Serie von Todesfällen im NSU-Umfeld bleibt offenbar unaufgeklärt

Geheimdienste und Naziterror

Von Markus Bernhardt

In kaum einen von Neofaschisten verübten Anschlag oder Mord sind die bundesdeutschen Inlandsgeheimdienste nicht auf die eine oder andere Art involviert. So stellt sich aktuell die Frage, was die sogenannten Verfassungsschützer über den im Jahr 2000 begangenen Bombenanschlag am S-Bahnhof Wehrhahn in Düsseldorf wissen. Fast 17 Jahre nach dem Anschlag, durch den zehn überwiegend jüdische Bürger aus Osteuropa verletzt worden waren und eine Frau ihr ungeborenes Baby verloren hatte, hat die Polizei kürzlich den Neonazi Ralf S. festgenommen (UZ v. 10.2.).

Während Behörden und etablierte Politik schon kurz nach dem Anschlag die Existenz einer neofaschistischen Szene in Düsseldorf bestritten hatten, obwohl diese sehr umtriebig war, wurde jetzt bekannt, dass der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz schon damals nah an dem nun festgenommenen mutmaßlichen Täter war. Über 12 Jahre lang hatte der Verfassungsschutz gegenüber den Ermittlungsbehörden zum Wehrhahn-Anschlag verschwiegen, dass er im unmittelbaren Umfeld des Tatverdächtigen Ralf S. einen V-Mann platziert hatte. Die hierzu vorliegenden Vermerke des Verfassungsschutzes und der Düsseldorfer Polizei sind noch immer als „geheim“ eingestuft. Mit einem „Zufall“ könne außerdem „keinesfalls erklärt werden, dass sich ein V-Mann-Führer des Verfassungsschutzes ausgerechnet zur Tatzeit am Tag des Wehrhahn-Anschlags am 27. Juli 2000 mit dem Angestellten von Ralf S., Andre M., getroffen hat, zumal nach gleichzeitigen Angaben des Verfassungsschutzes die Zusammenarbeit mit Andre M. doch bereits im Mai 2000 beendet worden sein soll“, kritisierte Jasper Prigge, innenpolitischer Sprecher der Linkspartei in NRW. Für ihn steht der „sehr begründete Verdacht im Raum, dass der NRW-Verfassungsschutz über Jahre hinweg Erkenntnisse zum Wehrhahn-Anschlag verschwiegen und eine Aufklärung des Anschlags behindert hat“. Offen ist, ob der Verfassungsschutz die Anschlagspläne nicht sogar im Vorfeld kannte oder hätte kennen können. Gelingen werde eine umfassende Aufklärung nicht durch den Verfassungsschutz, die Landesregierung und die Polizeibehörden selbst, „so viel ist klar“, so Prigge. Schließlich sei der heutige Dienstherr der Düsseldorfer Ermittler zum Wehrhahn-Anschlag, Polizeipräsident Norbert Wesseler, im Jahre 2000 als damaliger persönlicher Referent des NRW-Innenministers auch für die Beaufsichtigung des Verfassungsschutzes zuständig gewesen.

Es ist jedoch nicht nur der „Wehrhahn-Anschlag“, der die Inlandsgeheimdienste in schlechtem Licht dastehen lässt. Aktuell sorgt ein ominöses Zeugensterben im Umfeld des neofaschistischen Terrornetzwerks „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) für Aufsehen. So sind mittlerweile sechs Zeugen gestorben. Am 2. Februar starb eine namentlich nicht bekannte Zeugin, die offenbar etwas zur Frühgeschichte des NSU hätte aussagen können. Der Leichnam der Frau war eingeäschert worden. Zuvor waren Arthur Christ, 2013 der Naziaussteiger Florian Heilig, Ex-V-Mann Thomas Richter, dann Florian Heiligs Exfreundin Melisa Marijanovic, sowie deren späterer Verlobter Sascha Winter, gestorben.

Diese bemerkenswerte Serie von Todesfällen ist bis heute nicht aufgeklärt worden. Um Zufälle dürfte es sich dabei jedoch keineswegs handeln. Es stellt sich die Frage, was die Gründe dafür sind und wer dafür die Verantwortung trägt. Anstatt für Aufklärung zu sorgen, werden die Vorgänge von den politisch Verantwortlichen stillschweigend zur Kenntnis genommen. Dies, obwohl die Bundesregierung über einen Geheimdienstkoordinator verfügt, der direkt im Bundeskanzleramt angesiedelt ist und den ominösen Todesfällen nachgehen könnte. Es ist zu befürchten, dass mehr offizielle Stellen in größerem Ausmaß an der Vertuschung von Geheimdienstverbrechen beteiligt sind, als unmittelbar nach der Selbstenttarnung des NSU zu erwarten war. Dass es sich beim Vorgehen der Dienste, Behörden und anderen Stellen einzig um Pannen handeln könnte, gilt mittlerweile als ausgeschlossen. Dagegen spricht nicht nur die gezielte Vernichtung von Aktenmaterial.

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"Geheimdienste und Naziterror", UZ vom 24. Februar 2017



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