Vor 85 Jahren hörte man zum ersten Mal „Peter und der Wolf“

Freundschaft, Mut und Zusammenarbeit

Sergej Prokofjew gehört zu den großen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Geboren wurde er vor 130 Jahren, am 23. April 1891, im ländlichen Sonziwka in der Ukraine. Das dörfliche Leben mit seinen Bauernliedern hinterließ einen bleibenden Eindruck. Die musikalische Mutter machte mit ihm schon als Kind Ausflüge zur Moskauer Oper. Prokofjews zehnjährige Studienzeit (1904 bis 1914) am Petersburger Konservatorium, unter anderem bei Rimski-Korsakow, war eine Zeit großen künstlerischen Wachstums.

1917 begann für Prokofjew eine neue Zeit; er komponierte viel. Im Sommer 1917 schloss er sich dem Rat der Arbeiter in der Kunst an. Wegen des Bürgerkriegs neun Monate lang im Kaukasus aufgehalten, kehrte er erst Anfang 1918 nach Petrograd zurück. In der Überzeugung, dass Musik nicht im Vordergrund des Rates stand, erwirkte Prokofjew die Genehmigung, eine Konzertreise ins Ausland zu unternehmen. Ab 1918 begann er, als Pianist und Dirigent durch die USA und Europa zu touren und blieb, vor allem wegen der Blockade der UdSSR, länger außer Landes als ursprünglich geplant. Er weilte fast zwei Jahre in den USA und kehrte mehrmals zu Konzertreisen dorthin zurück. In Frankreich kam Prokofjew in engen Kontakt mit der musikalischen Avantgarde. Bereits in Russland hatte er Stücke von Schönberg aufgeführt. Er studierte die Werke Strawinskys, vor allem die frühen Ballette, blieb aber kritisch gegenüber den Neuerungen seines Landsmannes, zu dem er ein gespanntes persönliches Verhältnis hatte. Ab 1922 verbrachte Prokofjew über anderthalb Jahre im bayrischen Ettal, bevor er nach Paris zurückkehrte. In Deutschland heiratete Prokofjew die spanischstämmige Sängerin Carolina Codina, die er in den USA kennengelernt hatte und mit der er zwei Söhne hatte.

Prokofjew unternahm mehrere Tourneen durch die UdSSR, bevor er 1936 mit seiner Familie dorthin zurückkehrte und sich im Komponistenverband engagierte. Nachdem er 1938 die Autorin Mira Mendelson kennengelernt hatte, verließ er Carolina 1941 und heiratete Mira 1948. Carolina Codina wurde Wochen später wegen angeblicher Spionage zu 20 Jahren Arbeitslager verurteilt und 1956 entlassen. Juri Andropow genehmigte 1974 ihre Ausreise.

Prokofjew fühlte sich von den Werken der russischen Dichter der Moderne angezogen, von den Gemälden der russischen Anhänger von Cézanne und Picasso, von Meyerholds Ideen fürs Theater. Der große Ballett-Impresario Diaghilew war lange sein Mentor. All diese Einflüsse wirkten sich auf Kompositionen Prokofjews aus, der den Kontakt zur Musik seiner Heimat nie verloren hatte. Seine Heimkehr führte zu zahlreichen Meisterwerken.

„Peter und der Wolf“

Eines davon, das vielleicht berühmteste von allen, ist „Peter und der Wolf“. Natalja Sats, damalige Direktorin des Moskauer Musiktheaters für Kinder, hatte dieses Stück in Auftrag gegeben, um Kinder mit einigen Instrumenten des Orchesters und der klassischen Musik bekannt zu machen. Prokofjew hatte Sats kennengelernt, als er 1936 mit seinen Söhnen ihr Theater besuchte. Prokofjew schrieb in wenigen Tagen einen Entwurf für das Klavier und beendete die Orchestrierung neun Tage später, am 24. April 1936. Das Stück wurde unter großem Beifall im Moskauer Pionierpalast aufgeführt, mit Sats als Erzählerin. Prokofjew sagte später: „In Russland legt man heute großen Wert auf die musikalische Erziehung der Kinder. Eines meiner Orchesterstücke (Peter und der Wolf) war ein Experiment. Kinder bekommen einen Eindruck von den verschiedenen Instrumenten des Orchesters, nur indem sie das Stück gespielt hören.“ Prokofjew schrieb die Geschichte selbst, die von einem Sprecher erzählt wird. Zunächst stellt der Erzähler die Figuren mit ihren musikalischen Motiven vor. Im weiteren Verlauf kommentiert der Erzähler das Geschehen. Wenn man versteht, welches Instrument zu wem gehört, spricht die Musik für sich selbst.

