Nicht einfach Flüchtlinge, sondern zwangsexiliert und systematisch vom Staat verfolgt – Konferenz in Berlin

Exilkolumbianer fordern Recht auf Rückkehr

Von Carmela Negrete

Exilkolumbianer werden nicht als Opfer des Konflikts in ihrer Heimat wahrgenommen. Zudem sind sie oft mit Diskriminierung und gar Verfolgung in den Staaten konfrontiert, in denen sie Zuflucht gesucht haben. Es fehlt ein Plan, wie man sie nach dem Ende des Konflikts im Land wieder integrieren und entschädigen soll. Deshalb kamen vom Staat verfolgte Kolumbianer vom 10. bis 12. März im Willy-Brandt-Haus in Berlin zu ihrem zweiten Treffen zusammen. Das erste hatte 2014 in Bilbao stattgefunden, also vor Unterzeichnung des Friedensabkommens.

Trotz Streik am Flughafen trafen Kolumbianer aus der Schweiz, Spanien, dem Baskenland, aus Frankreich, Italien, Schweden, Belgien, Österreich, Kanada, Ecuador, den USA und Argentinien ein. Zum ersten Mal sandte auch die kolumbianische Regierung eine Vertreterin: Xinia Rocio Navarro Prada aus dem Arbeitsministerium. Auch ihre Familie hat Staatsterror erlitten: Ihr Großvater und ihr Vater, beide Politiker der Unión Patriótica (UP), wurden Opfer von Anschlägen. Die UP war der politische Arm der Guerillaorganisation FARC-EP und wurde brutal zerschlagen: in einem Ausrottungsfeldzug wurden mindestens 4 000 ihrer Mitglieder ermordet.

Der Internationale Sekretär der DKP, Günter Pohl, eröffnete das Treffen mit dem Bedauern, dass sich Kolumbianer zehntausend Kilometer von ihrer Heimat entfernt treffen müssen, weil die enge Verbindung von Staat und Paramilitärs sie gezwungen hat, in siebzig Ländern der Welt Zuflucht zu suchen.

Günter Pohl wies auf die Manipulation deutscher Medien hin, die den Konflikt in Kolumbien auf einen Krieg zwischen FARC und Staat reduzieren. Diese Medien berichten nicht, dass die Guerillagruppen in den 60er Jahren aus einem Selbstverteidigungskampf entstanden sind. „Der Konflikt in Kolumbien ist ein Klassenkonflikt, und zudem einer der wenigen in der Welt, in dem beide Klassen bewaffnet sind.“ Die Medien würden ihn auf einen Drogenkrieg oder auf „vereinzelte Fälle“ von Menschenrechtsverletzungen reduzieren.Er forderte die Umsetzung des Friedensabkommens und dass sich nicht wiederholt, „was schon so oft in der kolumbianischen Geschichte geschehen ist“, nämlich die Ausrottung der demokratischen gewaltlosen Opposition durch den Staat und paramilitärische Einheiten. Der DKP-Politiker forderte vom SPD-geführten Außenministerium eine Wende von dessen Kolumbien-Politik.

„Dies ist ein historischer Moment“, witzelte Heike Hänsel, Bundestagsabgeordnete und Stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag. „Ein Politiker der DKP übersetzt den Gruß einer ‚Linke‘-Bundestagsabgeordneten im Gebäude der SPD.“ Hänsel erinnerte daran, dass sie vor Jahren im Bundestag gefordert hatte, dass die FARC aus der Liste terroristischer Organisationen gestrichen werden sollte und wie sie deshalb beschimpft worden war. Der Durchbruch kam im Dezember 2016, als Außenminister Steinmeier mit den Guerilleros Iván Márquez und Victoria Sandino im Bundestag ein Skype-Gespräch führte. „Der Gruß der FARC war ein historischer Moment.“ Dennoch erinnerte sie daran, wie kompliziert die politische Situation in Kolumbien immer noch ist und dass Sicherheitsgarantien erste Priorität zukommen muss. Denn die Paramilitärs sind immer noch „die größte Bedrohung des Friedens“.

Dann sprach Alejandro Ramírez von „Marcha Patrotica“. Die 2012 gegründete Bewegung ist antiimperialistisch, antikapitalistisch, sozialistisch, patriotisch und bolivarianisch. Ramírez forderte demokratische Reformen. Es müsse für die Opposition Sicherheitsgarantien vor Mordanschlägen geben. Eine Agrarreform habe Priorität. Der Staat hat in den Übergangszonen, in denen sich die demobilisierten Guerilleros sammeln, noch nicht einmal die logistischen Voraussetzungen geschaffen. Auch die Amnestie Tausender politischer Gefangener lasse noch auf sich warten. Der „Paramilitarismus als Staatspolitik“ bleibe bestehen, wie die Dutzenden Morde in jüngster Zeit belegen. Ramírez wies auf zwei wichtige Daten hin: den Kongress der Kolumbianischen KP sowie den ersten Kongress der FARC als Partei, der im Mai stattfinden wird.

Eliécer Jiménez sprach für die veranstaltende Organisation. Er forderte vom kolumbianischen Staat die Möglichkeit, aus der Unsichtbarkeit an die Öffentlichkeit treten und sich als politischen Akteur etablieren zu können. Dafür schlägt er vor, dass die mehr als zwei Millionen Exilkolumbianer zwei Abgeordnete als Stimme im Parlament bekommen. Die Vertriebenen müssen als Opfer anerkannt und entschädigt werden. Jiménez erinnerte an die „Operación Europa“, in der Dutzende politisch Verfolgte auf europäischem Boden bespitzelt wurden. „Der Staat will die Rebellen entwaffnen, aber wir fürchten, dass dem keine sozialen Reformen folgen.“ Für die Medien in Kolumbien sei es kein Skandal, wenn Menschenrechtler ermordet werden oder hunderte Kinder auf der Halbinsel Guajira verhungern.

Video-Grußbotschaften kamen von Maite Mola von der Europäischen Linkspartei sowie von Javier Couso, Europaabgeordneter der spanischen Vereinten Linken (IU). Der Kommandant der FARC, Timoleón Jiménez, wies in seinem Gruß auf die Wichtigkeit der gesellschaftlichen Akzeptanz des Friedensabkommens hin.

Die Teilnehmer des Treffens verfassten eine Abschlusserklärung. Darin äußerten sie ihre Sorge angesichts des „fehlenden politischen Willen der Regierung von Juan Manuel Santos“, das Friedensabkommen umzusetzen. Sie kritisierten Staatsanwalt Néstor Humberto Martínez wegen seiner Vernebelungsstrategie, die Aufmerksamkeit mit Korruptionsskandalen wegzulenken. Viel wichtiger sei, die Straflosigkeit eines „Genozids gegen das kolumbianische Volk“ zu beenden. Ex-Präsident Alvaro Uribe und seine reaktionäre Umgebung sehen sie ebenso als Bedrohung für den Frieden wie die Paramilitärs. Die im Exil lebenden Kolumbianer wollen am Friedensprozess teilhaben und ihre Rechte durchsetzen. Sie dankten für die Unterstützung und internationale Solidarität.

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"Exilkolumbianer fordern Recht auf Rückkehr", UZ vom 24. März 2017



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