen, das soll wohl das Neue sein, im Teil „Ostdeutschland heute“ fünfzehn „AutorInnen“ zu Wort, die „ihren jeweils eigenen Blick auf den Stand der Einheit und auf Ostdeutschland schildern“. Präsentiert werden ausgesuchte Biografien, die nichts mit typischen Lebensbiografien und Befindlichkeiten im Osten gemein haben.

Der zweite Teil „Deutschland-Monitor: Einstellungen zu Demokratie und Politik in Deutschland“ zeigt die Stimmung im Osten. Laut Bundeskanzler Olaf Scholz ist Ostdeutschland „inzwischen in vielerlei Hinsicht eine der attraktivsten Wirtschaftsregionen Europas“. Das klingt wie Hohn, denn die Menschen spüren davon nichts. Ernstzunehmende Fortschritte bei der Angleichung der wirtschaftlichen und Lebensverhältnisse West-Ost sind nicht feststellbar. Die Krisen treffen Ostdeutschland besonders hart. Schlimm steht es der Umfrage zufolge um das Demokratieverständnis: Nur 39 Prozent der Ostdeutschen (2020: 48 Prozent) sind mit der BRD-Demokratie zufrieden. In Westdeutschland sind es noch 59 Prozent. Auch die Zustimmung zur Regierung, die Zufriedenheit mit Meinungsfreiheit und Gerechtigkeit sinken im Osten kontinuierlich.

Das Monitoring als Bestandteil des Berichts ist sehr aufschlussreich: Die befragten Gruppen werden eingeteilt in „offen und liberal“, „klein-bürgerlich-konservativ“, „angepasste Skeptiker“ und „verdrossene Populisten“. Letztere, gemeint sind Kritiker der Regierungspolitik egal welcher Couleur, seien „vergleichsweise weit von der Demokratie entfernt“. Diese Gruppe lehnt – laut Bericht – die deutsche Ukraine-Politik eindeutig ab, kritisiert Waffenlieferungen, Sanktionen auf Kosten der Bevölkerung und Sanktionen gegen Russland. Kritiker, darunter Kommunistinnen und Kommunisten, werden zu „Populisten“ abgestempelt. Gemeinsam mit den „angepassten Skeptikern“ bildeten sie ein „ernsthaftes Konfliktpotential“ für den Staat. Gemeint ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands, deren Meinung – nähme man Demokratie ernst – die Politik in diesem Land mitbestimmen müsste.

Die lichte Zukunft soll der dritte Teil des Berichts „Für gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West: Vorhaben der Bundesregierung in der 20. Legislaturperiode“ zeigen. Ein „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ soll die Lösung sein. Die Unterschiede zwischen Ost und West werden nicht kleiner und sollen es nicht werden. Die Energiekrise trifft die Menschen in Ostdeutschland besonders brutal. Die katastrophale Kriegs- und Krisenpolitik der Bundesregierung eint Deutschland nicht. Sie spaltet weiter und treibt das Land in den Abgrund. Eine Politik der sozialen Kälte, Militarisierung, Waffenlieferung und Wirtschaftskrieg, Feindschaft und Hetze gegen andere Menschen und Völker ist die Ursache wachsender Unzufriedenheit und zunehmenden Widerstandes. Gegen imperialistische Politik hilft kein Zukunftszentrum. Das können wir nur selber tun. Aber solche Schlussfolgerungen passen nicht zu den optimistischen Ritualen eines „Nationalfeiertags“.

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"Ernsthaftes Konfliktpotential", UZ vom 7. Oktober 2022



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