Peter wird durch den hellen Klang der Streicher als fröhlicher Junge dargestellt. Die Jäger und ihre Gewehrschüsse werden von den Pauken und Trompeten gespielt. Die Flöte charakterisiert den flatterhaften Vogel. Der leicht nasale Klang der Oboe suggeriert die schnatternde, watschelnde Ente. Der weiche Klang der Klarinette erinnert an die samtige, schleichende Katze. Das dunkle, tiefe Register des Fagotts evoziert den langsamen Großvater. Der Wolf wird durch den tiefen Klang der drei Waldhörner beschworen. Peter, der mit seinem Großvater am Waldrand lebt, versteht die Sprache der Tiere, mit denen er befreundet ist. Eines Tages taucht der Wolf aus dem Wald auf und verschlingt die Ente. Peter schmiedet einen Plan, um den Wolf mit Hilfe des Vogels zu fangen. Die Geschichte beginnt an einem sonnigen Morgen, Aufwärtssprünge in der Tonfolge, Peters Streicher spielen eine fröhliche Melodie, die Flöten trillern. Beim Streit der Vögel gibt es ein lautes und unharmonisches Hin und Her zwischen den Instrumenten. Als der Wolf auftaucht, die Ente jagt und fängt, wird die musikalische Atmosphäre bedrohlich, der Rhythmus wird schneller und die Oboe steigt besorgt in der Tonhöhe, Dissonanz endet in Aufschrei. Als Peter und der Vogel versuchen, den Wolf zu fangen, wird die Stimmung ängstlich, als hielte der Atem ein, während die Tonhöhe in der Musik sinkt. Sanfte Streicher halten inne, bevor Bläser laut schmettern. Nach seiner Gefangennahme wird der Wolf jubelnd von allen in den Zoo gebracht. Wir hören fröhliche Triller, schnelle Arpeggien auf Klarinette, Flöten und bei Streichern.

„Peter und der Wolf“ ist ein Beispiel für sozialistischen Realismus. Es zeigt eine Heldengruppe; Peter und der Vogel können den Wolf nur gemeinsam besiegen. Es besteht Harmonie zwischen Menschen und Natur, die musikalisch unterstrichen ist. Die Geschichte ist auch zutiefst humanistisch: Der Widersacher wird nicht getötet, sondern aus dem Gefecht genommen und in den Zoo gebracht. Das Ende ist optimistisch: Nicht nur wird der böse Wolf besiegt, sondern die Ente hat im Bauch des Wolfes überlebt. Und all dies wird in der Musik ausgedrückt: Die Idee des Gruppenhelden, während der Wolf gefangen wird, ebenso wie im Tutti aller Themen beim Triumphzug zum Zoo. Und das Überleben der Ente, als am Ende ein sehr gedämpftes Enten-Thema erklingt – sozusagen aus dem Wolfsbauch.

„Peter und der Wolf“ feiert Freundschaft, Mut und Zusammenarbeit im Sieg über Gefahr und Böses. Die einprägsamen Melodien mögen auf den ersten Blick einfach erscheinen. Doch ist die Geschichte meisterhaft verwoben in Wort und Klang, Handlung und musikalischer Geste, einschließlich vieler exquisiter Tongemälde. Der Hörer lernt, dass die Musik ihre eigene Geschichte erzählen kann, versteht, dass Themen Figuren darstellen, die man kennenlernt. Sie können interagieren, kämpfen und harmonieren. Diese wunderbare Einführung in das Verständnis klassischer Musik ist nicht didaktisch und nicht nur für Kinder geeignet. Sie ist einprägsam und unterhaltsam. „Peter und der Wolf“ ist bis heute die bekannteste Komposition von Sergej Prokofjew.

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"Freundschaft, Mut und Zusammenarbeit", UZ vom 23. April 2021



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