Gebärregister für Polen

Trotz der Ablehnung einer Verschärfung des sowieso schon totalen Abtreibungsrechts, die Fehlgeburten mit bis zu fünf Jahren Haft als Totschlag und Schwangerschaftsabbruch als Mord mit entsprechenden Strafen ahnden sollte, ist Polen einen weiteren Schritt dahin gegangen, Frauen als bloße Gebärmaschinen zu behandeln.

Zeitgleich zu der Parlamentsdebatte, in der sich 361 Abgeordnete gegen die von der Stiftung „Für das Recht auf Leben“ eingebrachte Vorlage entschieden, erließ das Gesundheitsministerium eine Verordnung über die Meldepflicht von Schwangerschaften. Ab dem Jahreswechsel soll es in Polen Pflicht für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitsdienstes und privater Arztpraxen sein, Schwangerschaften, Fehlgeburten und die Einsetzung empfängnisverhütender Implantate an ein zentrales Register zu melden. Das neu geschaffene „Institut für Familie und Demoraphie“ sammelt zudem – vermutlich um vom wahren Kern ihrer Aufgabe abzulenken – Daten über Blutgruppen und Allergien.

Aufgabe des Instituts sei laut Gesundheitsministerium angesichts der „fundamentalen Rolle der Familie, insbesondere der Ehe“, eine „effiziente Sozial- und Familienpolitik“ zu erarbeiten. Dazu gehört anscheinend auch, dem Staat Informationen über verhütende Frauen zur Verfügung zu stellen.

Vor allem aber wird mit diesem Register auch der letzte sichere Ausweg bei ungewollten Schwangerschaften für Polinnen versperrt: Wenn eine Schwangerschaft einmal festgestellt und ins Register eingetragen wurde, ist die Reise ins benachbarte Ausland für polnische Frauen kaum noch eine Option. Ohne zur erfassten Schwangerschaft gehörende Geburt oder Fehlgeburt werden die Frauen Ermittlungen ausgesetzt sein.

Zum Beginn diesen Jahres war das Abtreibungsrecht in Polen nochmal verschärft worden. Bis dahin war es Polinnen nur unter drei Bedingungen erlaubt, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen: wenn die Schwangerschaft auf ein Verbrechen wie Vergewaltigung zurückzuführen war, bei Gefahr für das Leben der Mutter und bei einer Schädigung des Fötus. Das Verfassungstribunal in Warschau hatte die letzte Möglichkeit im vergangenen Jahr gestrichen und Schwangerschaftsabbrüche auf Grund von Schädigung des Fötus verboten, auch wenn dieser nicht lebensfähig ist.

In Polen gibt es jährlich weniger als 2.000 legal vorgenommene Schwangerschaftsabbrüche. Frauenrechtsorganisationen schätzen jedoch, dass pro Jahr etwa 200.000 Polinnen illegal abtreiben oder dafür ins Ausland gehen.

Doch es bedarf keiner illegalen Abtreibung mit Engelmacherin und Kleiderbügel, um in Lebensgefahr zu geraten. Das rigide Abtreibungsrecht in Polen ist eine Gefahr für die Leben von Frauen. Schon allein, weil Ärztinnen und Ärzte Angst haben müssen, eventuell wegen illegaler Schwangerschaftsabbrüche angeklagt zu werden. So kam im September Izabela S. in der 22. Schwangerschaftswoche mit schweren Komplikationen in ein Krankenhaus in Pszczyna im Süden Polens. Anstatt die Schwangerschaft zu beenden, warteten die Ärzte auf den Tod des Fötus. Izabela S. starb an einer Sepsis. Sie ist das erste offizielle Opfer des Abtreibungsunrechts in Polen. Sie wird nicht das letzte sein.

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Gebärregister für Polen", UZ vom 10. Dezember 2021



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