Kriegsverbrechen hier, fahrlässige Fehler dort

Falschmeldungen über Syrien

Von Manfred Ziegler

Ostern 2017: Durch einen Bombenanschlag westlich von Aleppo wurden 130 Menschen getötet. Auch nach sechs Jahren Krieg war dies ein außergewöhnliches Gemetzel. Die UN und sogar die USA haben den Anschlag verurteilt, das deutsche Auswärtige Amt war „tief erschüttert“.

Opfer des Anschlags waren Flüchtlinge aus den zwei Ortschaften al-Fua und Kefraja nördlich von Idlib. Jahrelang waren sie von Dschihadisten belagert worden, Einheiten der syrischen Armee und Milizen verteidigten sie, eine Versorgung war nur aus der Luft möglich. Die beiden Orte al-Fua und Kefraja waren die letzten Bastionen des syrischen Staates in einem Gebiet, das weithin von Dschihadisten, al-Nusra und IS besetzt war.

Die Evakuierung war Teil eines Abkommens, das in jahrelangen Verhandlungen zwischen Regierung und Dschihadisten und unter Beteiligung Katars und des Iran erreicht worden war. Der Anschlag galt damit nicht nur den (überwiegend schiitischen) Einwohnern der beiden Orte, sondern Verhandlungslösungen überhaupt.

Dass die syrische Armee und die Milizen den Angriffen auf die beiden Orte jahrelang widerstanden hatten, war ein Grund mehr für die Terroristen, diesen Anschlag zu verüben.

Journalisten, die darüber berichten, kennen diese Zusammenhänge. Und schreiben dann zwar „Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana sprach von einem Anschlag von ‚Terroristen‘.“ – Terroristen wohlgemerkt in Anführungszeichen. Um dann mit der sinnlosen Anmerkung zu enden: „Oppositionelle Aktivsten beschuldigten hingegen Anhänger der Regierung, hinter der Bombe zu stecken.“ Anhänger der Regierung, die sich selbst bombardieren?

Wochen zuvor wurden bei einem Luftangriff auf eine Moschee westlich von Aleppo mehr als 40 Zivilisten getötet. Zunächst galt es als unklar, wer den Angriff durchführte, obwohl bekannt war, dass die USA zur gleichen Zeit einen Luftangriff im fraglichen Gebiet geflogen hatten. Erster Verdächtiger: „Assad“ bzw. Putin: „Die Streitkräfte von Präsident Baschar al-Assad und dessen Verbündeter Russland haben in der Region zahlreiche Luftangriffe gegen Aufständische geflogen.“ So die „Zeit“ und im gleichen Wortlaut der Teletext des ZDF. In der „Tagesschau“ hieß es hierzu: „In der Region Aleppo fliegen regelmäßig Jets der syrischen und russischen Luftwaffe Angriffe. Sie bekämpfen dort bewaffnete Gegner des Regimes des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad.“

In einer Erklärung des CENTCOM hieß es zunächst, die US-Streitkräfte hätten einen Luftangriff auf eine Versammlung von Al-Kaida in der Provinz Idlib ausgeführt, bei dem mehrere Terroristen getötet wurden. Doch am 18. April berichtet die Bild-Zeitung über den Angriff unter dem reißerischen Titel: „USA bombardieren volle Moschee in Syrien“. Die Zeitung kommt zu der Schlussfolgerung: „Fahrlässige Fehler waren für die Katastrophe verantwortlich…“

Während also die USA Terroristen der Al-Kaida bombardieren, greifen die syrische und russische Luftwaffe „bewaffnete Gegner des Regimes“ an. Und was im Falle der USA „Fahrlässige Fehler“ sind, sind im Falle Russlands und Syriens Kriegsverbrechen.

Der angebliche Einsatz von Chemiewaffen in Khan Shaykhun rechtfertigte einen US-Angriff auf eine syrische Luftwaffenbasis. Dazu sagt Theodore A. Postol, emeritierter Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Spezialist auf dem Gebiet des Waffeneinsatzes: Ein Angriff mit Nervengas hat an diesem Ort nicht stattgefunden.

Der mediale Sturm der Entrüstung, der ein neues Verbrechen der syrischen Regierung (er)fand, ließ sich dadurch nicht bremsen.

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"Falschmeldungen über Syrien", UZ vom 28. April 2017



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