Zur Abschreckung: Länder kassieren Gebühren von „störenden“ Demonstranten

Erst wegräumen, dann abzocken

Im Hauruckverfahren hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen unter Federführung von CDU-Innenminister Herbert Reul zum 12. August die Verwaltungsgebührenordnung geändert. Versteckt in den Tarifstellen 2.1.1.5 und 2.1.1.6 findet sich dort die Ermächtigung, in Zukunft Teilnehmer und Veranstalter von Demonstrationen und Kundgebungen mit Polizeieinsatzgebühren bis zu 50.000 Euro zur Ader zu lassen, „wenn die Ansammlung die öffentliche Sicherheit oder Ordnung beeinträchtigt“. Auch Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) plant den erleichterten Durchgriff auf die Portemonnaies von Demonstranten.

Offiziell heißt es, das neue Preisschild für Proteste gehe auf die Aktionen der „Klimakleber“ und den dadurch gesteigerten Einsatzaufwand der Polizei zurück. Nach gängiger Lesart des Polizeirechts ist die öffentliche Sicherheit oder Ordnung immer dann gefährdet, wenn Kundgebungsteilnehmer durch aktives Handeln oder passives Verhalten den geregelten Ablauf „stören“. Dazu gehören nicht etwa nur „unverhältnismäßige“ Störungen des öffentlichen Straßenverkehrs, sondern auch Verstöße gegen Demonstrationsauflagen. Wer seinen Motorradhelm unterm Arm trägt („passive Bewaffnung“), den Schal über den Mund legt („Vermummung“) oder gar etwas skandiert, was als Billigung einer Straftat und „Störung des öffentlichen Friedens“ verstanden werden kann, löst damit als „Verhaltens- oder Handlungsstörer“ Gegenmaßnahmen auf Seiten der Polizei aus. Zur Anwendung kommt dann „unmittelbarer Zwang“. Und der kostet: In den meisten Bundesländern sehen entsprechende Kostenverordnungen schon seit vielen Jahren Sätze zwischen 80 und 145 Euro für das Verbringen des Störers zur Polizeiwache vor. Eine erkennungsdienstliche Behandlung schlägt mit etwa 80 Euro zu Buche, eine Fahrt im Peterwagen der Hamburger Polizei kostet einen Euro je Kilometer. Wer das Pech hat, in einem Fahrzeug der Kriminalpolizei transportiert zu werden, berappt das Zehnfache.

Bisher machten die Länder eher selten Gebrauch von dieser Art der Einsatzfinanzierung. Der Kostendurchgriff bei institutioneller Hilfe für fahrlässig in Bergnot Geratene oder für vor dem Ertrinken Gerettete ist seit Jahrzehnten Usus. Dass solche Dienste für selbstverschuldete Notlagen vom Betroffenen zu erstatten sind, lässt sich noch damit rechtfertigen, dass dies keine Fälle sind, die der vom Steuerzahler finanzierten Daseinsvorsorge unterliegen. Wer indes demonstriert oder an einer Kundgebung teilnimmt, gebraucht das in Artikel 8 des Grundgesetzes festgeschriebene Recht der Versammlungsfreiheit. Gebührenkataloge für Demonstranten machen aus einer Kostenforderung der öffentlichen Hand ein Instrument der Polizeiprävention. Gewollt ist die abschreckende Wirkung: Wer weiß, dass die Wahrnehmung seiner Rechte gegebenenfalls bis in die zehntausende Euro gehende Forderungen der Staatsmacht auslöst, soll motiviert werden, doch lieber zu Hause zu bleiben.

Schon bei der ersten Welle der kostenrechtlichen Sanktionierung von Sitzblockaden vor US-Kasernen Anfang der 1980er Jahre wurde diese Zielsetzung offen ausgesprochen. Der damalige Innenminister Baden-Württembergs, Roman Herzog (CDU), sagte im Jahr 1982 im „Spiegel“: „Ich verkenne natürlich nicht, dass sich wirtschaftliche Sanktionen für den Adressaten genauso entscheidend auswirken wie meinetwegen der Schlagstock.“ Grund genug für Innenminister Reul, das Polizeikostenrecht aus seinem Dornröschenschlaf wachzuküssen.

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"Erst wegräumen, dann abzocken", UZ vom 8. September 2023



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