„Terror“ von Ferdinand von Schirach im Alten Schauspielhaus in Stuttgart

Gewissensfrage

In vielen Städten läuft zur Zeit das Stück „Terror“ von Ferdinand von Schirach, auf noch mehr Bühnen soll es demnächst starten. Auch in Stuttgart sind die Vorstellungen gut besucht. Vielleicht, weil das Stück von seiner Konzeption her „ein wenig anders“ ist.

Im Kern geht es um große, abstrakte moralische Fragen vor dem Hintergrund eines konkreten und thematisch aktuell gestalteten Szenarios: Terroristen haben ein Passagierflugzeug in ihre Gewalt gebracht und wollen es in ein vollbesetztes Fußballstadion steuern. Ein Kampfpilot schießt die Maschine entgegen der in Deutschland geltenden Rechtslage und entgegen seinen Befehlen ab, alle Passagiere der Maschine kommen um.

„Durfte beziehungsweise musste er feuern?“ „Hat er moralisch richtig gehandelt?“ „Ist er des vielfachen Mordes schuldig?“ Um diese Fragen kreist die in einem Gerichtsaal angesiedelte Handlung. Nach der „Gerichtsverhandlung“ können sich die Zuschauer dann in der Pause untereinander beraten und anonym abstimmen. Der Angeklagte wird anschließend entsprechend der Mehrheitsmeinung „verurteilt“ oder „freigesprochen“.

Relativ schnell kommen die Protagonisten des Stücks hierbei auf die Kernfrage der konstruierten Problemstellung und beleuchten die verschiedenen Facetten des juristischen und moralischen Dilemmas. Spannend sind diese Überlegungen nicht zuletzt auch, da sich die Handlung unter anderem mit den tatsächlichen juristischen und politischen Entwicklungen beschäftigt. So wird zum Beispiel das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eingebunden, demzufolge das vom Bundestag verabschiedete Luftsicherheitsgesetz, das den Abschuss eines gekaperten Flugzeugs legalisiert hätte, grundgesetzwidrig ist. Ebenso wird der ehemalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung ins Spiel gebracht, der nach dem Urteil ankündigte, dass Flugzeuge in benannter Situation aufgrund eines außergesetzlichen Notstandes trotzdem und entgegen des Verfassungsgerichtsurteils abgeschossen werden müssten.

Die gesamte Problemlage wird insgesamt so spannend aufbereitet, dass das Stück aus meiner Sicht einen Besuch auf jeden Fall lohnt. Auch weil die Einbindung des Publikums durch die Diskussions- und Abstimmungsmöglichkeit gut funktioniert und sich die Pausengespräche schwerpunktmäßig um das „Urteil“ und nicht die Qualität des vorangegangenen Abendessens drehen. Es geht um Moral und Recht, Grundsätze und Abwägungsentscheidungen, kleinere und größere Übel, Widerstandsrecht und Organspendegesetze, alles Themen, die sich nicht bei jedem Theaterbesuch als Gesprächsgegenstände aufdrängen.

Dass die Schauspieler/innen nach dem Stück noch für ein Gespräch mit dem Publikum bereit sind, ist ein netter Bonus und ermöglicht eine Weiterführung der Diskussion, nun sogar noch unterstützt von Hintergrundinformationen.

Als Wermutstropfen bleibt, dass ich mit meinem persönlichen „Urteil“ an diesem Abend auf der Minderheitsseite stand. Aber das ist in politischen Fragen ja ein vertrautes Gefühl.

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"Gewissensfrage", UZ vom 25. März 2016



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