Zum Krieg im Nahen Osten

Gaza ist Guernica

In 82 Grafiken beschrieb der spanische Maler Francisco de Goya zwischen 1810 und 1814 die Schrecken des Krieges. Sie zeigten Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf beiden Seiten. Es war der Krieg der aufständischen spanischen Bevölkerung gegen die französische Besatzung.

Mehr als 100 Jahre später versuchte Pablo Picasso erneut, die Schrecken des Krieges in einem Bild darzustellen. „Guernica“ – genannt nach dem Überfall der Luftwaffe Nazideutschlands auf die baskische Stadt.

„Guernica war eines der ersten Bombardements mit dem Ziel, die Zivilbevölkerung auszulöschen“, so beschreibt der spanische Historiker Julio Gil von der Uned-Universität den Angriff, „… Guernica war also ein Wendepunkt in der strategischen Bedeutung der Terrorisierung der Zivilbevölkerung.“

Heute lässt Israel die Menschen in Gaza ohne jede Versorgung, ohne Strom, Lebensmittel, Medikamente. Wasser gönnt es nur dem Süden von Gaza. Mit tausenden Tonnen Bomben zerstört die israelische Luftwaffe systematisch Wohngebäude in Gaza. Die Zahl der Opfer, die unter den Trümmern liegen, lässt sich nicht einmal schätzen. Gaza ist das Guernica des 21. Jahrhunderts.

„Nie wieder!“ hieß es einmal. Aber seit Jahrzehnten wird im Westen – der sich wahlweise als „Wertegemeinschaft“, als „Garten im weltweiten Dschungel“ oder als „internationale Gemeinschaft“ bezeichnet – das Mantra wiederholt: „Israel hat das Recht, sich zu verteidigen.“ Doch es ist keine Verteidigung, die Menschen in Gaza zu bombardieren, sie auszuhungern, ihnen jeden Ausweg zu versperren und sie dennoch zur Flucht aufzufordern. Selbst Krankenhäuser sollen geräumt werden – ein Todesurteil für viele der Schwerverletzten. Es ist ein Verbrechen.

In den letzten 20 Jahren vor diesem Krieg gab es in den Auseinandersetzungen zwischen Israel und Palästinensern mindestens 6.407 Tote auf palästinensischer und mindestens 308 Tote auf israelischer Seite. Das war bis zu den jüngsten Angriffen der Hamas der Kurs des palästinensischen Lebens: 20:1.

Der palästinensische Vertreter bei den UN verlangte vom UN-Sicherheitsrat, 75 Jahre nach der Nakba – der Vertreibung der Palästinenser nach Gaza – nicht eine erneute Nakba zuzulassen, die weitere Vertreibung der mehr als zwei Millionen Einwohner aus Gaza.

Die Antwort ist das dröhnende Schweigen des Westens oder sogar der Aufruf zu mehr. Das gibt Israel immer wieder die Möglichkeit, internationale Abkommen zu ignorieren und mit den seit 1967 immer mehr ausgeweiteten Siedlungen den Aufbau eines palästinensischen Staates unmöglich zu machen.

Nach seiner Gründung bildete sich Israel im Unabhängigkeitskrieg. Palästina wurde am 15. November 1988 in Algier von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) als Staat der Palästinenser ausgerufen. Seit 30 Jahren wurde den Palästinensern die Realisierung dieses Staates versprochen – es blieb immer nur Papier. Nachdem alle anderen Wege zur Staatsgründung Palästinas ausweglos endeten, nachdem alle anderen Akteure erfolglos blieben, friedliche Wege versperrt und als antisemitisch herabgesetzt wurden, gingen die bewaffneten Gruppen in der Region den Weg des Krieges.

Viele mögen sie wegen ihrer Ideologie ablehnen oder gar verabscheuen. Aber für Millionen Menschen in der Region sind sie keine „Terroristen“, sondern Freiheitskämpfer. Der Westen hatte jahrzehntelang die Chance, zu einem gleichberechtigten Frieden zwischen Israelis und Palästinensern beizutragen – und hat sie bewusst vertan.

Dieser Krieg, diese furchtbare Tragödie, wird erst enden, wenn auch die Palästinenser gleichberechtigt in ihrem Staat leben können. „Vom Fluss bis zum Meer“ – ohne Ende der Apartheid und der Besatzungspolitik wird es keinen Frieden geben.

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"Gaza ist Guernica", UZ vom 20. Oktober 2023



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