Anti-Repressions-Kolumne

G 20-Urteil ohne Beweise

Im September 2019 war ein linker Aktivist und Gewerkschafter aus Kiel mit dem Spitznamen Toto zu einer Haftstrafe von einem Jahr und vier Monaten ohne Bewährung verurteilt worden, weil er während der Proteste gegen den G 20-Gipfel in Hamburg angeblich eine einzige Flasche in Richtung von Wasserwerfern und einer Polizeiarmada in Bürgerkriegsausrüstung geworfen haben soll. Das konnten der Staat und seine Repressionsorgane natürlich keinesfalls auf sich sitzen lassen. Geht es doch grundsätzlich darum, die linke Bewegung durch harte Urteile gegen Einzelne so einzuschüchtern, dass sich so was niemals wieder jemand traut. Die Verfolgungswut kennt keine Grenzen, wenn es um den G 20-Gipfel und die massenhaften und vielfältigen Proteste geht, wovon die militanten Auseinandersetzungen nur einen Teil ausmachen.

Toto und seine Verteidigung gingen in Berufung gegen dieses Urteil, das selbst in der verqueren Logik der Klassenjustiz nur als „unverhältnismäßig“ gewertet werden kann. Die Verurteilung selbst kam ohne Fakten aus. Trotz nahezu flächendeckender Videoüberwachung konnte diese „staatsgefährdende“ Straftat nicht eindeutig Toto zugeordnet werden. Und auch die beteiligten Beamten hatten nichts Substanzielles beizutragen. Als einziges Indiz gilt ein schwarzer Fischerhut, wie ihn bei den spontanen Protesten gegen die gewaltsame Zerschlagung der „Welcome to hell“-Demonstration an diesem Abend ungefähr jede dritte Person getragen haben dürfte. Verurteilt wurde Toto trotzdem. Nicht nur wegen Landfriedensbruchs, sondern auch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und tätlichen Angriffs – die Klassiker bei den Vorwürfen gegen linke Demonstrantinnen und Demonstranten. Beim Berufungsprozess konnte das Urteil am 16. April schließlich in eine Strafe zur Bewährung auf vier Jahre, 1.000 Euro Geldstrafe und die Hälfte der Prozesskosten umgewandelt werden. Darauf ließ sich der Richter aber nur ein, weil die Tatvorwürfe als solche nicht mehr bestritten wurden und dem Genossen eine günstige Sozialprognose bescheinigt wurde.

Es lohnt sich, einen zweiten Blick auf den Prozessverlauf zu werfen. Ein Genosse wird, ohne dass es valide Beweise gibt, zu fast eineinhalb Jahren Knast verurteilt und die Strafe nur deswegen abgemildert, weil die nicht bewiesene Tat in der Berufung nicht mehr bestritten wurde. Das ist doch nichts anderes als indirekte Erpressung. Oder wie sollte das anders verstanden werden?

Dass es sich um einen politisch motivierten Prozess handelte, wurde in Totos Fall nur sehr halbherzig verschleiert. Auch im Berufungsprozess soll der Richter direkt am Anfang geäußert haben, dass er ihn weiterhin für schuldig hält, das ist natürlich absolut unvoreingenommen.

Währenddessen wurden vor dem Hamburger Gerichtsgebäude die Teilnehmer einer kleinen Solidaritätskundgebung der Soli-Gruppe und der „Roten Hilfe e. V.“ trotz vorheriger Versammlungsbestätigung wegen allem Möglichen so lange drangsaliert, bis sie beendet wurde. Auch hier ist die Botschaft völlig klar: Wir machen, was wir wollen, eben weil wir es können.

Erfreulich, dass der Prozess für Toto vorbei ist. Jetzt wird Geld gesammelt, damit er nicht auf den Kosten sitzen bleibt, gefeiert wird Corona-bedingt später. Aber es wird in diesem und sicher auch noch im nächsten Jahr weitere Prozesse geben. Die Genossinnen und Genossen, die angeklagt sind, brauchen Öffentlichkeit und unsere Solidarität, damit die Urteile nicht immer höher werden können. Erinnert euch an die massenhafte und in vielen Situationen geradezu wahllose Polizeigewalt, die ausreichend dokumentiert ist. Im Prinzip hätte es uns alle treffen können!

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"G 20-Urteil ohne Beweise", UZ vom 24. April 2020



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